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Aus: Ausgabe vom 07.05.2025, Seite 8 / Ansichten

Kapitalismus tötet

WHO über soziale Ungleichheit
Von David Maiwald
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KLeiderspendenaktion für Bedürftige in einem Klub in Hamburg (10.12.2024)

Der Imperialismus ist ein fortgesetztes, zwischen und innerhalb von Staaten organisiertes, tödliches Verbrechen an Menschen. Die WHO formuliert die Sache umständlicher: Es sei »das komplexe Geflecht sozialer, wirtschaftlicher, ökologischer und politischer Faktoren«, das einen großen Einfluss darauf ausübe, »wie lange man voraussichtlich ein gesundes Leben führen kann«. Das erstgenannte erkannt, lässt sich die WHO-Formel »Je benachteiligter die Region, desto geringer die dortige Lebenserwartung« fortschreiben: Wer den Zugang zu Wohnung, Gesundheitsversorgung und Bildung verwehrt oder erschwert, gefährdet bewusst und aktiv die Gesundheit und das Leben von Menschen. Das gilt zwischen und innerhalb von Staaten.

Angewandt auf ein Beispiel aus der BRD: Wer im Hamburger Stadtteil Steilshoop lebt, wird den Indikatoren der WHO zufolge früher sterben als ein Einwohner des bloß 20 Kilometer entfernten Blankenese. Nur ein kleiner Teil der Hamburger Einwohnerstatistik sei für einen Teilnachweis bemüht: Zum Jahresende 2024 gab es für rund 19.000 Einwohner von Steilshoop insgesamt sechs niedergelassene Ärzte, davon fünf Allgemeinmediziner. Mit circa 5.500 Einwohnern weniger verfügte Hamburg-Blankense zum selben Zeitpunkt über das 20fache an Medizinern: 125 niedergelassene, 20 davon Allgemeinärzte. Darüber hinaus können die Einwohner von Blankenese mit rund 130.300 Euro auch über fünfmal soviel Jahreseinkommen verfügen wie ein durchschnittlicher Steilshooper.

Umgekehrt verhält es sich bei der Erwerbslosenzahl: Hier markiert Steilshoop die Spitze, kommt mit 4.140 Bürgergeldbeziehern gegenüber 184 in Blankenese auf die 20fache Personenzahl. Am Rande interessant: In Blankenese entspricht das nahezu 100 Prozent der Erwerbslosen (185): Wer hier Sozialleistungen bezieht, hat offenbar keine Erwerbsarbeit. In Steilshoop ist von den 4.140 Bürgergeldbeziehern nur rund ein Drittel erwerbslos. Hier subventioniert der Staat die miese Bezahlung der anderen zwei Drittel. Zusammengefasst: In Steilshoop hat man höhere Chancen auf keine oder schlecht bezahlte Arbeit, dafür aber auch keinen Hausarzt.

Wenn es darum geht, dieses anhaltende Verbrechen zu benennen, nutzt die WHO in ihrem Bericht im Grunde die richtigen Schlagworte. Bloß: Folgen wird ihnen wohl keiner. Um zu erreichen, dass »wirtschaftliche Ungleichheit abgebaut«, »strukturelle Diskriminierung überwunden« oder »die Herausforderungen des Klimawandels bewältigt« werden, braucht es fundamentale Veränderungen, die die UN-Organisation schon in ihrem Bericht von 2008 erkannt und (mit einschränkenden Klammern) benannt hat: »Die Stärkung der zentralen Rolle des Staates bei der Bereitstellung der Grundversorgung und der Regulierung von Gütern und Dienstleistungen.« Wir nennen es Sozialismus.

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