Happening Vietnam
Von Susann Witt-Stahl
Im Vietnamkrieg war Kulturindustrie erstmals an vorderster Front im Einsatz. »Vietnam – das war Rock ’n’ Roll und ein großes Barbecue«, erinnerte sich ein Veteran fasziniert an sein Kriegserlebnis; dabei bleibt ungewiss, ob er die Grillpartys mit Tonnen von Steaks in den Camps der US Army oder das verbrannte Fleisch der Napalm-Opfer meinte.
Audiovisuelle Technik liefere Bild- und Tonstreifen, »auf dass jeder seine eigene Realität inszeniere«, so Paul Virilio in seiner Studie zur »Logistik der Wahrnehmung« im fortgeschritten industrialisierten Krieg. In Vietnam hörten die US-Soldaten bereits via Radio und Kassettenrekorder nahezu immer und überall Popmusik – sogar in den Helikoptern über Kopfhörer. Für den B-52-Piloten avancierte das Ausklinken der Bomben mit Iron Butterflys »In-A-Gadda-Da-Vida« zum Auftakt eines ästhetischen Hochgenusses am in wenigen Sekunden losbrechenden Inferno.
Der bereitgestellte »Tonstreifen« erzeugte einen rauschhaften Taumel zwischen Fiktion und Realität: »Und dann war’s nicht mehr nur Musik, sondern Erfahrung, Leben-als-Film, Krieg-als-(Kriegs-)Film, Krieg-als-Leben«, notierte der Reporter und Drehbuchkoautor von »Full Metal Jacket«, Michael Herr, für seinen Bestseller »Dispatches«. Das mag zur Erklärung des Zynismus gegenüber Leiden und Sterben beitragen, der selbst die eigenen Kameraden nicht verschonte: Als 1968 bei der Belagerung von Khe Sanh der Bordschütze eines US-Hubschraubers von der feindlichen Artillerie getroffen wurde und in die Tiefe stürzte, applaudierten einige Marines.
»Man ist ›draußen‹, was man sieht, wird eigentümlich fern, damit aber nicht schlicht negiert, abgeblendet, sondern zum Spektakel, das man in gewisser Weise aufmerksamer betrachtet als ohne die Distanzierung«, beschrieb der Kulturpsychologe Rainer Schönhammer einen Zustand, der sich in der Feststellung »Das ist wie Kino« manifestiert und später mit dem Walkman steigern sollte. Solche »Distanzierung« der Soldaten vom grausamen Geschehen korrespondierte mit dessen Annäherung an die Wohnzimmer zu Hause durch Television – in Vietnam fand der erste Krieg statt, der zeitversetzt im Fernsehen durch zur Identifikation mit den US-Truppen anhaltende Bewegtbilder mitverfolgt werden konnte.
»Indian Country«
Dass die gesellschaftliche Linke in den USA mit dem Vietnam-Soundtrack und aufrüttelnden Bildern kulturelle Hegemonie erlangte, ist ein Mythos. Die Antikriegsbewegung konnte kurzzeitig durch einen breiten Konsens gegen die Wehrpflicht und mit der Forderung »Bring the Boys Home!« eine Massenbasis aufbauen. Das galt aber nicht für die Solidaritätskampagnen zur Unterstützung des nationalen Befreiungskampfs der Vietnamesen. Antiimperialistische Gegenkultur und Kunst wurden stets überblendet von einer Flut emotionalisierender Bildstrecken in den Illustrierten über die Entbehrungen der »Boys« im Dschungel Vietnams. Vor allem aber wurde die linke Kultur übertönt von Songs über Sex und Drogen, über das Gefühl einer neuen Lost Generation, im Stich gelassen und nicht verstanden worden zu sein.
Solcher rebellischer Soundtrack, der tendenziell voyeuristischen Kriegsbetrachtung, der Front und Heimatfront kulturell durch gleichermaßen unkritische Nähe und Distanz miteinander verband, war vom Narrativ des »sinnlosen Krieges« getragen. Es förderte zwar Defätismus und schwächte die Kampfmoral, aber es war keineswegs Ausdruck von Opposition gegen die imperialistischen Kriege der USA: »Wir waren empört und enttäuscht, alle, Linke, Liberale, Rechte, nicht weil wir Krieg führten, sondern weil wir den ›falschen Krieg‹ führten«, schilderte der Literaturwissenschaftler Jack Zipes eine damals verbreitete Haltung. Sie resultiere aus der militärischen Supermachtstellung der USA: Die Amerikaner kennten den Krieg nur aus ihren Kinderspielen und Filmen. Er passiere nur im Ausland, weil die Menschen dort noch nicht zur Freiheit und Frieden fähig seien. »Deshalb müssen wir manche Länder besetzen«, erklärte Zipes die ungebrochene Kriegslust der Amerikaner. »Krieg ist für uns die zweite Natur.« So kamen Marvin Gaye mit »What’s Going on«, die Doors mit »The Unknown Soldier«, wie die meisten anderen Musiker, die mit ihren Protestsongs Reichweite erzielten, über die Verzweiflung am Krieg als »Naturgewalt« kaum hinaus. Sie ließen ihn vielmehr als metaphysische Größe erscheinen und verschleierten damit seine politischen und ökonomischen Gründe.
Dass Rock ’n’ Roll vorwiegend Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln war, machte auch die Entwicklung der südvietnamesischen Musikszenen deutlich. Der amerikanische Kulturimperialismus und das Bedürfnis der US-Soldaten, am Mekong Delta Haight-Ashbury-Feeling zu erleben, sorgten dafür, dass in Saigon eine bizarre Hippiewelt aufploppte. Die Mitglieder populärer vietnamesischer Bands wie CBC ließen ihre Haare wachsen, kleideten sich wie die »Blumenkinder« in den USA und coverten Psychedelic-, R&B- und Rocksongs von Jefferson Airplane, Janis Joplin und Jimi Hendrix. Höhepunkt war das aus Kreisen des Van-Thieu-Regimes unterstützte Saigon International Rock Festival am 29. Mai 1971, das als vietnamesisches »Woodstock« gefeiert wurde – obwohl von der Bühne Kriegspropaganda kam und der Erlös ans Militär ging. Durch solche Spektakel mit kanalisierter Gegenkultur konnten die Amerikaner auch besser die »guten Indianer« erkennen – Vietnamesen, die das spiegelten, was sie unter »Zivilisation« verstanden.
Die Vietnam-Klischees der US-Militärs und Mainstreammedien waren voller Assoziationen zu den Indianerkriegen. Alle Vietnamesen wurden, wie Asiaten allgemein, als »Gooks« (Schlitzaugen) verachtet, und die ideologisch und kulturell jenseits der »Frontier«, der vordersten Siedlungsgrenze verorteten Kämpfer der Nationalen Front für die Befreiung Südvietnams und die Bevölkerung der Demokratischen Republik Vietnam sollten barbarisiert werden. Die Amalgamierung von kolonialherrschaftlichem Zivilisationschauvinismus mit eliminatorischem Antikommunismus ermöglichte es, eine nahezu uneingeschränkte Lizenz zum Abschlachten der »Roten« in »Indian Country« auszustellen.
In den Video-und-Soundtracks der Propaganda wurden diese Feindbilder in hässlichsten Farben ausgemalt. Die integrierte Gegenkultur hingegen romantisierte das kolonialistische Klischee. Der Kulturwissenschaftler John Hellmann analysierte die Hippiemode mit Stirnbändern, Konsum von Drogen wie Peyote etc. als Huldigung des »edlen Wilden«, der »das weiße Amerika an seinen Grenzen herausforderte«. Was die rebellische mit der etablierten Kultur verband, war, dass die real existierenden Vietnamesen und deren Lebenswelt im dunkeln blieben. Anders als in antiimperialistischer Kultur, die das menschliche Antlitz von »Victor Charlie« (des kommunistischen Vietnam) freilegte, ragte ihr Blick nur selten über die Kehrseite des amerikanischen Traums hinaus.
Der militärische Blick
Die kulturelle Retrospektive auf den Vietnamkrieg ist von Nostalgie geprägt. Der Soundtrack wird mit immer neuen Compilations der »Oldies« aus den Flower-Power-»Good Times« vermarktet, auf deren Covern US-amerikanische Elitesoldaten im Muskelshirt, aber nie Vietnamesen zu sehen sind. Heute sind die Hits fast nur noch als Soundtracks der Vietnam-Hollywoodfilme bekannt.
Diese sind von einer narzisstischen Regression durchwirkt, die zur Verarbeitung von Verlusten und eigenen Traumata reicht, aber die Aufarbeitung des imperialistischen Krieges als Verbrechen weiter vereitelt. Francis Ford Coppola operierte zwar in seinem cineastischen Meisterwerk »Apocalypse Now« – wie Joseph Conrad in seiner Romanvorlage – am offenen »Herzen der Finsternis« westlicher Zivilisation und stellte die Obszönität der Inszenierung von Massenvernichtung als Happening bloß; er tat das aber mit den Mitteln der Ästhetisierung des Krieges, eines faschistoiden Matrixbestandteils der Kulturindustrie des Kapitalismus.
Längst ist die sekundäre Entwirklichung der damaligen Ereignisse in Geschichtsrevisionismus umgeschlagen. Im Vietnam-Film »Wir waren Helden« von 2002 war die wehrkraftzersetzende Hippiekultur, die mit den Animals »We Got to Get out of This Place« verlangte, bereits den alten Heldenepen gewichen – »Lay me doon in the caul caul groon«, heißt es in der Ballade »Sgt. MacKenzie«, die den Schlüsselszenen des Streifens unterlegt ist und den Soldatentod als unabwendbares »Schicksal« darstellt.
Georg Seeßlen hatte 1989 in einem Essay über die Entwicklung des Kriegsfilms konstatiert: »Das Kino ›sieht‹ nicht deshalb wie eine Kriegsmaschine, weil wir gar nicht anders als militärisch sehen können, sondern deshalb, weil es seinen Blick den Technologieschüben verdankt, die zivil nicht zu erlangen sind.« Das gilt für alle Kulturindustrie. Daher ist sie nicht an der Realität der vergangenen Kriege interessiert – sie konzentriert ihre Potentiale voll und ganz auf die Mobilisierung für die zukünftigen.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Dieser Artikel gehört zu folgenden Dossiers:
Ähnliche:
- AGB Photo/IMAGO23.04.2025
Die große Täuschung
- ZUMA Press Wire/IMAGO23.04.2025
Solidarität der Unterdrückten
- Photo News/IMAGO23.04.2025
Antikommunistische Flut
Mehr aus: Schwerpunkt
-
Antiimperialistische Kunst
vom 07.05.2025