Ein lebendiges Erbe
Von Florence Hervé
»Der Wind weht über die Gräber / Die Freiheit wird wiederkommen / man wird uns vergessen / wir werden wieder in den Schatten treten.« Diese Zeilen der melancholischen »Klage des Partisanen« (La complainte du partisan), vom Journalisten und führenden Mitglied der Résistance Emmanuel d’Astier geschrieben und von der französischen »Trobadora der Résistance« russischer Herkunft Anna Marly gesungen, könnten für die Frauen im europäischen Widerstand geschrieben worden sein. In den 1960er Jahren interpretiert von Joan Baez und Leonard Cohen wurde das Chanson für eine kurze Zeit weltberühmt und geriet danach in Vergessenheit. Wie der Partisan nach der Befreiung im Lied, wie viele Widerstandskämpferinnen im Nachkriegseuropa. Sie sollten lange Zeit im Schatten der Geschichte bleiben.
Männersache?
Nach der Befreiung wurden in Frankreich 1.030 Männer und nur sechs Frauen, die sich um die Befreiung verdient gemacht hatten, zum Compagnon de la Libération ernannt. Bei den Médailles de la Résistance lag der Frauenanteil bei fünf Prozent. Von den 11.657 »Helden der Sowjetunion« aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs erhielten nur 90 Frauen diese Auszeichnung.
Die Unsichtbarkeit der Frauen, die in diesen Zahlen zum Ausdruck kommt, hat ihren Grund nicht darin, dass es zu wenige Widerstandskämpferinnen in Europa gegeben hätte. Bei der Vergabe von Auszeichnungen blieben Frauen oft aufgrund ihrer Bescheidenheit unberücksichtigt. Viele machten ihre Ansprüche nach dem Krieg nicht geltend. Sie waren der Ansicht, dass sie nichts Besonderes geleistet hatten. So hieß es häufig: »Wir konnten gar nicht anders. Widerstand musste geleistet werden.«
Hinzu kommt: Der Widerstand wurde meist auf den militärisch-bewaffneten Aspekt reduziert, wo deutlich mehr Männer zu finden waren. Es gab aber auch Frauen, die mit der Waffe kämpften, Partisaninnen, ob in der Sowjetunion, in Polen und Jugoslawien, ob in Italien, Frankreich oder Griechenland. Ingrid Strobl, eine Pionierin der jüdischen Frauenwiderstandsforschung, veröffentlichte bereits in den 1990er Jahren Untersuchungen dazu.
Ignoriert wurde zudem, dass ohne den zivilen Widerstand der bewaffnete kaum möglich gewesen wäre. Hinter jedem Widerstandskämpfer standen eine oder mehrere Frauen. Zudem waren die Handlungsräume der Frauen unter der Nazibesatzung meist andere als die der Männer. Frauen leisteten eine spezifische Form des Widerstands – sie sicherten das Überleben der Familien, halfen Verfolgten und Unterdrückten und praktizierten zivilen Ungehorsam. Sie arbeiteten oft im Hintergrund und die Erinnerung an sie blieb im Schatten der Geschichte. Ziviler Ungehorsam wurde nicht als Form des Widerstands bewertet.
Die 2007 verstorbene Résistance-Kämpferin Lucie Aubrac, die in mehreren Kommissionen für die Anerkennung der Rechte der widerständigen Frauen arbeitete, erklärte im Gespräch mit der Autorin: »Lange Zeit wurde der Beitrag der Frauen gesetzlich nicht als Widerstand anerkannt, sondern lediglich als Hilfe angesehen, weil eine Frau keine Waffe trug, weil ihre Aufgabe darin bestand, einen Widerstandskämpfer, einen Juden zu verstecken, Maschine zu schreiben als Stenotypistin. Da haben wir schließlich erreicht, dass dies anerkannt wurde. Heute gilt: Auch das Tippen von Texten, das Waschen der Kleider oder das Begleiten eines Piloten bis zur spanischen Grenze waren Aktionen des Widerstands.«¹
Hinzu kam die Verdrängung von grauenhaften Erfahrungen (u. a. im Konzentrationslager) als Überlebensstrategie nach dem Krieg – viele Autobiographien und Berichte über diese Zeit wurden erst Mitte der 1980er Jahre veröffentlicht. Die autobiographischen Texte, die unmittelbar nach dem Krieg erschienen, fanden auch in einzelnen Ländern zum Teil keine breite Resonanz, da man sich ab Ende der 1940er Jahre, während der Zeit des Kalten Krieges, in vielen Ländern damit nicht auseinandersetzen wollte. Auch frauendiskriminierende Gewohnheiten spielten eine Rolle bei der Unsichtbarkeit der Frauen.
In der Bundesrepublik begann die offizielle Auseinandersetzung mit dem Frauenwiderstand sehr spät, wenn man von Sophie Scholl absieht. (Als mich die französische Soziologin und Résistance-Kämpferin Évelyne Sullerot 1968 um Informationen zu Frauen im deutschen Faschismus für ihr Buch bat, gab es praktisch nichts dazu.) Ab Ende der 1970er Jahre entstanden im Zuge der Frauenbewegung und -forschung sowie der Gedenkarbeit von Widerstandsorganisationen einige Studien in der Bundesrepublik – in der DDR erschienen bereits einzelne Biographien von Widerständlerinnen. Erst 2019 fasste der Bundestag einen Beschluss zur Anerkennung und Würdigung des Frauenwiderstands – ein erstes Ergebnis war eine Ausstellung der Berliner Gedenkstätte Deutscher Widerstand Ende 2024.
Ohne Frauen keine Befreiung
Millionen Frauen waren in Europa Opfer von Greueltaten und Massengewalt gewesen – Zwangsarbeit, Erniedrigung, Rassismus, Verfolgung, Folter, Besatzung und Krieg hinterließen individuell und gesellschaftlich schwere Spuren und Wunden: zerrissene Familien, Mangel, Hunger, Wohnungsnot, Angst.²
Millionen Frauen waren an der Befreiung von Faschismus und Krieg in Europa beteiligt. Ohne Frauenwiderstand hätte es keine Befreiung gegeben. Ob in den von den Nazis besetzten Ländern wie der damaligen Sowjetunion, Polen, Jugoslawien, Griechenland, Frankreich, den Niederlanden, Italien, Norwegen oder im selbsternannten Deutschen Reich; aber auch in den nicht besetzten Ländern wie Großbritannien, Irland, der Schweiz oder Schweden. Millionen Frauen haben entscheidend dazu beigetragen, dass 1945 zum Jahr der Befreiung wurde. Eine entsprechende Anerkennung des europäischen Frauenwiderstands steht allerdings noch aus.
Die Widerstandskämpferinnen ließen sich nicht unterkriegen, wählten den aufrechten Gang, kämpften trotz alledem für Frieden und Freiheit, für Gleichheit und Menschenwürde, übten Solidarität über alle Grenzen hinweg. Viele überlebten die Verfolgungen und die Hölle der Konzentrationslager nicht.
Sie waren Partisaninnen und Angehörige der regulären Streitkräfte, ob in Riesenarmeen unter staatlicher Führung wie in der Sowjetunion und in revolutionären Bewegungen. Sie waren Verbindungsagentinnen, Kurierinnen, Fluchthelferinnen, in kleinen oder großen Widerstandsgruppen, in Zweckbündnissen politisch unterschiedlicher Kräfte mit dem Ziel der Befreiung.
Es waren meist politisch organisierte Frauen aus der Arbeiterinnenbewegung, die sich gegen die Naziherrschaft wehrten, insbesondere Kommunistinnen und Sozialistinnen. Auch Christinnen und humanistisch gesinnte Menschen gehörten dazu. Mit der Ausweitung von Terror, Verfolgung und Mord und mit dem Krieg erfasste der Widerstand weite Teile der Bevölkerungen Europas.
In einzelnen Ländern gab es besondere Frauengruppen und -organisationen, so in Frankreich (die Union junger Französinnen), in Italien (Frauenverteidigungsgruppen), in der Sowjetunion (die Einheit »die Nachthexen«), in Polen (Fraueneinheit »Bataillon Emilia Plater«), und in Griechenland (weibliche Musterbrigaden in der Volksbefreiungsarmee).
In Frankreich gab es auch Frauenstreiks für eine bessere Versorgung und höhere Löhne, Hausfrauendemonstrationen und Volksfrauenkomitees, welche die Hilfe für Kriegs- und politische Gefangene organisierten. Es gab den Frauenwiderstand im Exil und in den Konzentrationslagern, auch den einzelnen aufrechten Gang aus Menschlichkeit und Gerechtigkeit, aus moralischen Gründen. Die elsässische Ärztin Adélaïde Hautval war beispielsweise keine Widerstandskämpferin im üblichen Sinne. Aber sie passte sich dem Antisemitismus und Rassismus des französischen Kollaborationsregimes nicht an, protestierte gegen die Diskriminierung jüdischer Menschen und widersetzte sich gar den Befehlen der SS im KZ.³
Nicht zu unterschätzen ist die Kunst des Widerstands, die Bedeutung des künstlerischen und literarischen Widerstands. Die Literatur wurde Zuflucht, die Feder zur Waffe: »Ein Gedicht zu schreiben war ein Akt der Individualität und der Freiheit, also der Résistance«. Dies schrieb die französische Résistancekämpferin, Dichterin und spätere Kriegsreporterin Madeleine Riffaud in ihren Memoiren. Die französisch-russische Schriftstellerin Elsa Triolet richtete mit Louis Aragon ein Verlagshaus im Untergrund ein. Sie verfasste unter anderem Reportagen über das verwüstete Land, über die Aktivitäten der Maquis und der Partisaninnen und Partisanen. In ihrem Roman »Die Liebenden von Avignon« (1943) stehen Besatzung, Krieg und Widerstand im Mittelpunkt. Dafür erhielt sie als erste Frau den Prix Goncourt. Die lange vergessene sozialkritische Journalistin Maria Leitner schrieb Reportagen und Bücher, in denen sie über das faschistische Deutschland informierte. Die »surrealistischen Schwestern« Claude Cahun und Marcel Moore kämpften gegen die Besatzung auf der besetzten britischen Ärmelkanalinsel Jersey mit Graffitis, originellen Zeichnungen und Meldungen, um die Moral im Militär zu untergraben.
Frauenwiderstand: Das waren nicht nur die mutigen Taten bekannter Kämpferinnen wie Sophie Scholl oder Soja Kosmodemjanskaja. Das waren »die vielen kleinen Hände der Résistance, welche die kaputten Netze heimlich wieder zusammenflickten« (Madeleine Riffaud).
Widerstand im Kolonialreich
Bemerkenswert ist der hohe Anteil von Migrantinnen (transnationale Résistance) und die Beteiligung von Frauen aus dem Kolonialreich (Maghreb): Darunter waren Spanierinnen, die nach dem Sieg Francos nach Frankreich geflohen waren. Trotz der schwierigen Exilbedingungen und der Repressionen beteiligten sich viele von ihnen an der Résistance und setzten so ihren Kampf gegen den Faschismus fort. Sie schlossen sich französischen Widerstandsbewegungen an, organisierten Fluchtwege durch die Pyrenäen oder bildeten autonome Guerillabewegungen. Frauen spielten darin eine zentrale Rolle: Sie übermittelten Nachrichten, hielten Kontakte zwischen verschiedenen Netzwerken und schmuggelten Waffen. Sie waren keineswegs nur Hilfskräfte im Hintergrund, sondern trugen mit dem Transport und der Übermittlung von Nachrichten und Material maßgeblich zur Vorbereitung von Sabotageaktionen bei.
In der von der französischen kommunistischen Partei gegründeten Main-d’œuvre immigrée und den im April 1942 gegründeten FTP-MOI (Freischärler und Partisanen) waren unter anderem Migrantinnen aus Polen, Rumänien und Armenien an der Herstellung von Minen, Sprengstoff und Bomben, an Anschlägen gegen die Besatzungskräfte und an Sabotageaktionen beteiligt, auch am bewaffneten Widerstand. Und manche starben unter dem Fallbeil, wie Olga Bancic in Stuttgart oder Émilienne Mopty in Köln.
Eine besondere Form der Résistance bildete die Travail allemand (Deutsche Arbeit), auch »Mädchenarbeit/Mädelarbeit« genannt, die im September 1940 für die politische Arbeit unter den Angehörigen der Besatzungsmacht in der besetzten Zone eingerichtet wurde. Ziel war es, die Deutschen »zu bearbeiten«, das heißt die faschistische Ideologie zu bekämpfen und die Soldaten von der Sinnlosigkeit des Krieges zu überzeugen, kriegswichtige Anlagen und Materialien zu zerstören und Friedensstimmung innerhalb der Wehrmacht und der deutschen Dienst- und Verwaltungsstellen zu verbreiten. Eine besonders gefährliche Arbeit. Zahlreiche deutsche und österreichische Frauen waren daran beteiligt.
In der britischen Special Operations Executive, einer geheimen nachrichtendienstlichen Spezialeinheit, die auf Initiative von Winston Churchill im Juli 1940 gegründet worden war, gab es eine spezielle Abteilung (F-Sektion), zu der Frauen aus unterschiedlichen Ländern gehörten. Zu den Aufgaben der Funkerinnen und Kurierinnen gehörte die Sabotage hinter den feindlichen Linien und die Unterstützung und Versorgung von lokalen Widerstandsgruppen. Von den 39 in Frankreich agierenden Agentinnen wurden 13 von der Gestapo festgenommen und ermordet, unter anderem im KZ Natzweiler-Struthof im Elsass.
Am Widerstand gegen Faschismus und Krieg in Europa waren auch Frauen aus den außereuropäischen französischen Kolonien beteiligt. Das Kolonialreich war aus strategischen Gründen stark umkämpft. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Frankreich unterstand der Maghreb dem Kollaborationsregime Vichy mit seiner antisemitischen Gesetzgebung und der Errichtung von Internierungslagern für »Unerwünschte«. Es entstanden Komitees des Freien Frankreichs in Nordafrika und Äquatorialafrika sowie im Zentralamerika bereits ab 1940 – das erste in Kairo. Informationen über die Widerstandsaktivitäten von Frauen in Nordafrika vor der Landung der anglo-amerikanischen Streitkräfte zunächst in Marokko und Algerien Ende 1942 und der Etablierung der provisorischen Regierung Frankreich unter de Gaulle in Algier sind allerdings spärlich. Bei den Vorbereitungen und der Durchführung der Aktionen wurden sie aber auch von Widerstandskämpferinnen unterstützt.
Dass die schwarze US-amerikanisch-französische Sängerin Josephine Baker – bekannt als Nackttänzerin mit dem Bananenröckchen – auch Résistance-Kämpferin war, jüdische Flüchtlinge und französische Agenten der Spionageabwehr versteckte und ein Waffenlager für die Résistance aufbaute, erfuhren viele erst bei ihrem posthumen Eintritt in das Pariser Panthéon 2021.
Besser dokumentiert ist dagegen die Rolle von Frauen, die als Teil der weiblichen Freiwilligenverbände des Freien Frankreichs (Corps des Volontaires françaises) rekrutiert und als Funkerinnen, Krankenschwestern, Fahrerinnen oder Verwaltungsangestellte beim französischen Militär unter anderem auch in Nordafrika eingesetzt wurden.
Festzuhalten ist die außerordentliche Vielfalt des Frauenwiderstands, die Zivilcourage, der Zusammenhalt und die Solidarität.
Ohne Befreiung keine Frauenrechte
Bei aller Unterschiedlichkeit der Situationen verband die Frauen der Wunsch nach Freiheit. Die Befreiung war mit neuen Freiheiten für Frauen verbunden. Das hieß zunächst Schluss mit Sexismus und Gewalt, mit der Verdrängung aus Ausbildungs- und Arbeitsplätzen, mit dem Ausschluss aus Bürgerrechten, Schluss mit rassistischen Einrichtungen, Schluss mit Verbot und Verfolgung von demokratischen Frauenorganisationen. Nach dem Aufbruch der Frauen in den 1920er Jahren hatte der Faschismus mit seiner frauenfeindlichen Politik die Frauen um Jahrzehnte zurückgeworfen.
Nun wurde nach 1944 das Frauenwahlrecht in mehreren Ländern eingeführt, darunter Frankreich, Italien, Slowenien und Bulgarien, ausdrücklich als Anerkennung des widerständigen Frauenengagements. So beteiligten sie sich nach 1945 in Parlamenten und Politik: zum Beispiel in Frankreich die Ravensbrück-Deportierte und frauenbewegten Marie-Claude Vaillant-Couturier (kommunistische Abgeordnete und Vizepräsidentin der Nationalversammlung, Zeugin im Nürnberger Prozess) und die sozialistische Lehrerin und Krankenschwester Eugénie Éboué-Tell aus Guadeloupe (engagiert im weiblichen Freiwilligenkorps des Freien Frankreichs, die erste weibliche Abgeordnete in einer Kolonie). In Italien waren es die Aktivistinnen für Frauenrechte und kommunistischen Abgeordneten und Gewerkschafterinnen Adele Bei und Teresa Noce sowie die Journalistin Maria Maddalena Rossi.
Im Widerstand hatten zahlreiche Frauen sich von festgelegten Geschlechterrollen befreit, Ansätze von Frauenemanzipation erkämpft und gelebt. Der Widerstand war ein Weg, eigenen Mut auf die Probe zu stellen und das eigene Leben zu verändern. Ein Weg in die Verantwortung als handelndes Subjekt.
»Ich bin eine andere Frau geworden. Wir waren uns darüber bewusst, etwas Neues aufzubauen … Wir fühlten uns frei, sorglos, und wir wurden frecher. Wir waren der Ansicht, dass ein Mädchen genauso viel wert ist wie ein Junge«, schrieb die französische Textilarbeiterin, Verbindungsagentin der Résistance und Verantwortliche der »Union Junger Frauen« Cécile Ouzoulias-Romagon, Ehefrau des bekannten Colonel André, des Leiters der kommunistischen Jugendbataillone und der FTP-Partisanen. Für die italienische Aktivistin einer Frauenverteidigungsgruppe Giacomina Castagnetti war es nur folgerichtig, den Frauen das Wahlrecht zu geben: »Für uns war es klar, dass wir jetzt auch mehr Rechte und Freiheiten erhalten wollten und dass dies auch unser gutes Recht war. Es hätte nach dem Geschehenen einfach nicht mehr anders sein können. Wir waren Frauen geworden, die in der Gesellschaft präsent waren.«⁴ Die italienische Historikerin Daniella Gagliani hat die These aufgestellt, dass die Resistenza auch ein feministischer Kampf gewesen ist. Der französische Historiker Laurent Douzou und die spanische Professorin Mercedes Yusta kamen ebenfalls zu dem Schluss, dass der antifaschistische Widerstand für eine gewisse Zeit und in unterschiedlichem Maß als »Experimentierfeld für Emanzipation« fungierte.⁵
Der beachtliche Frauenwiderstand stellte in vielen Ländern die Weichen für einen frauenemanzipatorischen Diskurs und erwies sich als identitätsstiftend für die Beteiligten, die daraus Selbstbewusstsein schöpften. Viele ehemalige Widerstandskämpferinnen waren bis zu ihrem Tod aktiv, als Zeitzeuginnen und als Aktivistinnen für Frauen- und Menschenrechte.
In Konzentrationslagern, in Zeiten schlimmster Ausbeutung, Erniedrigung und Entmenschlichung, im Exil und im transnationalen antifaschistischen Kampf, waren länderübergreifende Frauenfreundschaften entstanden, zwischen Frauen aus unterschiedlichen sozialen Klassen wie unterschiedlicher Weltanschauung. Auf der Grundlage dieser erfahrenen Solidarität gründeten 1945 Antifaschistinnen aus 41 Ländern die Internationale Demokratische Frauenföderation IDFF mit Sitz in Paris. Unter ihnen deren Generalsekretärin Marie-Claude Vaillant-Couturier in Frankreich, die italienische Partisanenpädagogin und Vizebürgermeisterin von Turin Ada Gobetti, die an der Verteidigung Moskau beteiligte Russin Nina Popowa und die Spanierin Dolores Ibárruri, bekannt als »La Pasionaria«. Auf der Tagesordnung standen vorrangig die Verbesserung der Lage der Frauen, die Vernichtung des Faschismus und die Sicherung des Friedens.
Der Kalte Krieg hatte alsbald gravierende Auswirkungen auf die Arbeit der IDFF, auf die Lage der Frauen in Europa insgesamt und auf das Gedenken. Frauenrechte wurden zur Nebensache erklärt, von der »großen Politik« weggedrängt. So blieb die Erinnerung an die Widerstandskämpferinnen fast dreißig Jahre lang im Schatten der Geschichte.
In diesen Wochen wird die Befreiung von Faschismus und Krieg in zahlreichen Ländern begangen – als Feier- und Gedenktag in Frankreich, Italien, Russland, der Slowakei, in den Niederlanden, auf der Kanalinsel Jersey, in Brüssel und in Berlin. In Deutschland finden zahlreiche Ausstellungen und Diskussionen zum deutschen und europäischen (auch Frauen-)Widerstand statt. Erfreulicherweise wurden nach dem Bundestagsbeschluss zur Würdigung des Frauenwiderstands mehrere hundert Widerständlerinnen von der Berliner Gedenkstätte Deutscher Widerstand aus dem Schatten geholt. Es gibt auch lokale Initiativen wie die »Antifaschistinnen aus Anstand« oder »Potsdamerinnen im Widerstand 1933–1943«.
Heute sind Widerstandskämpferinnen nicht mehr die Vergessenen der Geschichte. Aber es gibt noch viele Lücken in Bezug auf den bisher vernachlässigten europäischen Frauenwiderstand. Es liegt an uns, dass diese couragierten Frauen nicht wieder in den Schatten treten. Denn die Widerständigen machen Mut für das heutige Auftreten gegen Faschismus, Rassismus und Sexismus.
Anmerkungen
1 Lucie Aubrac: Gespräch mit der Autorin, 1998. Vgl.: Florence Hervé: Die Gestapo reingelegt: Lucie Aubrac. Ein Leben für die Freiheit, MDR-Feature, 15.9.1999
2 Vgl. aktuell: Tatjana Tönsmeyer: Unter deutscher Besatzung. Europa 1939–1945. München 2024
3 Vgl. Adélaïde Hautval: Medizin gegen die Menschlichkeit. Die Weigerung einer nach Auschwitz deportierten Ärztin, an medizinischen Experimenten teilzunehmen, 2. überarb. u. erg. Aufl. Berlin 2024
4 Nadja Bennewitz: Aus einem Gespräch mit Giacomina Castagnetti, 2001
5 Daniella Gagliani: La Resistenza fu anche una »guerra femminista«? Alcuni spunti e riflessioni, in: Padania, n. 16, 1994 (2000); La Résistance à l’épreuve du genre. Hommes et femmes dans la Résistance antifasciste en Europe du Sud (1936–1949). Hg. v. Laurent Douzou u. Mercedes Yusta. Rennes 2018
Florence Hervé ist Journalistin und Frauenrechtlerin. Von ihr erschien u. a. als Herausgeberin: »Ihr wisst nicht, wo mein Mut endet«. Europäische Frauen im Widerstand gegen Faschismus und Krieg. Köln 2024; »Mit Mut und List«. Köln 2023 (3. Aufl.); Oradour: Geschichte eines Massakers. Köln 2017; Natzweiler-Struthof: Ein deutsches Konzentrationslager in Frankreich. Köln 2015 sowie (als Autorin) »Wir fühlten uns frei«. Deutsche und französische Frauen im Widerstand. Essen 1997
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