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Aus: Ausgabe vom 05.05.2025, Seite 16 / Sport
Boxen

Sieg im Ring

Fai Phannarai verteidigt ihren WBF-WM-Titel auf St. Pauli – »The Diamond« nun Dritte in der Weltrangliste und vor den ganz großen Fights
Von Oliver Rast, Hamburg
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Treffer: Rechter Haken von Weltmeisterin Fai Phannarai am Kopf ihrer Gegnerin Isis Vargas Perez (Hamburg, 1.5.2025)

Die Strapazen sind ihr nicht mehr anzumerken. Bequem macht sie es sich auf der langen, teerschwarzen Sitzbank der Empore mit Blick auf die Theke der Galerie. Bereit zum Plausch bei der Aftershowparty mit dem Autor. »Ich habe gewusst, was auf mich zukommen wird, und genauso ist es gekommen«, erzählt Fai Phannarai und nimmt dabei einen Schluck aus einer Flasche »Corona Extra«, der populären mexikanischen Biermarke.

Eine Stunde zuvor, eine Etage tiefer, flogen noch die Fäuste. Im legendären Musikklub »Große Freiheit 36« auf St. Pauli. Ein Kampfabend von »Boxen im Norden« am 1. Mai, am Arbeiterkampftag. Eine Veranstaltungsreihe mit Charme, Stil, Atmosphäre. Oder wie Promoter Thomas Nissen gerne sagt: »Bei uns ist es eng, voll, laut.« Und volkstümlich geht es zu. Denn »Volksboxen« sei das, was er, Nissen, präsentieren würde. Sport indes auf Topniveau.

Vor zehn Jahren hat der »Boxen im Norden«-Chef begonnen. In diesem Jahr feiert er das zehnjährige Bestehen. Die Fightnight-Serie mit zahlreichen Showacts hat sich längst etabliert, ist eine feste Größe im Kalender des hiesigen Boxsports. Weiter geht es am 3. Oktober, neben dem 1. Mai stets der zweite fixe Termin des Events auf dem Kiez.

Der Höhepunkt diesmal: Die Verteidigung des Weltmeistertitels im Superbantamgewicht (55,3 Kilogramm) der Frauen nach Version der World Boxing Federation (WBF). Ein Duell zwischen der 23jährigen Titelverteidigerin Phannarai und der 27jährigen Isis Vargas Perez aus Mexiko. Ein Zweikampf auf Augenhöhe.

Nach einer musikalischen Einlage wird es ernst. Zehnmal zwei Minuten im WBF-WM-Fight stehen auf dem Programm. Gong zur ersten Runde, kurz nach 20 Uhr. Perez, die Herausforderin, ist sofort im Vorwärtsgang, versucht zu punkten. »Meine Marschroute war, meine Gegnerin kommen zu lassen, abzuwarten«, so Phannarai nach dem Gefecht.

In Runde zwei erhöht die Mexikanerin unter lautstarken Anweisungen aus ihrer Ringecke abermals die Schlagfrequenz. Phannarais Doppeldeckung steht, sie bleibt flink auf den Beinen, bietet kein festes Ziel. Mitte der Runde wird die Titelträgerin offensiver, geht das Tempo mit, feuert Links-rechts-Kombinationen ab. »Ich wollte Perez nicht einfach machen lassen, nicht in meinem ›Wohnzimmer‹«, erklärt Phannarai. Ähnliches Bild in den weiteren zwei, drei Runden. Perez’ Attacken verpuffen trotz Reichweitenvorteilen zumeist, wenig klare Hände. Die Lokalmatadorin hält dagegen, kontert, setzt Akzente.

Dennoch, entschieden ist noch nichts. Ab der siebten Runde baut die Mexikanerin aber konditionell ab. Phannarai merkt das, reagiert rasch, überwindet nun die Distanz, sucht den Infight, kommt mit Geraden und Körperhaken durch. Das zählt. In den letzten zwei Minuten sind die Kontrahentinnen ausgepowert. Phannarai plaziert noch ein, zwei Treffer aus der Rückwärtsbewegung. Das war’s.

Fast. Das Wichtigste fehlt, das Urteil der drei Punktrichter. Die Titelverteidigerin ist unruhig, unsicher. Sie stützt ihre bandagierten Hände in die Hüfte, läuft schlangenlinienförmig im Seilgeviert auf und ab. Kopf und Blick sind gesenkt. Nachdenklich, beinahe grüblerisch wirkt sie. Hat es gereicht? Es scheint, als könne man ihr dabei zusehen, wie im Zeitraffer Sequenzen des Zehnrundenkampfes durch das Haupt rattern. Stresshormone, Adrenalin, Dopamin, Cortisol – alles auf einmal schüttet der Leib aus.

Dann endlich, der Ringsprecher greift zum Mikro, verkündet das Urteil: einstimmiger Punktsieg (97:93, 96:94, 98:92). Phannarai bleibt WBF-Weltmeisterin. Es war bereits ihre fünfte Titelverteidigung. Nur, »The Diamond«, so ihr Kampfname, ist nicht in Jubelstimmung – sie sagt: »Ich bin immer skeptisch und selbstkritisch, was meine Leistung betrifft.« Denn sie wolle auf dem Boden bleiben, nicht abheben. Und sie weiß, die Beste in ihrem Limit ist noch nicht.

Aber: Phannarai hat mit ihrem Sieg vier Plätze in der Weltrangliste gutgemacht, ist Dritte. »Was jetzt kommt, wird ein harter Weg. Ich werde künftig immer stärkere Gegnerinnen haben«, sagt sie. Vielleicht ergebe sich in nächster Zeit ein Kampf gegen jene, die schon alles erreicht hätten. Ein Fight gegen IBF-, WBO- und IBO-Weltmeisterin Ellie Scotney aus England, ein Fight gegen WBC-Titelträgerin Yamileth Mercado aus Mexiko. Vielleicht.

Fest steht, Phannarai ist Musterathletin und Sympathieträgerin zugleich. Ein Glücksfall für Nissen von »Boxen im Norden«. Die gebürtige Thailänderin wuchs bei ihren Großeltern auf. In einem Dorf im Nordosten des Landes. Einer Region, die vom Reisanbau geprägt ist. Ihre Mutter wanderte des Jobs wegen nach Deutschland aus. Da war Phannarai fünf Jahre. Zu ihrem Vater hatte sie wenig Kontakt. Ihr Opa, ein früherer Thaiboxer, brachte ihr das Boxen bei. Mit Erfolg. Ihr Motto: »Wenn du sagst, ich kann das nicht, dann zeige ich dir, ich kann das!« Etwa in ganz großen Ringschlachten siegreich sein. Trotz aller Strapazen.

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