Etappensieg für Studis
Von Oliver Jansen
Bislang galt für die Protestbewegung in Serbien: Versuche, den Widerstand gegen die Regierungspolitik mit einem Generalstreik aufs nächste Level zu heben, müssen als gescheitert betrachtet werden. Nach Monaten getrennter Kämpfe dann am 1. Mai eine erste gemeinsame Demonstration von Studenten und den fünf großen Gewerkschaften. Im Hinblick auf das Ziel, verbesserte Arbeits- und Streikgesetze durchzusetzen, erklärte etwa die Vorsitzende der Gewerkschaft Nezavisnost, Čedanka Antić: »Gemeinsam können die Gewerkschaften und die Studenten dieses Ziel erreichen.«
In Serbien wird anhaltend protestiert, seit im November in Novi Sad das Vordach eines frisch renovierten Bahnhofsgebäudes einstürzte und 16 Todesopfer forderte. Die Katastrophe fiel in eine Phase, in der Korruption, hohe Inflation und etliche Skandale ohnehin zu einer hohen Unzufriedenheit mit der autoritären Regierung von Aleksandar Vučić und seiner SNS-Partei geführt hatten. Nahezu täglich finden in allen Landesteilen Protestaktionen statt – von kleinen Gedenkveranstaltungen bis zu Großdemonstrationen mit Hunderttausenden Teilnehmern. Außerdem sind über 60 Fakultäten und viele Schulen besetzt.
Anfang April begannen knapp 100 Radfahrer eine Protesttour von Novi Sad nach Strasbourg, um in der EU für Unterstützung zu werben. Die letzten Etappen führten auch durch München, Stuttgart und Karlsruhe. Wie auf der ganzen Strecke wurden die Radfahrer auch hier von jubelnden Menschen aus der serbischen Diaspora und mit warmen Worten verschiedener Lokalpolitiker begrüßt.
Dem serbischen öffentlich-rechtlichen Sender RTS war die Ankunft in der französischen Stadt keinen Bericht wert. RTS steht schon länger in der Kritik der Aktivisten, unausgewogen zu berichten und die Proteste kleinzuschreiben oder zu ignorieren. Deshalb war das Hauptgebäude des Senders in Belgrad schon öfter Ziel von Protestaktionen. Als Reaktion auf die ausbleibende Berichterstattung wurde RTS nun bis zur vergangenen Woche blockiert. Ein regulärer Sendebetrieb war nicht möglich. Statt Nachrichtensendungen und den fast täglichen Auftritten von Vučić wurde ein Notprogramm ausgestrahlt. Damit die Blockaden auch über die Osterfeiertage aufrechterhalten werden konnte, reisten Aktivisten aus Städten wie Novi Pazar mit großer muslimischer Bevölkerung nach Belgrad. Durch diese interreligiöse Solidarität war es vielen orthodoxen Unterstützern der Proteste möglich, Ostern mit ihren Familien zu verbringen. Die zweiwöchige Aktion wurde zudem selbstbestimmt aufgelöst, nachdem eine der Hauptforderungen – den Lenkungsrat der Medienaufsichtsbehörde öffentlich auszuschreiben – erfüllt worden war.
Die Blockade reiht sich in eine Art Strategiediskussion ein, die sich mit dem Begriff Pumpanje umschreiben lässt. Wörtlich bedeutet dies »pumpen« und soll zum Ausdruck bringen, dass man sich darüber im Klaren ist, dass nur Druck eine wirkliche Veränderung erzwingen kann. Doch genau hier hakt es in der gut organisierten Protestbewegung. Zwar kam es immer wieder zu wilden Streiks, und bestimmte Berufsgruppen – allen voran Juristen, Lehrer, Veteranen und Bauern – waren bei den Protesten sehr präsent, aber eine wirkliche betriebliche Verankerung im Sinne von streikfähigen Strukturen scheint es noch nicht zu geben. Um so mehr wird der gemeinsamen Demonstration am 1. Mai das Potential zu einer »tiefgreifenden Veränderung« beigemessen.
Die Regierung versucht immer wieder, mit eigenen Versammlungen oder skurrilen Aktionen wie einem offensichtlich staatlich finanzierten Protestcamp von »Studenten, die studieren wollen«, gegenzuhalten. Aktuell soll verpflichtender Onlineunterricht die Blockaden der Schulen umgehen. Die Ankündigung zog sofort neue Proteste nach sich. Die Schüler fordern die Annullierung des Schuljahres und kündigten einen Boykott an.
Und auch in der analogen Welt halten die Blockaden. Ein Versuch der Polizei, am vergangenen Montag die sportwissenschaftliche Fakultät in Novi Sad zu räumen, um so den Studienbetrieb wieder möglich zu machen, führte zwar zu einigen verletzten Demonstranten, wurde jedoch durch schnell herbeiströmende Unterstützer der Proteste verhindert. Ein hartes Durchgreifen der Sicherheitsbehörden scheint durch die Breite der Bewegung aktuell nicht möglich.
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