Keine Nebensache
Von Susanne Knütter
Wer hätte das gedacht? Die Organisatoren augenscheinlich nicht. Bei einer von der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) veranstalteten Konferenz zur »gewerkschaftlichen Erneuerung« besteht auch großes Interesse an dem Programmpunkt »Zeitenwende und Kriegsgefahr«. Dicht gedrängt sitzt und steht das Publikum am Sonnabend in einem Seminarraum der Technischen Universität Berlin. Mindestens 40 Interessierte, heißt es, müssen aus Platzmangel draußen bleiben. Dabei haben die Teilnehmer relevante Fragen: Führt diese Zeitenwende in einen heißen Krieg? Ist die IG Metall in der Lage, Beschäftigten von Krisenbetrieben, die von der Übernahme durch einen Rüstungskonzern bedroht sind, eine Alternative anzubieten, langer Arbeitskampf, Werksbesetzung und ähnliches? Welche Rolle spielen die verschiedenen Kapitalfraktionen? Und sie machen deutlich: Der Bundesverband der deutschen Industrie, dessen Anteil an der Herausbildung der politischen »Zeitenwende« Judith Dellheim, ehemals Referentin der RLS, in ihrem Referat beleuchtete, ist nur deshalb so stark, weil die Gewerkschaften ihre Rolle als Gegenmacht nicht wahrnehmen. Und: Wer über das Versagen des DGB spricht, darf auch zu dem der Linkspartei nicht schweigen.
Mittlerweile gibt es Umfragen, in denen sich eine Mehrheit der Deutschen für Aufrüstung ausspricht. Deshalb sei zentral, das stellen Zuhörer wie Redner heraus, die Behauptungen von der russischen Bedrohung und dass es bei der »Zeitenwende« um Verteidigung gehe, als Märchen zu entlarven. Vielmehr sei die erneute Kriegsbegeisterung Ausdruck einer multiplen Krise des globalen Kapitalismus in seiner jetzigen Form sowie Menetekel, wie zukünftig regiert werden wird, erläuterte Ingar Solty, Referent für Friedens- und Sicherheitspolitik der RLS: Die Weltordnung mit den USA als Hegemon, wo der größte Anteil des weltweiten Bruttosozialprodukts produziert wird, komme an ihr Ende. China sei mittlerweile ebenbürtig bei allen neuen Technologien von Smart City über Big Data bis KI. Bei grünen Technologien ist die Volksrepublik sogar Weltmarktführerin. Die Versuche des Westens, mit Konjunkturpaketen wie dem Chips Act oder »Next Generation EU« Chinas Weg zu kopieren, sind gescheitert. Die Aufkündigung des Freihandels und die Zollpolitik sind Ausdruck dessen, so Solty. Die USA, die militärisch weiterhin Weltmacht sind, setzen nun auf Krieg. Die Forcierung der Unabhängigkeit Taiwans von der Volksrepublik etwa sei ein Rezept für den Dritten Weltkrieg. Denn China habe immer betont, dass es ein unabhängiges Taiwan nicht zulasse.
Und die BRD? Deren Exportkapitalismus ist aufgrund nicht mehr konkurrenzfähiger Energiepreise in einer tiefen Existenzkrise. Die Aufkündigung des Sozialmodells, wie z. B. bei Volkswagen, habe damit zu tun. Ebenso die Arbeitszeitverlängerung auf 42 Stunden, die in den jüngsten TVÖD-Tarifabschluss Eingang gefunden hat, oder die neuerliche Debatte um die Rente mit 70. Der künftige Kapitalismus, schlussfolgert Solty, wird ein gänzlich anderer sein.
Begleiterscheinung dieser Krise ist der rasante Aufstieg von rechten, angeblichen »Antiestablishmentparteien«. Mit dem »Kampf gegen rechte Einstellungen und Organisationen im Betrieb« beschäftigte sich am Nachmittag ein anderer Workshop: Keine Aufstiegschancen, Angst vor permanenten Restrukturierungen im Betrieb, ob der Lohn am Ende des Monats reicht und man nächstes Jahr überhaupt noch einen Job hat – all das gebe Nährstoff für autoritäre Orientierungen, erläuterte Richard Detje vom Institut für sozialwissenschaftliche Forschung in München in seinem Beitrag. Die Rechte habe (im Gegensatz zur Linken) »Krisenbewusstsein und eine Erzählung«: Leistung sei das Sicherheitsversprechen des Kapitalismus und müsse sich endlich wieder lohnen. Weil die Lohnabhängigen aber trotz aller Bemühungen auf keinen grünen Zweig kommen, müssten Sündenböcke zur Erklärung herhalten: Migranten, Bürgergeldbezieher, »die Politiker«. So gehe im Großen und Ganzen die Erzählung von der Gesellschaft, wie sie funktioniere und wer sie kaputtmache.
Rechte nutzten Unsicherheiten gezielt aus. Sie wetterten nicht in erster Linie gegen migrantische Kollegen, sondern gegen die DGB-Gewerkschaft im Betrieb. Das veranschaulichte etwa Christiane Wüstner von der Vertrauenskörperleitung bei VW in Zwickau. Obwohl die IG Metall im Dezember eine Beschäftigungssicherung für die Festangestellten bei VW erreichen konnte, gibt es keine Garantien für die Zeit nach 2030. Das zu Zentrum, einer rechten Pseudogewerkschaft, die seit 2017 im VW-Werk vertreten ist, gehörende »Bündnis freier Betriebsräte« (BfB), das seit 2018 von Wahl zu Wahl die eigenen Mandate im Zwickauer Betriebsrat erhöhen konnte, nutzt diese Unsicherheit für Agitation gegen die IG-Metall-Betriebsräte.
Dass an der von Rechten vorgebrachten Kritik am »Komanagement« der Gewerkschaftsführungen leider viel zuviel dran ist, wurde auf dem Podium allenfalls dosiert thematisiert, vom Publikum dafür um so mehr. So befeuerten Gewerkschaften die Konkurrenz der Lohnabhängigen durch ihre Tarifpolitik. Rechte Listen wie »Zentrum« hätten es dann leicht, zu sagen: »Die IG Metall vertritt die IG Metaller oder die Stammbeschäftigten, wir vertreten alle Beschäftigten.«
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