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Aus: Ausgabe vom 05.05.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Musik

Eine dankbare Arbeit

Zum 80. Jahrestag der Befreiung: Uraufführung des neuen Werks von Hannes Zerbe nach Motiven von Dmitri Schostakowitschs 7. Sinfonie
Von Gisela Sonnenburg
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Hannes Zerbe dirigiert sein Jazzorchester

Musik kann vieles ohne Worte sagen, sogar im prophetischen Sinn. Sie kann zudem Mut machen, ohne Greuel zu verschweigen. Genau so verhält es sich mit der »Leningrader Sinfonie« (7. Sinfonie in C-Dur) von Dmitri Schostakowitsch. Er schrieb sie 1941/42, zu Beginn der Blockade der Stadt Leningrad. Diese begann am 9. September 1941. Hitlers Schergen wollten Leningrad durch Aushungern und Isolation vernichten. Ein Kriegsverbrechen. Nach Meinung der aktuellen russischen Regierung war es auch ein Genozid. Schostakowitschs Musik dazu klingt so: zunächst ruhig. Fast erhaben. Doch die Sanftmut täuscht.

Es ist eine gruselige, unheimliche Ruhe, der alles entspringt. Denn die Stadt war wie in einem surrealen Zustand des Schreckens erstarrt. Leben verdiente kaum noch seinen Namen. Es gab keine Enten mehr im Park. Keine Krähen mehr auf den Bäumen. Keine Ratten mehr in den Schächten. Keine Hunde bellten, keine Katzen miauten. Dafür gab es Kannibalismus mit Leichen. Es wurde nicht mehr gegessen, was man zu fassen bekam. Menschen starben massenhaft. Auf offener Straße, zu Hause, bei der Arbeit. Die entkräfteten Lebenden schafften kaum die Grablegungen.

Diesem Grauen setzt Schostakowitsch in seiner 7. Sinfonie bewusst lyrisch transzendierende Klänge entgegen. Das ist die Erinnerung an das normale Leben. Bis mit harten Rhythmen der Marsch der faschistischen deutschen Armee einsetzt. Ein Feuerwerk der Dissonanz. Am Ende frohlockt dann die Befreiung.

Die Berliner Jazzkoryphäe Hannes Zerbe, gebürtig in der DDR und der jungen Welt eng verbunden, ließ sich von Schostakowitschs Werk inspirieren. Am 8. Mai 2025, an dem sich der Tag der Befreiung Deutschlands vom Faschismus zum 80. Mal jährt, wird Zerbes neues Stück uraufgeführt. Zerbe wird es selbst dirigieren, auf der Veranstaltung der jungen Welt im Theaterkino Babylon in Berlin, und das Hannes Zerbe Jazz Orchester wird in großer Besetzung aufspielen.

»Es ist eine dankbare Arbeit, zu diesem Thema zu musizieren«, sagt Zerbe. Besonders schätze er die Sinfonien von Schostakowitsch. Der wurde 1906 in Sankt Petersburg geboren, seine Mutter war Pianistin. Als Elfjähriger sah »Mitja« wie ein Arbeiter auf einer Demonstration von der Polizei erschossen wurde. Unter diesem Eindruck begann er zu komponieren, schuf noch als Kind seine »Hymne an die Freiheit« und den »Trauermarsch für die Opfer der Revolution«. Die Russische Revolution 1905 beschäftigte ihn sein Leben lang.

Auf dem Konservatorium wurde er von Alexander Glasunow gefördert, obwohl dieser Schostakowitschs Musik als zu modern empfand. Aber Glasunow spürte, dass diesem jungen Mann die Zukunft gehörte. Und wirklich: Trotz chronischer Erkrankung an Tuberkulose wurde Dmitri Schostakowitsch schon mit der ersten Sinfonie 1925 berühmt. In rascher Folge schrieb er die weiteren.

Die 7. Sinfonie hat einen exponierten Stellenwert. Sie formuliert einen Kommentar zu einem damals noch anhaltenden geschichtlichen Ereignis. Denn erst am 27. Januar 1944 wurde die Leningrader Blockade dank der Roten Armee beendet. Mehr als eine Million Menschen waren bis dahin an den Folgen der Unterversorgung zugrunde gegangen. Dennoch gab es Bestrebungen, auch das Kulturleben aufrechtzuerhalten. Der Wille der Leningrader war stark. Das spiegelt sich in der Musik wider.

Einen der schönsten Momente der »Leningrader Sinfonie« hat Hannes Zerbe in seiner Sprache des Jazz so umgesetzt: »Nach endlosem Marsch mit dem Schlagzeug kommt ein einfaches Motiv, vom Sopransaxophon vorgestellt. Das ist wie Atemholen und Frieden spüren.« Auch Schostakowitsch, der damals in Leningrad lebte, wollte Kraft geben. Im Oktober 1941 wurde er zwar mit seiner Familie ausgeflogen. Aber die Blockade blieb sein Thema. In Kuibyschew an der Wolga (im heutigen Samara) vollendete er das Werk, es wurde im August 1942 dort uraufgeführt. Gewidmet ist es dem Kampf gegen den Faschismus, dem unabwendbaren Sieg über den Feind und auch der Stadt Leningrad.

Für den Wahlberliner Zerbe, 83, ist es eine Ehre und Herausforderung, dazu ein neues Stück zu schaffen. Es wird zugleich eine Hommage an Schostakowitsch. Als Leitmotiv nutzt Zerbe vier Töne, die sich aus den Initialen von Schostakowitsch ergeben: »D–Es–C–H«. Als »DSCH«, auf der deutschen Schreibweise beruhend, gibt es das Motiv schon bei Schostakowitsch. Der zitierte sich damit häufig selbst: das Namensmotiv als musikalische Signatur. Und so endet auch das neue Werk von Hannes Zerbe mit diesem Motiv: beinahe besinnlich.

»Das Banner des Sieges weitertragen! 80. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus«

Referate von Ksenia Chepikova (Historikerin) und Arnold Schölzel (jW-Chefredaktion)

Podiumsdiskussion mit Andrea Hornung (SDAJ), Taylan von DIDF, Manfred Sohn (Vorsitzender der Marx-Engels-Stiftung), Hans Bauer (GRH), Moderation: Daniel Bratanovic (jW-Chefredaktion)

Kulturprogramm:
Das Hannes Zerbe Jazz Orchester spielt eine neue Komposition von Hannes Zerbe (Orchesterleiter) mit Motiven von Dimitri Schostakowitsch, u. a. aus seiner 7. Sinfonie in C-Dur (»Leningrader Sinfonie«).

Isabel Neuenfeld spielt Lieder zum Tag des Sieges. Stimme und Akkordeon

Moderation: Gina Pietsch

Donnerstag, 8. Mai 2025
Ort: Babylon Kino, Rosa-Luxemburg-Str. 30, 10178 Berlin
Beginn: 18 Uhr, Einlass ab 17.30 Uhr
Eintritt: 9 Euro (ermäßigt), 18 Euro (normal), 24 Euro (Soli)

Änderungen vorbehalten.

Tickets erhältlich unter:
www.jungewelt-shop.de/Tickets

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