Grie Soß
Von Maxi WunderUdo hat die 1.-Mai-Demo diesmal nicht richtig ernst genommen. Mit roter Clownsnase und grellblauer Lockenperücke führte er irgendwo in der Mitte des Zugs eine Schar von Kindern an. Fröhlich grölte er mit ihnen: »Von den blauen Bergen kommen wiiir, unser Kanzler ist genauso doof wie wiiiir! Mit dem Puschel auf der Glatze sieht er aus wie Omas Katze, von den blauen Bergen kommen wir!« – »Udo, das ist doch kein Karneval«, ermahnt ihn Doris, aber Udo ist gewillt, sich zu amüsieren. »Wenn Demos schon politisch nichts ausrichten, sollen sie wenigstens Spaß machen«, rechtfertigt er sich. »Außerdem swingt dieses Kinderlied so schön, hör mal: ›Von den blauen Bergen kommen wir, unser Kanzler ist genauso doof wie wir! Mit Milliarden in der Tasche legt er’s Land in Schutt und Asche, und bezahlen für den Blödsinn sollen wiiiir!‹« Weil seine kleinen Follower diese Strophe noch nicht verstehen, singen sie einfach die bekannte Version mit dem Lehrer: »Mit der Brille auf der Nase sieht er aus wie ’n Osterhase …!« – Udo ist entzückt.
»Wie jeden 1. Mai ist mir das Wetter zu gut«, meckert Rossi. Sie erträgt keine Hitze mehr. Plötzlich zappelt so ein Verrückter vom Bürgersteig auf uns zu: »Immer unzufrieden mit denen da oben oder was?« krakeelt er. »Wer kann’s denn besser? Ihr meint wohl, die AfD rettet euch oder wie? Verführt hier einfach die Jugend, scheiß Spaßguerilla!« Udo macht vor dem verdutzten Wutbürger einen Kratzfuß: »Du fragst dich, welche Regierung die beste sei, mein Freund? Ich sag’s dir: Diejenige, die uns lehrt, uns selbst zu regieren. Das war: Goethe! … Weiter, Kinder! Von den blauen Bergen kommen wiiiir …«
Das von Udo zitierte Bonmot zur besten Regierungsform stammt aus Goethes »Maximen und Reflexionen«, 1826. Auch die Wurzeln des Kinderlieds reichen bis ins 19. Jahrhundert. Es ist eine humoristische Weiterentwicklung des Standards »She’ll Be Coming ’Round the Mountain«, ursprünglich ein Spiritual. Die Historie der folgenden Kräuterorgie ist indes unklar, man vermutet ihren Ursprung in Frankreich oder der Lombardei:
»Grie Soß« – Frankfurter Grüne Soße
Für die Soße je 25 g von sieben frischen Kräutern, nämlich Borretsch, Kerbel, Kresse, Petersilie, Pimpinelle, Sauerampfer und Schnittlauch sorgfältig waschen, trockenschütteln und sehr fein hacken. Alternativ vorsichtig mit dem Mixer zerkleinern, beiseitestellen. Vier Eier hart kochen. Die Eier schälen, das Eigelb durch ein Sieb streichen, das Eiweiß fein hacken, beiseitestellen. 250 g Schmand und 250 g saure Sahne mit einem TL Senf, einem EL Essig oder Zitronensaft und Salz und Pfeffer sowie etwas Zucker nach Geschmack miteinander verrühren. Kräuter und Eier unterheben. Abschmecken und im Kühlschrank ca. eine Stunde ziehen lassen. Währenddessen noch ein paar harte Eier und Pellkartoffeln kochen. Die kalte Soße über die geviertelten Eier und die Kartoffeln geben. Dazu Apfelwein reichen.
Wer die Kanzlerwahl dadaistisch bewältigen will, kann zum »Grüne-Soße-Denkmal« in Frankfurt am Main pilgern. Es ist bislang das einzige deutsche Denkmal, das einer Soße gewidmet ist.
»Wenn Demos schon politisch nichts ausrichten, sollen sie wenigstens Spaß machen«, meint Udo
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