Es kommt auf die Basis an
Von Santiago Stavale, Buenos Aires
Es ist bereits der zweite 1. Mai an dem in Argentinien gegen die Regierung von Präsident Javier Milei protestiert wird, in dieser Zeit haben sich die Gründe zum Protest vervielfacht. Schon zum Vorabend des internationalen Kampftags der Arbeiterklasse hatten die Gewerkschaftsverbände CGT und CTA gemeinsam mit sozialen Bewegungen aufgerufen, die traditionellen Rentnerproteste im Land mit einer großen Mobilisierung zu unterstützen. Der Aufruf griff anhaltenden Kaufkraftverlust und die Vereinbarung mit dem IWF an. Denn die Lebensbedingungen der Arbeiter verschlechtern sich von Monat zu Monat, während die Regierung ihre Angriffe fortsetzt. Auch wenn sie bislang nicht in eine organisierte Form münden, nehmen die sozialen Proteste im Land zu. Die in den vergangenen Monaten über weite Strecken nahezu erstarrte Gewerkschaftsführung wurde durch diese verschärfte Situation schließlich auch zur Mobilisierung gezwungen.
Überfälliges Zeichen
Tausende Menschen waren dem Fronttransparent der Gewerkschaftsführung, das ein Zitat des verstorbenen Papstes Franziskus zierte, durch die Hauptstadt Buenos Aires gefolgt. »Es gibt keine Gewerkschaft ohne Arbeiter, es gibt keine freien Arbeiter ohne eine Gewerkschaft«, war darauf zu lesen. Die gesteigerte Aktivität der Verbände ist ein gutes, wenn auch überfälliges Zeichen. Denn obwohl die aktuelle Situation eine kämpferische, gewerkschaftliche Führung verlangt, hatten die Gewerkschaften lange zurückhaltend auf den Kürzungskurs der Regierung reagiert. Auf deren Weigerung, etwa Lohnerhöhungen oberhalb der Inflation zuzulassen, folgte lediglich Verhandlungs- und Dialogbereitschaft. Es wäre fatal, wenn die Gewerkschaften die nun anwachsenden Proteste eindämmen würden, anstelle sie anzuführen.
Denn die Situation im Land ist dramatisch. Der Mindestlohn ist auf umgerechnet 250 US-Dollar gesunken, was nur noch knapp 58 Prozent des Grundnahrungsmittelkorbs einer Familie (Canasta básica alimentaria, CBA) und einem Viertel des Armutskorbs (Canasta básica total, CBT) entspricht. Das trifft vor allem den informellen und prekären Sektor, wo es weder Lohnverhandlungen noch Gewerkschaftsvertretung gibt. Auch Rentner trifft der andauernde Kürzungskurs der Regierung besonders heftig, wodurch Senioren zuletzt den sichtbar kämpferischsten Teil der Bevölkerung darstellten.
Die zersplitterte argentinische Linke hatte in dieser Zeit keine sichtbare Alternative zu bieten. Teilweise war es möglich, den Einfluss auf einige Ausschüsse und kämpferische Gruppen in den Gewerkschaften zu erhöhen. Neben dem Aufruf zum Generalstreik und internen Kämpfen gingen ihre Forderungen nicht über die wiederholte Kritik am Regierungskurs hinaus.
Starke Arbeiterklasse
Das Kabinett von Milei hatte zuletzt als Bedingung für einen weiteren Kredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) die Devisenkontrollen im Land gelockert und unbegrenzten Umtausch von US-Dollar im Land ermöglicht. Der Währungskurs darf sich demnach innerhalb einer Spanne von 1.000 bis 1.400 Pesos pro US-Dollar bewegen. Ein sofortiger Kurseinbruch der argentinischen Landeswährung war die Folge. Mileis Deal mit dem IWF bedeutete nicht nur eine unmittelbare Verschlechterung der Löhne – liegt die prozentuale Inflation doch deutlich über den von der Regierung akzeptierten maximalen Lohnerhöhungen, sondern enthält auch Reformen für eine stärkere »Flexibilisierung« der Arbeit und weitere Kürzungen im Sozialwesen.
Die Vergangenheit hat in Argentinien gezeigt, dass die Kämpfe der Arbeiterklasse beeindruckend und erfolgreich sein können. Sie ist nach wie vor stark. Es wird sich zeigen, wie die organisierte Arbeiterbewegung reagiert, wenn die Geduld der Bevölkerung am Ende ist. Wie bei der Mobilisierung der armen Rentner zu sehen war, kommt es in Argentinien aktuell auf diese Basisgruppen an. Schaffen sie es, gegen den Regierungskurs zu mobilisieren, kann sich das Kräfteverhältnis zugunsten der Ausgebeuteten verändern. Die Gewerkschaft muss mittelfristig die Initiative zurückgewinnen, möchte sie den Kürzungsplänen der rechten Regierung und des IWF etwas entgegensetzen.
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