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Aus: Ausgabe vom 03.05.2025, Seite 8 / Abgeschrieben

Angriffe auf die Arbeitszeit

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Die bürgerliche Presse läuft sich zum Angriff auf die Arbeitszeiten warm. Aus einem Kommentar des Handelsblatts von Donnerstag:

Einst war der »Tag der Arbeit« ein Manifest des Leistungswillens, ein Feiertag, der dem Stolz auf die eigene Produktivität gewidmet war. Heute wirkt er wie ein Ritual aus einer anderen Zeit. Und der 2. Mai wird auch schnell noch freigenommen, weil er ein Brückentag ist. (…)

Die Nation bereitet sich schon wieder auf eine weitere kurze Arbeitswoche vor. Allein in Berlin gibt es im Mai drei kurze Arbeitswochen, jedes Mal mit einem Brückentag versehen. Nicht umsonst ist »Brückentag« zu Jahresbeginn das meistgesuchte Wort auf Google. (…)

Die demografische Entwicklung schlägt voll durch, es stört in der Politik nur niemanden. Im EU-Vergleich hat Deutschland mit gut 35 Stunden eine der niedrigsten Wochenarbeitszeiten, was auch an der hohen Teilzeitquote liegt. Im EU-Durchschnitt sind es 37,5 Stunden.

In einer Umfrage der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung wünschten sich acht von zehn Vollzeitbeschäftigten eine Viertagewoche mit entsprechend niedrigerer Wochenarbeitszeit. Dagegen wäre erst einmal nichts einzuwenden, wenn die Befragten nicht auch noch den vollen Lohnausgleich bekommen wollten.

Unterm Strich kann man sagen: Noch nie war der Mangel an Fachkräften so ausgeprägt, gleichzeitig wollen aber Millionen Beschäftigte weniger arbeiten. Die Teilzeitquote steigt, das gesamtstaatliche Arbeitsvolumen sank erstmalig – obwohl die Zahl der Erwerbstätigen wächst. (…)

Also lieber Freizeit statt Geld – und eine Arbeit, die im besten Fall Spaß macht. Gesellschaftlich ist dieser Rückzug ins Private fatal. Wenn immer weniger die Extrameile gehen wollen, stehen auch immer weniger Mitarbeiter bereit, um die sich auftürmende Arbeit zu erledigen.

Nachwuchsführungskräfte winken bei Beförderungen ab, Beamte sichern sich lieber rechtlich ab, als Entscheidungen zu treffen. Und Unternehmernachkommen verkaufen lieber, als sich dem Druck zu stellen, den ihre Eltern ausgehalten haben. Die Folgen: Der Frust wächst, die Produktivität sinkt, und die Innovationskraft schrumpft. (…)

Die völlig berechtigte Forderung von Allianz-Chef Oliver Bäte nach einem Karenztag bei Krankmeldungen – also einem unbezahlten ersten Krankheitstag, wie ihn viele Nachbarländer längst praktizieren – wurde innerhalb von 24 Stunden wieder einkassiert. Nicht etwa, weil sie unsozial wäre, sondern weil der Shitstorm zu groß war. Leistung darf in Deutschland nicht wehtun, nicht mal ein kleines bisschen. (…)

IG BAU-Chef Robert Feiger kündigt in seiner Rede zum 1. Mai in München Widerstand dagegen an:

In seiner Rede zum Tag der Arbeit auf dem Münchner Marienplatz ist der Bundesvorsitzende der Industriegewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt (IG BAU) Robert Feiger unter anderem auf den aktuellen Vertrag der neuen schwarz-roten Koalition eingegangen. Er kritisierte vehement, dass künftig nur noch eine auf die Woche bezogene maximale Obergrenze der Arbeitszeit gelten soll. »Was in dem Koalitionsvertrag so harmlos klingt, ist in Wahrheit ein Angriff auf den Arbeitsschutz, auf unsere Gesundheit und unser Privatleben. Fällt der Achtstundentag weg, bedeutet das längere Arbeitstage, unplanbare Schichten und weniger Erholung.« Er kündigte heftigen Widerstand der Gewerkschaften gegen diese Bestrebung an.

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