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Aus: Ausgabe vom 03.05.2025, Seite 6 / Ausland
Brief aus Jerusalem

Museum der Schande

Brief aus Jerusalem: Das Baramki-Haus wurde seinen Eigentümern geraubt und soll jetzt Toleranz und Verständigung dienen
Von Helga Baumgarten
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Quadratur des Kreises: Das »Museum on the Seam« soll angeblich Toleranz und Verständigung fördern (26.1.2025)

Die Trennlinie zwischen West- und Ostjerusalem nach 1948 verlief genau dort, wo heute die Straße Nr. 1 verläuft, von der Altstadt Richtung Norden. Dort war auch, nicht weit entfernt von der Mauer um die Jerusalemer Altstadt, das Mandelbaum-Tor, die einzige Verbindungsmöglichkeit zwischen dem neugegründeten Staat Israel und den Resten Palästinas unter jordanischer Kontrolle. 1967 besetzte Israel auch Ostjerusalem und die Westbank bis hinunter zum Jordantal und natürlich den Gazastreifen, den Ägypten von 1948 bis 1967 militärisch kontrolliert hatte.

Immer wenn ich, schon in den achtziger Jahren, die Straße 1 entlangfuhr, fiel mir ein arabisches Haus auf, umgeben von billigen neugebauten israelischen Häusern: Es stach einfach durch seine klassische Schönheit heraus. Als ich in den neunziger Jahren anfing, in Birzeit zu lehren, lernte ich natürlich auch Gabi Baramki kennen. Nach der Deportation des Präsidenten der Universität Birzeit, Hanna Nasir, Ende 1974 nach Jordanien hatte er die Leitung der Hochschule als »Acting President« bis zur Rückkehr von Nasir im Mai 1993 übernommen.

Bei einem gemeinsamen Besuch in Jerusalem zeigte ich ihm das Haus, das mich schon jahrelang so beeindruckt hatte. Und dann kam die Überraschung. Gabi Baramki erzählte mir die Geschichte des Hauses: Sein Vater, der Architekt war, hatte es 1932 entworfen und gebaut. Die Familie lebte dort, bis sie 1948 vertrieben wurden. Die israelische Armee machte einen Militärposten daraus, der das Niemandsland mit dem Mandelbaum-Tor kontrollierte.

Direkt nach dem Junikrieg 1967 ging Gabi mit allen Eigentumspapieren vor ein israelisches Gericht, um sein Elternhaus zurückzuerhalten. Das Gericht schmetterte den Antrag mit immer neuen Begründungen ab: Das Haus werde für die israelische Sicherheit gebraucht, es sei baufällig und müsse grundlegend repariert werden, und schließlich, und das sollte entscheidend sein: Im »vereinigten Jerusalem« gelte jetzt israelisches Recht, und Baramki und seine Familie seien, auch wenn sie im Lande lebten und damit physisch präsent seien, »abwesende Eigentümer«. Es ging Baramki wie allen Palästinensern, deren Häuser im Westen der Stadt 1948 von Israel erobert und konfisziert worden waren: Israel weigert sich bis heute, ihnen ihr legales Eigentum zurückzugeben.

Der Umgang Israels mit – oft allerdings nur angeblich – ehemaligem jüdischem Eigentum im Ostteil der Stadt ist völlig anders. Auch wenn dort Land oder Häuser Anfang des 20. Jahrhunderts von europäischen jüdischen Einwanderern erworben worden waren und spätestens ab 1948 von Palästinensern bewohnt wurden, gab Israel die Rechte fast immer und automatisch an israelische Siedlungsorganisationen, da entweder die ursprünglichen Eigentümer nicht mehr lebten oder das Land verlassen hatten oder weil die Eigentumslage umstritten war.

Zurück zum Baramki-Haus. 1981 wurde »der Militärposten« grundsaniert und zu einem Militärmuseum gemacht. 1999 schließlich wurde es transformiert in das »Museum on the Seam«. In den ersten Jahren behielt das Haus seinen Charme, es schien gut erhalten zu werden. Seit einiger Zeit allerdings ist ein offenkundiger Zerfallsprozess im Gang. Die Konzeption des »Museums am Saum« kann dabei nur als Absurdität gebrandmarkt werden: Ein Haus wird den legalen Eigentümern, die vor Ort sind, gestohlen, und wird zum »Museum der Toleranz« proklamiert. 2005 ging Israel noch einen Schritt weiter. Es wurde dem »Dialog und der gegenseitigen Verständigung« gewidmet. Gabi Baramki konnte darüber nur bitter lachen.

2019 gab es zum Beispiel eine Ausstellung mit dem Titel »Jerusalem. Selbstporträt einer Stadt«. Was wurde als ihr entscheidendes Merkmal betont? Dass sie verschiedene Menschen zusammenbringe, obwohl sie meilenweit voneinander entfernt sein mögen. Dass die einen herrschen und die anderen beherrscht werden, wurde verschwiegen, übergangen oder wahrscheinlich gar nicht realisiert. Baramki würde sagen, dass dies alles schlicht eine Schande sei.

Dies ist der 37. »Brief aus Jerusalem« von Helga Baumgarten, emeritierter Professorin für Politik der Universität Birzeit

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