Blackout durch Profitgier
Von Carmela Negrete und Frederic Schnatterer (Madrid)
Nach dem Megablackout von Wochenbeginn ist das Stromnetz in Spanien wiederhergestellt. Jetzt streiten sich Verantwortliche und Parteien darüber, worin die Ursache für den Stromausfall liegt, der die gesamte Iberische Halbinsel für mehrere Stunden im Dunkeln ließ. Besonders wird diskutiert, wer für den »größten Blackout der Geschichte Spaniens« verantwortlich gemacht werden kann. Da eine Cyberattacke, wie sie anfangs zumindest im Raum stand, mittlerweile nahezu ausgeschlossen werden kann, geraten jetzt die privaten Strom- und Netzbetreiberunternehmen ins Zentrum der Debatte.
Der Blackout war plötzlich gekommen. Ab 12.33 Uhr am Montag ging nichts mehr. Mit einem Schlag brach die Stromversorgung in sich zusammen. Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez sprach später von »fünf Sekunden«, in denen 15 Gigawatt Energie »auf einen Schlag« verlorengingen. »Das hat es zuvor noch nie gegeben«, sagte der Regierungschef am Montag abend. Eine Erklärung für den Zusammenbruch blieb er bislang schuldig.
Zu Beginn des Stromausfalls konnte das Ausmaß ohnehin nicht einmal erahnt werden. In der Madrider Nachbarschaft dauerte es eine Weile, bis sich herumsprach, dass es sich um einen landesweiten Blackout handelte. Auch in der Satellitenstadt Getafe gebe es keinen Strom, sagte der Nachbar von oben. Auf der Straße wurde behauptet, nicht nur Spanien und Portugal seien von dem Ausfall betroffen, nein »ganz Europa«. Während einige die Schuld sofort beim russischen Präsidenten Wladimir Putin verorteten, beschossen andere, die plötzlich gewonnene Freizeit und den strahlenden Sonnenschein auf den zahlreichen Plätzen der spanischen Hauptstadt zu genießen.
Ohnehin hielt sich das besonders von rechten Panikmachern und der internationalen Presse heraufbeschworene Chaos am Montag in Grenzen. Zwar blieben Verkehrsampeln dunkel, U-Bahnen und Fernzüge machen auf halber Strecke Halt, und Telefon- und Internetverbindungen brachen zusammen. In Madrid wie auch in anderen Großstädten versammelten sich Personengruppen um batteriebetriebene Radiogeräte im Freien, um an die spärlich zirkulierenden Informationen zu gelangen. Nachbarn unterstützten einander, wo es nur ging. Und anders als von einigen heraufbeschworen, kam es nicht zu mehr Kriminalität – in Madrid lag diese laut offiziellen Quellen am Montag gar 70 Prozent unter dem Durchschnitt.
Am Dienstag – da gab es auf der gesamten Iberischen Halbinsel wieder Strom – berichteten Medien, infolge des Blackouts seien insgesamt fünf Menschen ums Leben gekommen, darunter drei Personen durch eine Kohlenmonoxidvergiftung in Galicien. Seitdem warnt die sozialdemokratische Regierung um Sánchez einerseits davor, über die Ursachen des Blackouts zu spekulieren. Andererseits betont sie, »allen Hypothesen« nachgehen zu wollen. Am Dienstag hatte Sánchez versichert: »Was gestern passiert ist, darf sich nicht wiederholen. Und wir werden natürlich die privaten Betreiber zur Rechenschaft ziehen.« Eine offizielle Erklärung blieb zunächst aus. Klar wurde jedoch, dass der Präsident damit auf mögliche Mängel in der Infrastruktur oder auf Versäumnisse bei der Kommunikation über den Vorfall anspielte.
Die Regierung kündigte eine »unabhängige Untersuchung« an – auch unabhängig von Red Eléctrica, dem halbprivaten Unternehmen, das das nationale Stromnetz koordiniert. An Red Eléctrica hält der US-Vermögensverwalter Blackrock rund vier Prozent der Anteile, der reichste Spanier, Inditex-Chef Amancio Ortega, etwa fünf Prozent.
Sánchez traf sich am Dienstag mit den privaten Stromanbietern Iberdrola, Endesa, EDP, Acciona Energía und Naturgy und erklärte, man wolle die Verantwortlichkeiten klären. Red Eléctrica versicherte am Dienstag, dass es sich keinesfalls um eine Cyberattacke gehandelt habe – entgegen den Spekulationen, die am Montag in sozialen Netzwerken, aber auch durch den Geheimdienst CNI, verbreitet wurden.
Für den Energieexperten Antonio Turiel vom spanischen Nationalen Forschungsrat (CSIC) steht der Stromausfall im Zusammenhang mit dem unzureichenden Ausbau des Stromnetzes und dem Verhalten einzelner privater Akteure – also damit, was diese getan oder unterlassen haben, um ihre Profite zu sichern. Davor habe er in der Vergangenheit wiederholt gewarnt: »Um ein wenig mehr Geld zu verdienen, haben sie das Land in Dunkelheit gestürzt«, erklärte Turiel dem linken Fernsehsender Canal Red. »Beim nächsten Mal könnte es Tage oder sogar Wochen dauern, bis ein solcher Vorfall behoben ist.«
Der Grund liege laut Turiel darin, dass viele Anlagen, die Strom aus erneuerbaren Energieträgern produzieren, ohne ausreichende Netzstabilisierung installiert wurden – aus Kostengründen. Außerdem hätte man Gaskraftwerke in Bereitschaft halten müssen, um auf solche Eventualitäten reagieren zu können. Diese seien jedoch abgeschaltet gewesen, weil zu diesem Zeitpunkt der Strompreis auf dem Markt sehr niedrig war und ein Betrieb Verluste verursachte.
Die linke spanische Partei Podemos forderte angesichts der Ereignisse die Verstaatlichung bzw. Enteignung der Energie- und Telekommunikationsunternehmen: »Die öffentliche Kontrolle über den Energie- und Telekommunikationssektor muss für unser Land absolute Priorität haben.« In einem Fall wie dem Blackout zeige sich, dass nur die öffentliche Daseinsvorsorge Sicherheit garantieren könne, so Parteichefin Ione Belarra. Die spanische Regierung müsse sich darauf konzentrieren, diese sicherzustellen und den Kurs der militärischen Aufrüstung hinter sich zu lassen. Und Atomkraft sei – wie der Vorfall gezeigt habe – keineswegs eine Alternative, sondern vielmehr ein Hindernis. In einem kritischen Moment habe man im Gegenteil große Mengen Energie in die Atomkraftwerke einspeisen müssen, um diese zu stabilisieren.
Die Koordinatorin des Bloco de Esquerda (Block der Linken) in Portugal, Marina Mortagua, sprach von einem »Fehler«. Das sei die Privatisierung der Stromnetze gewesen, die nun in ausländischen Händen lägen. »Mehr denn je zeigt sich, dass die Souveränität Portugals von seiner Fähigkeit abhängt, die Stromverteilungssysteme und das Stromnetz zu verwalten und zu kontrollieren. Deshalb ist es offensichtlich, dass ein öffentliches Netz nicht alle Probleme lösen würde, aber dieses Ereignis hat uns gezeigt, wie sensibel das Management eines solchen öffentlichen Netzes ist, wenn es im Dienst von Interessen steht, die nicht die des Landes sind.«
Hintergrund: Aufrüstung im Dunkeln
Ungelegen dürfte der Megablackout der Regierung um Ministerpräsident Pedro Sánchez zumindest in einem Punkt nicht gekommen sein: Die Debatte über die erhöhten Militärausgaben, die zuvor auch innerhalb der eigenen Koalition tobte, ist erst einmal verstummt. Der Stromausfall und die Suche nach den Verantwortlichen überlagert alles.
Deutlich wird das an der Tagesordnung des Parlaments. Eigentlich war geplant gewesen, am kommenden Mittwoch vor allem über das Plus an Militärausgaben von knapp 10,5 Milliarden Euro zu debattieren, das Spanien noch in diesem Jahr das Zweiprozentziel der NATO erreichen lassen soll. Nun berichteten mehrere Medien, am selben Tag solle im Kongress auch der Blackout vom Montag Thema sein. Die Aufrüstung und insbesondere Kritik am verstärkten Militarisierungskurs der Regierung dürften also in den Hintergrund treten.
Über die Erhöhung der Militärausgaben abstimmen lassen möchte Premier Sánchez ohnehin nicht. Die Entscheidung soll per Dekret gefällt werden, auch weil eine Parlamentsabstimmung höchstwahrscheinlich verlorenginge. Die sozialdemokratische Regierung steht sowohl von links als auch von der rechten Opposition in der Kritik.
In der vergangenen Woche hatte der Ministerpräsident angekündigt, bereits in diesem Jahr statt erst 2029 zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für »Verteidigung und Sicherheit« ausgeben zu wollen. Insgesamt steigt das Budget für den Militärhaushalt damit in diesem Jahr auf 33,1 Milliarden Euro. Sánchez behauptet, das sei möglich, »ohne die Steuern zu erhöhen, ohne einen Cent an Investitionen in den Wohlfahrtsstaat anzutasten und ohne ein höheres öffentliches Defizit zu verursachen«. Kritiker habe daran aus gutem Grund große Zweifel. (fres)
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