Tochter Kurdistans
Von Kurd Mad
Am Morgen des 19. April verabschiedete sich Sirwe Pûrmihemedî, eine 36jährige kurdische Aktivistin und Sprachlehrerin, mit erhobenem Kopf von ihrer Familie und ihren Freunden. Wenige Minuten später trat sie ihre fünfjährige Haftstrafe im Frauengefängnis der Stadt Sanandadsch (kurdisch Sine) in Ostkurdistan im Iran an. Ihr Vergehen: der kulturelle und politische Einsatz für kurdische Sprache, Identität und Freiheit – friedlich, aber konsequent.
Schon vor ihrer Inhaftierung richtete Pûrmihemedî eine Botschaft an die iranische Regierung. Mit den Worten des bekannten kurdischen Dichters Sherko Bekas sagte sie: »Das einzige, was ihr niemals erreichen werdet, ist, die Freiheit aus unserer Seele zu löschen. Ihr könnt unseren Körper einsperren, aber niemals die Freiheit in unseren Seelen.« In der Öffentlichkeit bekannte sie sich erneut zu ihrem Weg: »Als ich die Unterstützung meiner Familie, meiner Freundinnen und Freunde und der kurdischen Bevölkerung spürte, wusste ich, dass ich mich am richtigen Ort befinde. Ich werde meinen Kampf fortsetzen – bis zum letzten Atemzug.«
Sirwe Pûrmihemedî ist lehrt die kurdische Sprache im Kulturverein Nojîn, wo sie sich für den Erhalt und die Förderung kurdischer Kultur einsetzt. Sie war aktiv an der landesweiten »Jin, Jiyan, Azadî«-Bewegung beteiligt – jenem Aufstand, der nach dem Tod von Jina Amini im Herbst 2022 begann und seither insbesondere in Kurdistan zu einem Symbol des Widerstands gegen das iranische Regime geworden ist. Amini war wegen angeblichen Verstoßes gegen das Gesetz über die islamische Kleiderordnung von der iranischen Sittenpolizei in Gewahrsam genommen und misshandelt worden. Sie starb wenige Tage später, vermutlich an den erlittenen Verletzungen. Die Mitglieder von Nojîn sehen sich als Teil eines langfristigen Befreiungskampfes: »Diese Revolution ist die Fortsetzung des über hundertjährigen Widerstands gegen den Kolonialismus in Kurdistan. Auch unser Verein ist Teil dieses Zusammenhangs.«
Pûrmihemedîs erste Verhaftung erfolgte am 29. Januar 2023, als sie das iranische Gericht in der Stadt Sine aufsuchte, um Informationen über inhaftierte Mitglieder ihres Vereins einzuholen. Obwohl zu diesem Zeitpunkt keine Klage gegen sie bestand, wurde sie noch am selben Tag festgenommen. Zwei Wochen lang befand sie sich in Sicherheitsgewahrsam, wo sie verhört wurde. Danach wurde sie gegen Kaution freigelassen – bis zur Urteilsverkündung.
Am 25. November 2024 verurteilte das Gericht sie zu fünf Jahren Haft wegen »Bildung einer Gruppe mit dem Ziel der Gefährdung der iranischen Sicherheit«. Der Vorwurf stützt sich offenbar auf ihr Engagement für kurdische Sprache und politische Bildung. Auch weitere Mitglieder des Vereins Nojîn wurden im Zuge der »Jin, Jiyan, Azadî«-Bewegung inhaftiert.
Die Familie der Aktivistin zeigte sich ebenso standhaft sie selbst. Ihr Vater sagte: »Meine Tochter wird nicht bestraft, weil sie ein Verbrechen begangen hat, sondern weil sie für die kurdische Sprache eintritt. Sie ist nicht nur meine Tochter – sie ist die Tochter Kurdistans. Ich bin stolz auf sie.« Ihre Mutter ergänzte: »Sie geht mit Würde ins Gefängnis. Ich hoffe, dass der Tag kommt, an dem diejenigen vor unserem Gericht stehen, die heute unsere Kinder verurteilen.«
Für Pûrmihemedî ist die Haft keine Niederlage, sondern Teil ihres politischen Wegs. »Diese Urteile zeigen die Ohnmacht des iranischen Kolonialismus – und sie zeigen, dass die Gesellschaft Kurdistans lebt. Nach dem großen Newroz-Fest, das dieses Jahr in allen Städten Kurdistans gefeiert wurde, reagierte das Regime mit verstärkten Repressionen. Doch wir lassen uns nicht einschüchtern.«
Die Lehrerin steht exemplarisch für viele Aktivistinnen der kurdischen Freiheitsbewegung, die sich für Menschenrechte, kulturelle Selbstbestimmung und politische Teilhabe einsetzen. Die »Jin, Jiyan, Azadî«-Bewegung hat dabei nicht nur einen politischen, sondern auch einen kulturellen Wandel angestoßen. Sirwe Pûrmihemedî stellt klar: »Das Gefängnis ist nur eine weitere Station des Widerstands. Ich werde weiterkämpfen – bis Kurdistan frei ist.«
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