Am Ende versöhnt
Von Gisela Sonnenburg
Am Anfang war nicht das Wort, sondern der Berg. Sofern es um das neue Jazzstück des Berliner Musikers und Komponisten Florian Bergmann geht. »Quattro Montagne« (»Vier Berge«) lautet der italienische Titel des Werks, das am kommenden Dienstag in der Reihe »jW geht Jazz« in der Maigalerie der Tageszeitung junge Welt in Berlin uraufgeführt wird. Zwei Musiker und eine Musikerin sind im Einsatz: Bergmann, der 2011 den Hanns-Eisler-Preis für zeitgenössische Interpretation erhielt, spielt Klarinette und Bassklarinette, Ignaz Schick bedient nicht zwei Turntables, sondern nur einen Plattenspieler, Taiko Saito spielt Vibraphon. Die drei werden mit dem neuen Stück vertraut genug sein, um die darin vorhandenen Freiräume zur Improvisation zu nutzen. Obwohl sie nur am Tag der Uraufführung proben, was im Jazz freilich nicht unüblich ist.
Der Kurator der Veranstaltungsreihe Hannes Zerbe hat zum einjährigen Jubiläum – die erste Folge von »jW geht Jazz« fand am 7. Mai 2024 statt – was ganz Besonderes auf den Plan gesetzt. Auch wichtig: Florian Bergmann nutzt außer herkömmlichen Noten die Methode der graphischen Notation. Symbole stehen hier für Klänge: Strich-, punkt- und blockförmige Zeichen bedeuten bestimmte Anweisungen für die Interpreten. Entwickelt wurde die graphische Notation im 20. Jahrhundert im Umfeld von John Cage und Karlheinz Stockhausen.
Bergmann ist nicht bloß Jazzer, er komponiert auch E-Musik. Zarte Klänge korrespondieren bei ihm mit dramatischen Steigerungen. Verspieltes, Düsteres, Ergreifendes ergänzen sich wechselseitig. Allerlei Geräusche, Sounds sind zu hören. Mit »Quattro Montagne« bezeichnet Bergmann die gedankliche Reise durch eine Hügellandschaft. Konkrete Berge sind nicht gemeint, eher ein Gebirge der Phantasie, in dem man sich frei bewegen darf. Was das Italienische anbelangt, sagt Bergmann: »Meine Frau ist Italienerin, wir sprechen daheim viel Italienisch.« Ob es in seiner Musik um die Toskana, den Apennin oder den Brenner geht, darf jeder selbst entscheiden.
Stark verbunden ist die graphische Notation mit der elektronischen Musik. Bergmann: »Da kommt man ja mit ›c‹ und ›g‹ nicht weit.« Wenn Sounds dominieren, braucht es andere Mittel. Ein ausgefeiltes System ist die graphische Notation aber nicht. Jeder, der sie anwendet, entwickelt sie weiter. Beim Ablesen und Umsetzen gibt auch der praktizierende Musiker etwas von sich dazu. Ignaz Schick etwa, der an der Akademie der Bildenden Künste in München studierte, benutzt den Plattenspieler als Instrument, erzeugt damit Aufregendes, Schräges.
Taiko Saito dürfte Besuchern der »jW geht Jazz«-Reihe bereits bekannt sein. Die gebürtige Japanerin studierte in Tokio, danach an der Berliner Universität der Künste. Sie ist eine Meisterin am Xylophon, beherrscht eine Reihe Spielarten. 2024 gewann sie den Deutschen Jazzpreis, ist auch in der Klassik keine Unbekannte.
Das typische Auf und Ab von Bergen und Tälern nimmt im Stück musikalische Formen an. Seine vier Sätze entfalten je eigene Temperamente. Eines ist hüpfend-punktuell, im Stakkatostil, akkordreich komponiert. Am Ende aber gewinnt das Flächige, Vereinende. Man kann auch Versöhnung dazu sagen.
»Quattro Montagne« am 6. Mai um 19.30 Uhr (Einlass ab 18.30 Uhr) in der Maigalerie der jungen Welt, Torstraße 6, 10119 Berlin. Eintritt: 10 Euro (erm. 5 Euro), Anmeldung erbeten unter: 0 30/53 63 55-54 oder maigalerie@jungewelt.de
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