Krieg der Zeichen
Von Reinhard Lauterbach
Warum der ukrainische Präsident die Drohung eines Angriffs auf die russische Siegesparade am 9. Mai in die Welt gesetzt hat, ist klar: Er will den Feiertag verderben und der Welt demonstrieren, dass Russland verwundbar ist. Das hat dagegen bei den bisher drei Gelegenheiten, als es die Parade zum ukrainischen Unabhängigkeitstag am 24. August hätte bombardieren können, auf solche Attacken verzichtet. Man kann sagen, es habe doch nichts zu bedeuten, wenn Russland täglich ukrainische Städte beschieße. Mag sein, und den Opfern solcher Angriffe kann es erst recht egal sein, an welchem Datum sie getroffen werden. Aber manchmal kommt es sogar im Krieg auf das Symbolische an.
Auf dieser Ebene geht es inzwischen offenbar beiden Seiten darum, den US-Präsidenten für sich einzunehmen und im Hintergrund die eigenen Pläne fortzuspinnen: Russland, die Ukraine als diejenige Seite darzustellen, die keine Waffenruhe wolle, und derweil weitere Fakten auf dem Schlachtfeld zu schaffen; der Ukraine offenbar, Eskalationsfähigkeit zu zeigen und im übrigen Zeit zu gewinnen, um eine EU-»Stabilisierungstruppe« unter Dach und Fach zu bringen. Die wäre in der Praxis ohnehin eher eine Destabilisierungstruppe. Jetzt will Kiew Moskau den Schwarzen Peter zuschieben, wie es mit dieser Provokation umgeht: entweder mit seinen Drohungen Ernst machen und EU-Truppen in der Ukraine als militärische Ziele behandeln – aber sich dann auch im offenen Kriegszustand mit den Entsendestaaten zu befinden. Oder die Stationierung zu schlucken und damit nicht nur politisch das Gesicht zu verlieren, sondern auch genau das hinzunehmen, zu dessen Verhinderung der Krieg 2022 begonnen wurde: die Expansion westlicher Militärstrukturen in die Ukraine. Dass der die Perspektive eines mindestens europäischen Krieges egal ist, liegt auf der Hand. Sie hat nichts Wesentliches zu verlieren, wenn die Eskalation weitergeht.
Als Verbeugung – diesmal Russlands – vor den imperialen Interessen der USA gegenüber Kiew muss man wohl die Aussage des Chefs der russischen Atombehörde Rosatom verstehen, natürlich könne man mit den USA über deren Forderung diskutieren, die Kontrolle über das russisch besetzte AKW Saporischschja zu übernehmen. Es ist heute für beide Seiten nutzlos; um den Betrieb sicher wiederaufzunehmen, liegt es zu nahe an der Frontlinie. Diese verläuft am Werkszaun an der Flussseite. Die Option, aus einem unter US-Leitung stehenden Kraftwerk wieder Strom beziehen zu können, weil sich die Ukraine einen neuerlichen Beschuss des AKW nicht mehr würde leisten können, könnte aus russischer Sicht den Versuch wert sein, hier mit Trump zu einem »Deal« zu kommen. Schnelle Ergebnisse wären ohnehin nicht zu erwarten. Allein der Wiederaufbau des Staudamms würde Jahre dauern. Aber der politische Wille wäre gezeigt. Das zählt im Krieg der Zeichen.
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