»Sie waren bei allem eingesetzt, was wichtig war«
Interview: Gitta Düperthal
Die designierte Bundesregierung hat sich auf die Fahne geschrieben, Aufnahmeprogramme für Menschen, die aus Afghanistan flüchten müssen, beenden zu wollen und keine neuen mehr aufzulegen. Was bedeutet das für die sogenannten Ortskräfte, für die Sie sich engagieren?
Im Koalitionsvertrag von Union und SPD findet sich die Formulierung, man wolle »freiwillige Aufnahmeprogramme« beenden. Das Ortskräfteverfahren ist aber kein freiwilliges Verfahren, sondern eine Verpflichtung gegenüber Menschen, die ihren Arbeitgeber, die Bundesrepublik Deutschland, in Afghanistan unterstützt haben. Es ist ein Missverständnis, wenn es heißt, es gehe nur um Beschäftigte im militärischen Bereich für die Bundeswehr. Die meisten derer, die noch auf Aufnahme in Deutschland warten, sind zivile Kräfte. Insgesamt ist das sogenannte Ortskräfteverfahren zu eng gefasst.
In welchen Bereichen waren diese Betroffenen tätig?
Sie haben die Bundeswehr, die Bundespolizei, die Deutsche Botschaft, das Goethe-Institut und die KfW-Bank unterstützt sowie die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit in der Entwicklungszusammenarbeit. Die GIZ hat ihren verbleibenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ende 2024 gekündigt. Sie waren bei allem eingesetzt, was wichtig war: als Sprachmittler, Ortskundige, Sicherheits- oder Reinigungskräfte sowie in relevanten verantwortlichen Tätigkeiten in der Verwaltung oder im Risikomanagement. Die Zusammenarbeit resultierte auf Vertrauensbasis, aber nicht nur. Diese Menschen waren bereits überprüft. Uns stört, wenn im Zusammenhang mit ihnen von »Sicherheitsrisiken« die Rede ist.
Verfolgen die Taliban diese Menschen politisch?
Schwer zu sagen, was ihnen dort droht. Weil die Taliban keine Justiz haben, wie wir sie kennen, wissen die Betroffenen nicht, in welche Gefährdungslage sie geraten können. Es gibt Hausdurchsuchungen, Befragungen per Telefon, Inhaftierungen. Alles wirkt willkürlich. Auch wer sich sicher fühlte, kann plötzlich vom Geheimdienst verhört werden.
Warum ist es schwierig, diese Menschen zu retten?
Wie wir weiß die Bundesregierung auch, dass es nun meist noch um die Aufnahme ziviler Ortskräfte geht. Etwa 4.000 warten noch auf Aufnahme. Wer Afghanistan verlassen will, muss zunächst nach Pakistan. Manche sind bereits dort, andere konnten sich die benötigten bis zu 800 US-Dollar für ein Visum nicht leisten. Sie müssen Gefährdungsanzeigen per Mail stellen, um ins Ortskräfteverfahren aufgenommen zu werden. Aktuelle Ortskräfte werden pauschal abgelehnt: Sie hätten unter Taliban-Herrschaft ihre Arbeit fortgesetzt. Impliziert wird, sie hätten das Risiko wissentlich in Kauf genommen. Daher müsse man ihnen nicht helfen. Sie erhalten eine Standardabsage – ohne Einzelfallprüfung. Das halten wir für problematisch.
Setzen Sie sich auch beispielsweise für afghanische Frauenrechtlerinnen ein, die auf Aufnahme warten?
Die Lage für Frauen ist ganz ohne Zusatzgefährdung – als Aktivistin oder Ortskraft – bereits fatal. Fast alle Berufe und Tätigkeiten sind ihnen verboten. Sie können sich kaum aus dem Haus wagen, ohne »triftigen Grund«. Bestraft wird willkürlich. Eine Freundin wurde dafür angegangen, dass sie »falsch« schauen würde. Sie war komplett schwarz verschleiert bis auf die Augen. Die Schwägerin einer Ortskraft, die wir versucht hatten, ins Bundesaufnahmeprogramm zu bringen – und leider bisher keine Zusage erhielt – ist als Frau sowie aufgrund ihrer Ethnie und dem damit verbundenen Wohnort bedroht. In dem Viertel in Kabul, in dem vor allem Hazara leben, werden immer wieder kleine Linienbusse in die Luft gesprengt. Wir sind in Kontakt mit erwachsenen Töchtern von Ortskräften, die in Taliban-Haft misshandelt wurden. Mindestens eine von ihnen, die uns bekannt ist, wurde dort vergewaltigt. Sie werden ebenso unabsehbar wieder freigelassen, wie man sie festnahm. Sie teilen das Schicksal vieler Frauenrechtsaktivistinnen.
Lena Reiner ist Projektleiterin in Baden-Württemberg beim Patenschaftsnetzwerk für Ortskräfte aus Afghanistan
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