Labor knapp vorn
Von Thomas Berger
Lange sah es wegen schlechter Popularitätswerte nicht danach aus. Aber geht es nach dem aktuellen Stand der Dinge, hat der sozialdemokratische Amtsinhaber Anthony Albanese gute Chancen, Premierminister Australiens zu bleiben. Unmittelbar vor der Parlamentswahl an diesem Sonnabend kann die regierende Australian Labor Party zwar nicht gerade einen Höhenflug ihrer Beliebtheit verbuchen. Doch noch weniger ist eine klare Wechselstimmung absehbar, von der die oppositionelle »Koalition« aus Liberalen und Nationalen profitieren könnte. Eine am Donnerstag veröffentlichte Yougov-Umfrage prognostizierte eine Mehrheit für die Labor Party, die womöglich bis zu 85 der 150 Sitze im Abgeordnetenhaus erhalten könne. Die konservative Opposition muss demnach einen Verlust von elf Sitzen befürchten – und ihr schlechtestes Ergebnis seit 1946. Was sich bei aller Ungewissheit, die bleibt, aber relativ verlässlich sagen lässt: Vielleicht nie zuvor in der Landesgeschichte seit der Unabhängigkeit 1901 war die Unzufriedenheit mit den beiden dominanten politischen Kräften so groß.
Mögliche Premiere
Wäre da nicht das Wahlsystem, in dem vieles auf ein Zweiparteiensystem ausgerichtet ist, würde das Regieren im nach Brasilien zweitgrößten Industrieland der südlichen Hemisphäre denkbar schwierig werden. Vor drei Jahren reichten Labor immerhin 32 Prozent, um 77 von 151 Sitzen im Unterhaus zu gewinnen. Vier Mandate für die Grünen, mit 12,3 Prozent drittstärkste Kraft, und der Einzug von gleich zehn Unabhängigen illustrierten aber schon 2022, wie sehr das kollektive »Establishment« aus Sozialdemokraten und Konservativen an Boden verloren hat. Im breiter aufgestellten Senat, der zweiten Parlamentskammer (wo Labor nur 26 von 76 Sitzen hält), musste sich die Regierung ihre Mehrheiten ohnehin mühsam organisieren.
Sollte Albanese gemäß den jüngsten Prognosen tatsächlich sein Amt behalten, wäre er seit langem der erste, dem dies gelingt. An die beiden konservativen Langzeitregierenden Sir Robert Menzies (1949–1966) und John Howard (1996–2007) reichte zwar sowieso kein anderer heran. Doch selten hat seit dem Letztgenannten ein australischer Premier überhaupt eine ganze Amtszeit durchgehalten. Da galt es schon als Fortschritt, dass die drei Albanese-Jahre nun wieder etwas innenpolitische Stabilität brachten. So richtig glänzen konnten er und sein Kabinett aber auch nicht. Das hat neben eigenen Fehlern, Unzulänglichkeiten und Versäumnissen nicht zuletzt mit der geopolitischen Lage zu tun. Bei seinem Amtsantritt war die Coronapandemie gerade im Abklingen. Der Ukraine-Krieg ist für die Menschen in Down Under zwar weit weg, dennoch hat er auch dort Auswirkungen. Und gerade der zuletzt endgültig eskalierte Handelskrieg zwischen den USA und China ist für Australien, das mit beiden Mächten wichtige Handelsbeziehungen unterhält, in wirtschaftlicher Hinsicht Gift.
Dass die Regierung dennoch vergleichsweise gut dasteht, ist weniger eigener Verdienst als die Schwäche des bürgerlichen Lagers. Oppositionsführer Peter Dutton und sein Team gelten vielen nicht als Alternative. Zuletzt hatten die Sozialdemokraten den Bundesstaat Western Australia bei den dortigen Regionalwahlen deutlich verteidigt, was Schwung für den landesweiten Wahlkampf brachte.
Abgehängt im Outback
Im dünnbesiedelten Norden ist vielleicht am deutlichsten zu sehen, dass sich viele Menschen von der Politik insgesamt im Stich gelassen fühlen. Das Northern Territory entsendet nur zwei Abgeordnete ins Zentralparlament. Einen Wahlkreis bilden Darwin, das vorgelagerte Palmerston und kleinere Vororte. Der ganze Rest des ausgedehnten Nordens, von Katherine bis Alice Springs, ist Wahlkreis Nummer zwei – der mit der geringsten Wahlbeteiligung landesweit, wie einheimische Medien betonen. Bei einem besonders hohen Anteil an indigener Bevölkerung unterlassen es dort viele, überhaupt ihr Wahllokal aufzusuchen und ein Kreuz zu machen. Der Kampf um mehr indigene Beteiligung an der Politik war außerdem bei einem im Oktober 2023 abgehaltenen Referendum gescheitert. 60 Prozent der Abstimmenden lehnte es ab, dem nationalen Parlament ein neues, indigenes Gremium (Voice) wenigstens als beratende Stimme zur Seite zu stellen. Dutton hat mit Minderheitenrechten ohnehin herzlich wenig am Hut, er will vielmehr wieder das »traditionelle«, »weiße« Australien herausarbeiten. Aber viele der Indigenen, deren Kulturgeschichte 60.000 Jahre zurückreicht, während die »Erste Flotte« der Briten gerade mal 1788 in der Bucht von Sydney vor Anker ging, hätten sich wiederum von Albanese einiges mehr erhofft.
Doch ob indigen, »weiß« oder zu einer der über 150 verschiedenen Einwanderergemeinschaften gehörend, ob in den großen Städten oder auf dem Lande ansässig: Die gesamte Bevölkerung leidet unter den gestiegenen Lebenshaltungskosten. Wer nur einen Job am unteren Ende der Lohnskala hat, weiß kaum, wie er oder sie seine Familie über den nächsten Monat bringen soll. Zahlreiche Streiks in den vergangenen drei Jahren waren nur eine Folge dieser Entwicklungen. Gerade die Metropolen wie Sydney, Melbourne, Brisbane und Perth werden teils unbezahlbar. In ländlichen Regionen wiederum wird häufig ein Rückgang der Infrastruktur und öffentlichen Dienstleistungen beklagt. Dort fällt es etwa schwer, ausreichend Ärzte oder Lehrkräfte für lokale Schulen zu finden.
Hintergrund: Wohnungskrise
Eines der Schlüsselthemen im australischen Wahlkampf war die zugespitzte Krise am Wohnmarkt. Die bisher amtierende Labor-Regierung weiß, dass sie beim Erfüllungsstand deutlich hinter den eigenen ehrgeizigen Zielen für die Neuschaffung bezahlbaren Wohnraums hinterherhinkt. Dem bürgerlichen Lager fällt es somit leicht, der Gegenseite Versagen vorzuwerfen – es vergisst dabei aber, dass das Problem nicht erst seit drei Jahren sozialdemokratischer Regierung besteht. In einem Jahrzehnt konservativer Verantwortung hatte sich zuvor noch weniger getan.
Dass immer mehr Neubau das Problem zudem nicht löse, solange sich die Politik beider großer Parteien scheue, zugleich klar auf eine Eindämmung der Kaufpreise zu orientieren, wird immer häufiger kritisch angemerkt. Danach gefragt, erklärte Premier Anthony Albanese ausweichend: »Historisch betrachtet neigen die Preise in Australien dazu, zu steigen.« Der konservative Oppositionsführer Peter Dutton antwortete auf dieselbe Frage, er wolle, dass die Hauspreise »stetig steigen«.
Lediglich darauf zu setzen, dass die Einkommen eben schneller steigen müssten als die Preise für ein Eigenheim, reiche aber nicht aus, rechnete etwa der Guardian in einem Beitrag vor. Noch zur Jahrtausendwende habe ein solches in einer der größeren Städte 6,5 Jahreseinkommen eines durchschnittlichen Australiers gekostet. Heute, mit dem zweieinhalbfachen Verdienst von damals, müssten für ein Haus aber 12,8 Durchschnittsjahreseinkommen hingelegt werden. Da die Kurve weiter steigt, brauche es rechnerisch bald 70 Jahre, um sich die eigenen vier Wände wirklich leisten zu können. Die Grünen als drittstärkste politische Kraft wollen zwar den Preisanstieg temporär stoppen, um mit stärkerem Einkommenszuwachs mehr Kaufkraft zu gewinnen. Eine langfristige Lösung sei aber selbst das nicht. Und die Zeit drängt: In der laut dem jüngsten Bericht des staatlichen Institute of Health and Welfare teuersten Stadt Sydney haben sich die Hauspreise zwischen 2013 und 2023 im Schnitt verdoppelt. (tb)
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