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Aus: Ausgabe vom 26.11.2024, Seite 12 / Thema
Literaturgeschichte

Auf die Barrikaden

Literarische Propaganda für den Klassenkampf. Das Experiment des Roten Eine-Mark-Romans 1930–1932
Von Dieter Schiller
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Der Verlag bezeichnete Hans Marchwitzas »Sturm auf Essen« als »Roman der Wirklichkeit«. Das Buch kam aber eher einer Reportage über die Kämpfe der Roten Ruhrarmee gleich, an denen der Autor selbst beteiligt war (Dortmund, März 1920)

Wir dokumentieren im folgenden den stark gekürzten Vortrag über den Roten Eine-Mark-Roman, den der Literaturwissenschaftler Dieter Schiller am 5. November 2024 in Berlin gehalten hat. (jW)

Die Buchreihe »Der Rote Eine-Mark- Roman« wurde Anfang 1930 vom Internationalen Arbeiter-Verlag, begründet. Das war ein Parteiverlag der KPD, der nicht nur die politische Linie der Partei zu realisieren suchte, sondern in der direkten Verantwortung gegenüber der Parteiführung produzierte. Der Rote Eine-Mark-Roman war nicht die einzige Serie des Verlags, sondern ergänzte die bereits etablierten Serien: »Der internationale Roman«, »Neue proletarische Dichtung« und »Das neue Drama«.

Von seiten des Verlags wurde die neue Romanreihe in einen unmittelbaren Zusammenhang mit seiner politisch-theoretischen Publikationstätigkeit gestellt. Hauptaufgabe, hieß es in einer Verlagsinformation, sei die Schulung und Weiterbildung der Arbeiterklasse, der vor allem die umfangreiche Reihe der »Elementarbücher des Kommunismus« diente.

Von Arbeitern für Arbeiter

Zwei Voraussetzungen bestimmten die Planung des Verlagsprojekts. Das ist zum einen die Entwicklung der Arbeiterkorrespondentenbewegung seit 1924. Sie vereinigte Arbeiter aus der Industrie und Werktätige verschiedenster Berufe, die sich bemühten, die kapitalistische Ausbeutung schriftlich zu dokumentieren. Zeitweise waren solche Korrespondenzen schon als proletarische Literatur betrachtet worden, doch um die Wende zu den 1930er Jahren wurden solche Illusionen überwunden. Auch die Beteiligten begriffen, dass solche Zuschriften an die Arbeiterblätter oder die Beiträge für Betriebs- und Kiezzeitungen im besten Falle nur allererste Grundlagen für einen professionellen Journalismus oder gar für literarische Texte liefern konnten. Den lebensentscheidenden Schritt zum Parteijournalisten oder Arbeiterschriftsteller wagten nur wenige, die jedoch mit teils bemerkenswertem Erfolgen.

In den späten 1920er Jahren entstanden eine stattliche Reihe von proletarisch-revolutionären Erzählungen und Romanen, meist auf der Basis autobiographischer Erfahrungen. Das Bedürfnis, diese Erfahrungen mitzuteilen und in die Parteiarbeit einfließen zu lassen, verlangte nach eigenständigen Ausdrucksweisen und umfangreicheren Formen, die zuweilen auch künstlerische Verfahren einschlossen. Dokumentation und Bericht wurden schrittweise zur Reportage und Erzählung oder eben auch zum umfangreicheren Roman.

Eine zweite Voraussetzung ist die Einsicht der führenden Köpfe der proletarisch-revolutionären Literaturbewegung, es sei für die ideologische Klassenauseinandersetzung unzweckmäßig, sich bei ihren Bemühungen um eine proletarische und revolutionäre Literatur nur an den Spitzenleistungen der zeitgenössischen bürgerlichen Literatur zu messen. Über den Abstand des handwerklichen Könnens machten sie sich – bei aller berechtigten Betonung der neuen Qualitäten proletarisch-revolutionärer Weltsicht – wenig Illusionen. Schon auf dem 2. Kongress der internationalen revolutionären Schriftstellerorganisation im Jahr 1930 orientierten Otto Biha und Johannes R. Becher – als führende Köpfe des 1928 gegründeten Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller (BPRS) – auf eine Massenliteratur für Arbeiter und die mit ihnen verbündeten Schichten. Sie hatten begriffen, dass die sogenannte Trivial- oder Unterhaltungsliteratur ein wesentliches Element der Verbreitung und Festigung bürgerlicher Ideologien unter der werktätigen Bevölkerung darstellte. Das schien den Versuch wert, dem eine proletarische und revolutionäre Massenliteratur gegenüber zu stellen.

Man ging davon aus, dass proletarische Haushalte mit dem Pfennig rechnen mussten. Zwar galt es als die Regel, dass sozialdemokratische Arbeiterfamilien über einen Bücherbord oder gar einen Bücherschrank mit Parteischriften und einigen Grundlagenwerken wie dem Kommunistischen Manifest und Bebels »Die Frau und der Sozialismus«, oft auch einigen sozialen Romanen wie Upton Sinclairs »Der Sumpf« verfügten. Hauptquelle des Lesestoffs für proletarische Leserinnen und Leser waren jedoch die billigen Leihbibliotheken mit abgegriffenen Trivialromanen.

Mit der großen Krise seit 1929 war die Kaufkraft im proletarischen Milieu extrem gesunken. Wer eine Massenliteratur entwickeln wollte, musste für billige Bücher sorgen, doch stellte sich bald heraus, dass auch die eine Mark zuviel war für die finanzielle Leistungsfähigkeit vieler Familien. Der kommerzielle Erfolg, den sich der Verlag von der Reihe versprochen hatte, trat nicht ein. Die Eröffnungsauflage von 15.000 verkauften Exem­plaren konnte sich zwar sehen lassen – der 5. Band »Maria und der Paragraph« (1931) soll sogar eine Auflage von 35.000 Exemplaren gehabt haben –, doch konnte von einer Massenauflage im Sinne des bürgerlichen Literaturmarkts nicht die Rede sein. Verkaufsschädigend wirkte sich zudem aus, dass einige der attraktivsten Bände der Reihe – Marchwitzas »Sturm auf Essen« und Neukrantz’ »Barrikaden am Wedding«, in München auch »Maria und der Paragraph« – beschlagnahmt und verboten wurden.

»Sturm auf Essen«

Der erste Band der Reihe, der Zählung wie des Erscheinens nach, ist Hans Marchwitzas Erstlingsroman »Sturm auf Essen« (1930). Die Verlagswerbung nennt ihn einen »Roman der Wirklichkeit«. Schon hier ist anzumerken, dass die Genrebezeichnung fragwürdig ist. Denn es handelt sich in der Sache um den Erlebnisbericht eines Augenzeugen, eines Teilnehmers der bewaffneten Kämpfe im Ruhrgebiet. Der Putsch von Kapp und Lüttwitz zwang die sozialdemokratisch geführte Regierung im März 1920 zur Flucht in die Provinz. Der von Gewerkschaften und Regierung ausgerufene Generalstreik weckte jedoch die Aktivität der linken Kreise besonders in der Arbeiterschaft, so skeptisch sie der Weimarer Republik auch gegenüberstanden.

Marchwitza berichtet in einer Art Dokumentarreportage vom Kampf der »Roten Ruhrarmee« gegen Freikorps und Reichswehr, an dem er als Kompanieführer beteiligt war. Geführt von Funktionären der Unabhängigen Sozialdemokraten, Linkskommunisten und schließlich auch der Kommunistischen Partei war es den freiwilligen Kämpfern gegen Kapp, General Watter und Minister Severing kurzzeitig gelungen, die Arbeitermacht in großen Teilen des Ruhrgebiets zu erkämpfen, aber nicht, einen Aufstand im Reich auszulösen. Die bewaffneten Kämpfe im Ruhrgebiet – und ebenso in Mitteldeutschland – blieben isoliert und mussten schließlich abgebrochen werden. Dass dies unter großen Opfern der revolutionären Kämpfer, unter den Bedingungen eines »weißen Terrors« von Polizei und Reichswehr geschah, wurde von ihnen mit Recht als neuerlicher Verrat der sozialdemokratischen Führung an den kämpfenden Arbeitern gewertet, weil die Regierenden die von ihnen entfesselten militaristischen Bluthunde weder im Zaum halten konnte noch wollte.

Marchwitzas Bericht weist durchaus erzählende Elemente auf, er verfolgt die Handlungen einer Gruppe sozialistischer Arbeiter in einem wichtigen Abschnitt des Kampfgebiets um die »Eisenstadt« Essen. Soweit ich erkennen kann, sind die dargestellten Einzelkämpfer fiktive Personen. Ihr zielklares Handeln aus klassenmäßiger Überzeugung wird nachdrücklich betont, aber auch ihre militärischen Überlegungen und Aktionen spielen eine hervorragende Rolle. Sichtlich lernen die Kämpfer im Kampf, werden ihre Gedanken und Gefühle als disziplinierte proletarische Truppe markiert, ohne Momente der Desorganisation und anarchischer Willkür zu verschweigen. Der Leser wird streckenweise von den Vorgängen mitgerissen. Doch eigentliche Entwicklungsfiguren sind diese roten Kämpfer nicht, ihre charakterlichen Haltungen sind festgelegt und ändern sich nicht in Verlauf der Handlung. Der Blickwinkel der Figuren wird nicht überschritten, er bleibt an den Verlauf der Kämpfe gebunden.

Das ist eine einschichtige Erzählweise. Sie wird verlebendigt durch lange Dialogpassagen und die Bindung der Figuren an das proletarische Milieu, dem sie entstammen. Dieses Milieu wird recht eindrucksvoll wiedergeben, suggeriert aber ein Zusammengehörigkeitsgefühl, eine selbstverständliche proletarische Solidarität, wie sie die klassenbewusste Arbeiterschaft charakterisiert, nicht aber die Masse der Proletarier, geschweige denn benachbarte Schichten der Region. Die sozialdemokratischen Funktionäre – wie die gesamte politische Gegenseite – erscheinen in der Regel politisch karikiert, ihren Beweggründen oder Verhaltensweisen geht der Verfasser nicht nach, sie werden angeprangert, nicht analysiert. Die Handlung des Buches folgt geradlinig den geschichtlichen Abläufen, sie ist ganz darauf zugeschnitten, den Lesern diese Abläufe emotional nahezubringen und sich zu identifizieren mit dem Hass der kämpfenden und leidenden Figuren auf die herrschenden Klassen und ihre militärischen und zivilen Handlanger. Eine zentrierende Romanfabel ist nicht zu erkennen, und man kann das Ensemble der handelnden Figuren als ein Kollektivporträt auffassen, das freilich vorwiegend die Überzeugungen und Wertvorstellungen sowie die im Kampf mobilisierten Eigenschaften seiner Mitglieder erfasst, weniger ihre individuelle Psyche.

Die Ruhrkämpfe 1920 als ein erster Höhepunkt der revolutionären Nachkriegskrise waren damals ein wichtiges Moment im Traditionsverständnis revolutionärer Proletarier. Denn hier war im bewaffneten Abwehrkampf eine Einheitsfront der proletarischen Linken spontan zustande gekommen. Man konnte die Ruhrkämpfe als Modellfall und Lehrstück der von den Kommunisten propagierten »Volksrevolution« gegen die sichtliche fortschreitende Faschisierung der Weimarer Republik auffassen. Insofern eignete sich dieser von Marchwitza aufgegriffene Stoff gut als Eröffnung der populären Buchreihe. Doch er war in die Augen der Zeitgenossen bereits ein historischer Roman.

»Maschinenfabrik N & K«

In seiner Besprechung von Willi Bredels »Maschinenfabrik N & K« (1931) – es ist die Nummer 4 in der Zählung – bezeichnet Biha Bredels Buch als einen »erste(n) Vorstoß der proletarischen Literatur auf dem Weg zur proletarischen Massenliteratur«. Für Biha beginnt also die neue Reihe eigentlich erst mit diesem Buch. Es verkörpert geradezu ideal das angestrebte Muster einer Erzählung, wie sie vom Verlag erwartet wurde. Kurt Kläber nennt ihn »den ersten und besten Betriebsroman«. Sein Aufsatz »Der proletarische Massenroman« macht deutlich, daß es den verantwortlichen Genossen in erster Linie um »revolutionäre Zeitromane« ging, um »Kampf- und Agitationsliteratur«, nicht um Unterhaltungsliteratur. Diese programmatische Ausrichtung lässt erkennen, dass der Verlag damit den tatsächlichen Lesebedürfnissen seiner proletarischen Leser nur sehr bedingt entgegenkam. Denn das Bedürfnis nach Entspannung und Unterhaltung blieb weitgehend ausgespart, wenn auch Rückgriffe der Autoren auf Elemente des gängigen Abenteuer- und Kriminalromans, zuweilen selbst des Liebesromans unverkennbar sind. Zudem begrenzte die politisch-didaktisch orientierte Vorstellung von einer proletarischen Massenliteratur die Chancen beträchtlich, mit der billigen, populären Buchreihe auch unpolitische oder kleinbürgerliche Leser ansprechen zu können, was doch erklärtermaßen angestrebt wurde.

Thematisch entsprach Bredels Betriebsroman der Orientierung der KPD auf die Betriebe. Bei Bredel wird die sozialpolitische Wirksamkeit einer Betriebszelle der Partei in den Mittelpunkt gestellt, die – gestützt auf eine eigene Betriebszeitung – Einfluss auf die Belegschaft gewinnt. In diesem Buch wird die Handlung durch eine zentrale Figur vorangetrieben, den Kommunisten Alfred Melmster, welcher der Roten Gewerkschafts-Opposition (RGO) zum Durchbruch verhilft und eine Streikaktion zu organisieren vermag. Unermüdlich in seiner Aktivität und makellos in seinen Entscheidungen verkörpert er das Wunschbild eines politischen Funktionärs der unteren Ebene. Doch eine Privatsphäre wird ihm nicht zugestanden. Die Darstellungsart ist, wie Biha schreibt, von einem »photographischen Naturalismus« geprägt, mit mehr beschreibenden als gestaltenden Mitteln bleibe sie »an der Oberfläche der Erscheinungen«. Doch verstehe der Autor ebenso nüchtern wie fesselnd eine erlebte Wirklichkeit wiederzugeben. In den Augen des Rezensenten ist dem Verfasser ein »Kampfroman der RGO« gelungen, der zugleich als ein »Schulungsbuch« für jeden Gewerkschafter zu verstehen sei.

Diese politdidaktische Musterhaftigkeit prägt die Erzählweise, die den Etappen der Streikvor­bereitung, des Streikverlaufs bis zum Zusammenstoß mit der Polizei und zur schlussendlichen Niederlage folgt. Worauf es dem Schreiber ankommt, ist freilich, dem Leser die Kräfte bewusst zu machen, die dieser Streikkampf freigesetzt hat. Denn die immanente Argumentation der Geschichte läuft darauf hinaus, die sozialdemokratisch geführten Betriebsräte als Verhinderer erfolgreicher Streikaktionen bloßzustellen und sozialdemokratische Arbeiter der kommunistisch geführten Gewerkschaftsopposition zuzuführen, eine Aktionseinheit der Arbeiter gegen Unternehmer und Gewerkschaftsbonzen zu schaffen. Die hoffnungsfrohe Darstellung von Sieg der roten Liste bei den folgenden Betriebsrätewahlen mag im Einzelfall zutreffen, aufs Ganze gesehen war sie Ausdruck eines Wunschdenkens. Das gewünschte Muster verdrängte beim Autor die letztlich doch recht widerspenstige Realität.

Voraussetzung dieser Erzählung war die – von der Kommunistischen Internationale seit 1928 vorgegebene – Überzeugung, man nähere sich unaufhaltsam der gesellschaftlichen Umwälzung, der proletarischen Revolution. Die Reihe der »Roten Eine-Mark-Romane« sollte deshalb vor allem die Sphären erkunden, in denen sich der Widerstand gegen soziale Ausbeutung, staatliche Unterdrückungsapparate und die schleichende Faschisierung der Gesellschaft organisiert. Da kam das Buch von Klaus Neukrantz über den »Blutmai 1929« – der 2. Band in der Zählung der Reihe – sehr willkommen.

»Barrikaden am Wedding«

»Barrikaden am Wedding« (1931) ist der »Roman einer Straße« in Berlin, der Kösliner Straße, die bekannt war als ein abgeschlossenes »Ghetto der Armut« und eine »rote Gasse«. Hier haben offenbar die Genossen der kommunistischen Straßenzelle weitgehend das Sagen und sie können sich auf die Solidarität der Bewohner stützen. Die Eingangspassagen des Buches schildern eine verhinderte Exmittierung, einen kleinen Sieg im großen Ringen der Anwohner ums bloße Überleben. Hier muss das Verbot des Berliner Polizeipräsidenten Zörgiebel, den 1. Mai 1929 mit Straßendemonstrationen zu feiern, besondere Wut auslösen, weil gerade diese Demonstrationen Ausdruck ihrer Träume und Sehnsüchte sind, Demonstrationen, die von der Kampfbreitschaft für die erhoffte Umwälzung der Besitzverhältnisse zeugen. Doch bilden die reportageähnlichen Schilderungen der blutigen Polizeiattacken auf die unbewaffnete Maidemonstration nur den Auftakt der Handlung, der Schwerpunkt der dokumentierenden Erzählung liegt auf der anschließenden Polizeiaktion gegen das rote Viertel und dem bewaffneten Abwehrkampf der Bewohner.

Das war, wird betont, kein bewaffneter Aufstand, sondern Notwehr. Ein älterer Genosse warnt vor der Gefahr des Bürgerkriegs, jüngere Parteikader verteidigen den bewaffneten Widerstand, weil die Polizeiaktion gegen die Kommunisten gerichtet sei, die einzigen Führer der revolutionären Arbeiter. Tatsächlich gelingt es der »roten Gasse«, die Polizei zurückzuschlagen. Doch die »Strafexpedition« gegen »das rote Herz des Wedding« ist letztlich nicht aufzuhalten und mündet in eine Straßenschlacht mit Toten und eine Verhaftungswelle. Die Verteidiger wissen, sich zu wehren ist noch keine Revolution, aber sie gehen mit neuem Selbstbewusstsein aus dem verlorenen Kampf hervor. Anna, eine junge Proletarierin, bringt es im Gefängnis auf den Punkt: Sie habe gelernt, dass der Kampf der Arbeiter zum Kampf gegen den Staat werden muss. Auch diese Niederlage wird im Buch von den Beteiligten als Baustein zum absehbaren Sieg erlebt, zur Eroberung der Macht. Ob alle so denken und wie der bewaffnete Widerstand außerhalb der »roten Gasse« aufgenommen wird, bleibt offen. Sicher ist nur, dass es in der Realität laut Polizeibericht 25 Tote gegeben hat und die Parteizelle der Kösliner Straße 180 Neuaufnahmen verzeichnen konnte.

»Maria und der Paragraph«

Der 5. Band der Reihe, der Roman »Maria und der Paragraph« (1931), wendet sich mit dem Thema des Abtreibungsparagraphen 218 vor allem an ein weibliches Lesepublikum. Der Verfasser Franz Krey aus Essen ist Kommunist. Auf den politischen Akzent der Thematik verweist die Einleitung von Friedrich Wolf zu dem Buch, der als Arzt eine Rolle in der Kampagne gegen die frauenfeindliche Justiz der Weinmarer Republik spielte. Die Schreibweise ist vorwiegend erzählerisch, arbeitet aber mit dokumentierenden Passagen über die lebensbedrohlichen Folgen des umkämpften Paragraphen, was eine eigenartige Mixtur von Kriminalroman und Aufklärungsbroschüre ergibt. Der Verfasser greift betont auf Motive und Muster der Unterhaltungsbranche zurück, verknüpft kompositorisch geschickt einen Prozess wegen Abtreibung gegen 300 Frauen mit der individuellen Geschichte der Maria Schwarzkopf, die wegen einer Abtreibung erpresst und zur Mörderin wird, während die begüterte Frau Mayer aus gleichem Anlass schlimmstenfalls einen Skandal zu befürchten hat. Parallel geführte Handlungsstränge führen zu einem »Aktionskomitee für sexuelle Aufklärung«, dessen Ausstellung über Verhütungstechniken von Nazis zerstört wird, und schließlich noch zu einer neuen Liebe der Maria an der Schwelle des Gefängnisses, also zu einem schmerzlichen Happyend. Den Endpunkt des Romans bildet die standhafte Haltung einiger Aktivisten der Bewegung gegen den Paragraphen 218, die ihre materielle Existenz riskieren, um den leidenden Frauen zu ihren Recht zu verhelfen. Kernaussage ist, dass der staatliche Gebärzwang das keimende Leben zu schützen vorgibt, den lebenden Kindern aber soziale Sicherung verweigert und so die Proletarierfrauen zu dem lebensgefährlichen Delikt zwingt, das so streng unter Strafe gestellt ist.

Fällt dieses Buch, das wohl am stärksten auf ein breites Lesepublikum zielte, ein wenig aus der Reihe der Roten Eine-Mark-Romane heraus, so ist Bredels fast gleichzeitig erschienener Roman »Rosenhofstraße« (1931) – Band 6 der Reihen-Zählung – ganz nach dem Muster seines ersten gestrickt. Das Buch ist, wie es im Untertitel heißt, der »Roman einer Hamburger Arbeiterstraße«. Als Pendant zur Betriebszelle in Bredels erstem Roman wird hier die exemplarisch dargestellte Wirksamkeit einer Straßenzelle vorgeführt, die mittels ihrer Häuserblockzeitung »Die Mietkaserne« einen erfolgreichen Mieterstreik zu organisieren vermag und einem Kleinkrieg mit den Nazis führt, der von offensiven Debatten auf Naziversammlungen mit anschließender Saalschlacht bis zu bürgerkriegsähnlichen Straßenkämpfen reicht.

Bemerkenswert ist, dass der Begriff des Sozialfaschismus hier keine Rolle spielt, darüber, wer der Hauptfeind ist, lässt die Handlungsführung des Buches keinen Zweifel. Die Einheitsfront, die hier in Aktion gezeigt wird, richtet sich eindeutig gegen die Nazis, die »Landsknechte des Kapitals«, auch wenn es eine Einheitsfront von unten ist. Wo Sozialdemokaten auftauchen, sind sie Bremser sozialer Aktionen oder oppositionelle Gruppen. Nur die sozialdemokratisch geführte Polizei steht wie immer auf der Gegenseite und gehört zu den Wegbereitern der Hitlerfaschisten. Dass die ehrlichen Arbeiter von den Sozialdemokraten abrücken, bezweifelt hier keiner, und selbst für Sozialdemokraten ist es kaum zweifelhaft, dass jeder sozialdemokratische Arbeiter »morgen schon Kommunist sein« kann. Fremdartig für den heutigen Leser ist eine bei vielen radikalen Parteileuten offenbar verbreitete Lust an körperlichen Auseinandersetzungen bis hin zu Schießereien. Obwohl die Parteileute immer vor individuellem Terror warnen, hier bildet der Roman eine tatsächliche Stimmung ab, die für Racheaktionen gegen Nazimorde jederzeit empfänglich ist.

Eine individuelle Fabel besitzt der Roman nicht, er zeigt eine Gruppe in Aktion und gibt nur dem Paar Fritz und Else Raum ein wenig Eigenleben. Die relative Abgeschlossenheit der kommunistischen Enklave wird kaum reflektiert, was die fatale Konsequenz hat, die hier erkennbare antifaschistische Klassenfront als eine Norm im Lande zu verstehen, und dazu verführt, ihre Zielvorstellung als pure Realität wahrzunehmen. Diese forciert optimistische, oft illusionäre Wahrnehmungsweise ist vielen linken Büchern von damals eingeschrieben. Man liest es heute mit Wehmut.

»Schlacht vor Kohle«

Das Besondere von Hans Marchwitzas Roman »Schlacht vor Kohle« (1931) – Band 7 der Reihe – ist der Versuch, ein komplexes Bild der Zeche »Hoffnung« samt der dazu gehörigen Werkskolonie der Bergleute um die Jahreswende 1929/1930 zu entwerfen. Sehr realitätssnah werden ein Bergbaubetrieb und sein Umfeld unter Rationalisierungsdruck mit Arbeitshetze und Lohnkürzungen beschrieben. Es herrscht eine bedrückende Atmosphäre unter den Menschen, die hier leben und arbeiten. Der Akzent der Darstellung liegt auf den Auswirkungen der Vorgänge im Bergwerk und dem Alltag der Bevölkerung in der Region. Dieser Alltag der Proletarier wird als ein Klassenkrieg, als eine opferreiche Schlacht aufgefasst, die »vor Kohle« entschieden wird, im Arbeitskampf mit den Zecheneignern wie im politischen Kampf um die Vergesellschaftung der Produktionsmittel, die allein zu menschenwürdigeren Produktions- und Lebensbedingungen führen könnte.

Eigentlich zentrale Figuren kennt das Buch nicht, nur einige durchgehende Personen, die freilich vorwiegend typisiert und episodisch erscheinen. Das Buch besticht durch Milieuechtheit und Detailfülle, die den Leser zu fesseln vermag, und durch die emotionale Dichte, mit der die Einzelschicksale, besonders die der Bergarbeiterfrauen, dargeboten werden. Der Verfasser zielt bewusst auf emotionale Wirkungen, dagegen werden die politischen Schachzüge auf beiden Seiten der sozialen Front eher nüchtern, zuweilen fast beiläufig abgehandelt.

Die Aussagetendenz des Buches wird im kompositorischen Aufbau am deutlichsten, der im ersten Teil von der Nachzeichnung der Ursachen eines verheerenden Bergunfalls durch schlagende Wetter bestimmt wird. Während jeder der Beteiligten aus eigener Erfahrung weiß, dass nur die Gier nach Förderleistung um jeden Preis, die bedenkenlose Antreiberei der Werkleitung aus Profitgründen, den Tod von mehr als 160 Bergleuten und das Leid ihrer Familien herbeigeführt hat, suchen die Gutachter im Auftrag der Zechenbesitzer die Fehler bei den Toten zu finden, und jeder Widerspruch wird mit Entlassung geahndet. Der zweite Teil dagegen hellt das düstere Bild etwas auf, denn er kreist um das Wachsen einer Streikbewegung unter den aufgewühlten Bergleuten, eine Bewegung, die diesmal sogar erfolgreich verläuft und so die Gründung eines »Einheitsverbandes der Bergarbeiter« in Duisburg bestätigt.

Die Reihe des Roten Eine-Mark-Romans neigt weit mehr zum Aktuellen, Zeitgeschichtlichen, Agitatorischen als zum Ringen um dichterischen Ausdruck. Das ist kein Wunder in einer Zeit, in der Otto Biha, wohl der intelligenteste Kopf nach Georg Lukács im BPRS, heftig zweifelte, ob Anna Seghers »Aufstand der Fischer von Santa Barbara« (1929) als »Bestandteil der proletarisch-revolutionären Literatur« gelten könne. Denn Seghers Buch gehe »mehr vom Gefühl aus« als von »kritischer Vernunft«, und hätte wohl in der Reihe keine Chance gehabt. Hier war der Akzent deutlich vom Poetischen zum Agitatorischen hin verschoben.

Warum meine ich trotzdem, die Bücher dieser Reihe seien bis heute lesenswert. Sie bringen uns eine ganze Epoche der Arbeiterbewegung nahe, die in Vergessenheit zu versinken droht, und vermitteln Bausteine einer literarischen Sozialanalyse der proletarischen Arbeitswelt und der entsprechenden Alltagssphäre. Darüber hinaus vermittelt sie Einsichten in die Beziehungen von Funktion und Form in modernen Medien, die wahrlich kein Thema von gestern sind.

Dieter Schiller ist Literaturwissenschaftler. Vom ihm erschien zuletzt: Der Schutzverband Deutscher Schriftsteller im Exil. Chronik einer Kulturorganisation in Paris 1933–1939, Gransee 2024.

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