Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 23.11.2024, Seite 12 / Thema
Koloniales Deutschland

Der »Vorzeige-Askari«

Deutschland und seine Kolonien. Vor 80 Jahren starb Mohamed Husen im Konzentrationslager Sachsenhausen
Von Ursula Trüper
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Instrument der brutalen Kolonialpolitik in Deutsch-Ostafrika – Askari-Soldaten während des Ersten Weltkriegs

Am 24. November 1944 starb Mohamed Husen im KZ Sachsenhausen. Die genaue Todesursache ist nicht bekannt. Ein Jahr zuvor war er wegen Pneumonie und Nierenbeckenentzündung in das Krankenrevier des KZ eingewiesen worden. Vielleicht hat er sich von dieser Krankheit nie mehr erholt. Vielleicht brach er erschöpft und unterernährt bei der Arbeit zusammen. Vielleicht wurde er Opfer einer der häufigen SS-Schikanen mit tödlichem Ausgang. Im KZ, wo jedes Auffallen gefährlich war, bedeutete eine Schwarze¹ Hautfarbe ein zusätzliches Risiko.

Denn Mohamed Husen war Afrikaner. Er kam am 22. Februar 1904 in Daressalam im heutigen Tansania zur Welt und erhielt den Namen Mahjub bin Adam Mohamed. Zu dieser Zeit war sein Heimatland noch eine deutsche Kolonie: »Deutsch-Ostafrika«.

Es war eine gewalttätige Welt, in die der kleine Mahjub hineingeboren wurde. Ein Jahr nach seiner Geburt brach der Maji-Maji-Krieg aus, die erste Erhebung im heutigen Tansania, bei der sich die verschiedenen dort lebenden Ethnien und Gemeinschaften zusammenschlossen und gemeinsam der deutschen Kolonialmacht entgegentraten. Die schlecht bewaffneten Krieger kämpften tapfer und errangen zunächst große Erfolge gegen die deutsche Kolonialarmee. Sie kontrollierten schließlich über ein Drittel des gesamten Landes. Doch dann schlugen die Deutschen zurück. Mit überlegener Bewaffnung (das Maschinengewehr war inzwischen erfunden) und mit Hilfe einer afrikanischen Hilfstruppe, den Askari, wurde der Aufstand mit großer Grausamkeit niedergeschlagen.² Einer dieser Askari war der Vater des kleinen Mahjub.

Auf deutscher Seite

Die Afrikanistin Marianne Bechhaus-Gerst hat in ihrem Buch »Treu bis in den Tod« erstaunlich viel über das Leben von Mahjub bin Adam Mohamed herausgefunden.³ Ende der 1880er Jahre hatte sich sein Vater von den Deutschen als Schwarzer Kolonialsoldat anwerben lassen. Viele der Askari stammten aus dem Sudan, weshalb man sie auch »Sudanesen«, zuweilen auch »Nubier« nannte.

Ihre Aufgabe war es, die verschiedenen Aufstände in Ostafrika niederzuschlagen, die es von Anfang an gegen die neue Kolonialmacht gab. Ihre deutschen Offiziere waren begeistert: »Wo man einen Sudanesen hinstellte, da blieb er stehen, bis der Gegenbefehl kam«, so ein zeitgenössischer Autor.⁴ Bei den Einheimischen waren sie gefürchtet: Sie waren es, die die »Politik der verbrannten Erde« der deutschen Kolonialarmee umsetzten, die ganze Dörfer mitsamt deren Vorräten niederbrannten und so die Lebensgrundlagen der Bevölkerung zerstörten, die systematisch Frauen vergewaltigten und auch Kinder nicht verschonten.

Andererseits waren sie aber auch hoch angesehen und bildeten gemeinsam mit den wohlhabenden einheimischen Swahili-Familien eine Art lokale Elite. Mahjubs Vater brachte es bis zum Offizier.⁵ Er heiratete eine Einheimische, Mtumwa Binti Mohamed aus der Kilimandscharo-Region, und ließ sich mit seiner Frau in Daressalam nieder, das man 1891 zur Hauptstadt von Deutsch-Ostafrika bestimmt hatte. Dort wurde er Vater mehrerer Kinder, unter ihnen Mahjub, der älteste Sohn.

Der junge Mahjub besuchte eine Regierungsschule und lernte Kiswahili, Arabisch und Englisch. Weil er lesen und schreiben konnte, arbeitete er bereits mit neun Jahren als Schreiber in einer Baumwollfabrik. Dann begann der Erste Weltkrieg.

Für den Jungen war es selbstverständlich, wie sein Vater auf deutscher Seite zu kämpfen. Er war damals erst zehn Jahre alt, ein Kindersoldat. Mahjub war keineswegs der einzige, der sich in so jungen Jahren zum Kriegsdienst meldete. Jungen wie er wurden »Watoto« genannt (Kiswahili für »Kinder«). »Askari werden wollten sie alle einmal, das war das Höchste von allem! Der Vater war Soldat, und der Sohn sollte einst Soldat werden«, so ein Autor der damals zahlreich erscheinenden Kolonialliteratur.⁶ Man setzte diese Jungen meist als »Signalschüler« ein. Denn die deutsche Kolonialarmee arbeitete mit Heliographen: Mit Hilfe eines Spiegels nutzte man am Tag das Sonnenlicht oder in der Nacht eine Gasflamme, um Informationen an andere Truppenteile zu übermitteln. Bis zu 100 Kilometer konnten auf diese Weise überbrückt werden – ein strategischer Vorteil gegenüber den kämpfenden Afrikanern. Aufgabe der Signalschüler war es, diese Heliographen zu bedienen, außerdem telegraphische Meldungen und die Post zu überbringen – ein lebensgefährlicher Job, der manchmal mitten durch die feindlichen Linien führte.

Während des ganzen Ersten Weltkrieges leistete die deutsche Kolonialarmee – und damit auch die Askari – unter der Führung von Paul von Lettow-Vorbeck Widerstand gegen die Alliierten. Mahjub wurde 1917 von einer Kugel im Oberschenkel getroffen und geriet in englische Kriegsgefangenschaft. Dann war der Krieg zu Ende und Deutschland verlor alle seine Kolonien.

Vorsprache beim Auswärtigen Amt

Doch die wurden nicht etwa unabhängig. Unter dem Vorwand, die ehemaligen deutschen Kolonien seien noch nicht reif für die Selbstbestimmung, wurden sie als Mandatsgebiete dem Völkerbund unterstellt. Die Verwaltung übertrug man ausgerechnet den anderen Kolonialstaaten in Europa, Asien und Ozeanien. Auf diese Weise wurde Deutsch-Ostafrika zum britischen Mandatsgebiet Tanganyika.

Mahjub musste sich nun völlig neu orientieren. In den nächsten Jahren versuchte er, sich mit Arbeiten für deutsche Firmen durchzuschlagen und heuerte schließlich als Steward auf verschiedenen Schiffen an. 1928 ging eines dieser Schiffe in Hamburg vor Anker. Dort erfuhr Mahjub, dass die deutsche Regierung – inzwischen kein Kaiserreich mehr, sondern eine Republik – nun endlich, zehn Jahre nach dem Ende des Krieges, den ehemaligen Askari ihren ausstehenden Sold auszahlte.

Mahjub reiste von Hamburg nach Berlin, sprach beim Auswärtigen Amt vor und machte den noch ausstehenden Sold für sich und seinen Vater geltend. Doch dort lehnte man es ab, seine Ansprüche auch nur zu prüfen. Statt dessen versuchten die Behörden, den ehemaligen Askari mit einer Fahrkarte für die dritte Klasse zurückzuschicken. Aber Mahjub ließ sich nicht abschieben. Er blieb in Berlin. Und er begann, Kontakt zu kolonialrevisionistischen Kreisen zu suchen.

Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg hatte sich in Deutschland eine lautstarke und äußerst aktive Bewegung gebildet, die die »Rückgabe« der deutschen Kolonien forderte. Viele Deutsche fühlten sich zutiefst in ihrem Ehrgefühl verletzt durch die Behauptung der siegreichen Alliierten, Deutschland habe »auf dem Gebiete der kolonialen Zivilisation« versagt und sei daher unwürdig, weiterhin dem Kreis der Kolonialmächte anzugehören. Zwar traf der Verlust der Kolonien das Deutsche Reich wirtschaftlich kaum; ihr Anteil am deutschen Außenhandel betrug 1913 gerade einmal 0,6 Prozent.⁷ Die Zurücksetzung wurde um so schmerzlicher empfunden. Noch vor der Unterzeichnung des Versailler Vertrages forderte daher im März 1919 die Weimarer Nationalversammlung mit 414 gegen 7 Stimmen die »Wiedereinsetzung Deutschlands in seine kolonialen Rechte«.⁸ Dagegen stimmte lediglich die USPD.

Hatte es im Kaiserreich noch kontroverse Reichstagsdebatten zur Berechtigung des Kolonialismus gegeben, so herrschte nun in dieser Frage eine parteiübergreifende Einigkeit der bürgerlichen Parteien. Sie blieb während der gesamten Weimarer Republik bestehen. Kolonialkritische Stimmen blieben die Ausnahme: »Deutschland«, schrieb beispielsweise Carl von Ossietzky 1928 in der Weltbühne, »ist unter allen Ländern des Krieges das einzige, das mit Fug und Recht behaupten kann, der Friedensvertrag habe ihm Nutzen gebracht. Es hat zwar Gebiete verloren, es muss schwere Reparationen leisten, und noch ist ein Stück Rheinufer besetzt. Dafür aber ist es aus der Sphäre des Imperialismus heraus, und es hat kein Deutschland in Übersee zu verteidigen.«⁹

Im April 1924 veranlasste Außenminister Gustav Stresemann die Einrichtung einer Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt. Im selben Jahr erschien ein vom Auswärtigen Amt unterstütztes Buch mit dem Titel »Die koloniale Schuldlüge«, verfasst vom letzten Gouverneur von Deutsch-Ostafrika Heinrich Schnee, das in mehrere Sprachen übersetzt wurde.¹⁰ Während der gesamten Weimarer Republik erschienen zahlreiche Kolonialromane, wurden Kolonialfilme gedreht, Völkerschauen, Vorträge und Kongresse organisiert sowie Denkmäler eingeweiht, die die Kolonialzeit verherrlichten. Zentrale Figur der kolonialrevisionistischen Propaganda war der »treue Askari«, der einst mit Lettow-Vorbeck gekämpft hatte und sich nun nichts sehnlicher wünschte, als dass seine Heimat wieder eine deutsche Kolonie werde.

Wie Pilze schossen Organisationen aus dem Boden, die auf außerparlamentarischem, kulturellem, akademischem und karitativem Gebiet kolonialrevisionistische Propaganda betrieben. Die wichtigste und mitgliederstärkste war die Deutsche Kolonialgesellschaft (DKG), der die ehemaligen Gouverneure Theodor Seitz und Heinrich Schnee als Präsidenten vorstanden (von 1931 bis 1933 übrigens auch der spätere westdeutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer als Vizepräsident). Im September 1922 initiierte die DKG die Gründung der Kolonialen Reichsarbeitsgemeinschaft zur Bündelung und Koordination aller kolonialrevisionistischen Kräfte. Zu ihr gehörten unter anderem der »Kolonialkriegerdank«, in dem sich zahlreiche Afrika-Veteranen tummelten, und der mittellose ehemalige Kolonialsoldaten unterstützte. Ebenso der »Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft«, der »Frauenverein vom Roten Kreuz für Deutsche über See«, das »Kolonialwirtschaftliche Komitee zur Förderung der kolonialen Wirtschaft«, die »Vereinigung für deutsche Siedlung und Wanderung« sowie der »Deutsche Kolonialkriegerbund«, dessen Vorsitzender Franz Ritter von Epp bereits 1928 der NSDAP beitrat und sich für die Annäherung von deutscher Kolonialbewegung und NSDAP einsetzte.

Auftritt in Uniform

Mahjub trat häufig auf Veranstaltungen dieser Vereine auf – stets in tadelloser Askari-Uniform. Man kann sich fragen, warum er, ein Schwarzer, sich ausgerechnet mit der deutschen Kolonialbewegung zusammentat. Ganz sicher suchte er finanzielle Unterstützung. Chronisch klamm, wie er war, konnte er bei den Kolonialorganisationen immer wieder auf Geldzuwendungen hoffen. Außerdem traf er hier auf Menschen, die ihn höflich und sogar respektvoll behandelten. Das dürfte Balsam für seine Seele gewesen sein nach all den Demütigungen, denen er im Alltag ausgesetzt war. So entstand eine Beziehung, von der beide Seiten profitierten: Husen fand hier Anerkennung und Unterstützung, und die diversen Kolonialvereine hatten ihren »Vorzeige-Askari«, der bei verschiedenen Anlässen auftreten und den Treuemythos personifizieren konnte. Seinen Namen deutschte er nun ein zu »Husen« (nachdem er sich zunächst eine Weile Mohamed Hussein genannt hatte).

Nach langer Jobsuche – Deutschland befand sich mitten in einer Wirtschaftskrise; es gab zwei Millionen Arbeitslose – fand Husen 1930 eine feste Stelle als Kellner im legendären »Haus Vaterland«, der damals angesagtesten Adresse von Berlin. Zudem arbeitete er an der Berliner Universität, am Seminar für Orientalische Sprachen. Er wurde für Sprachaufnahmen in Kiswahili eingesetzt, so dass wir seine Stimme auch heute noch hören können. Außerdem hatte er Sprachunterricht zu geben – allerdings nicht selbständig. Man traute den Afrikanern nicht zu, den Unterricht allein zu bewältigen, sondern stellte ihnen einen deutschen Lektor zur Seite (der übrigens wesentlich mehr verdiente als der afrikanische »Sprachgehilfe«). So erging es auch Husen, dessen Muttersprache Kiswahili war und der diese Sprache vermutlich weitaus besser beherrschte als seine Weißen Kollegen.

1932 lernte Husen die junge Schneiderin Maria Schwadner kennen. In Westböhmen geboren, war sie eine Immigrantin wie er selbst. Ungefähr zur gleichen Zeit hatte er eine Beziehung mit der Berlinerin Marta Holzkamp. Beide Frauen wurden fast gleichzeitig schwanger. Marta Holzkamps Sohn wurde im Januar 1933 geboren und erhielt den Namen Heinz Bodo. Zwei Wochen später heirateten Mohamed Husen und Maria Schwadner. Im März 1933 kam das gemeinsame Kind Adam Ahmed Mohamed zur Welt. Irgendwann nahm die Familie auch den Sohn Heinz Bodo auf, der hinfort als Kind der Husens galt.

Unter den Nazis

Da waren bereits die Nazis an der Macht. Der Alltag für die junge Familie muss extrem schwierig gewesen sein. Bereits 1933 wurden allen Afrikanern und Schwarzen Deutschen die Pässe entzogen. Statt dessen erhielten sie nun »Fremdenpässe«, die zeitlich begrenzt waren und immer wieder verlängert werden mussten. Das gleiche galt für die deutschen Ehefrauen, die auf diese Weise faktisch ausgebürgert wurden. Auch so schlichte Vergnügungen wie gemeinsame Spaziergänge oder Restaurantbesuche wurden für Schwarz-Weiße Paare nun gefährlich. Wer Schwarz war und sich in der Öffentlichkeit mit einer Weißen Frau zeigte, musste damit rechnen, von Nazischlägerbanden verprügelt zu werden. Zwei Jahre später wurden die »Nürnberger Gesetze« verabschiedet. Alle »Nichtarier« verloren nun die deutsche Staatsbürgerschaft. Aus gut bezahlten Berufen wurden sie entlassen. Sexuelle Beziehungen mit »Ariern« galten als »Rassenschande« und wurden streng bestraft. Neben Juden, Sinti und Roma waren auch die Schwarzen Deutschen von diesem Gesetz betroffen.

Auch an Husens Arbeitsplatz, dem Seminar für Orientalische Sprachen, machte sich die neue Zeit bemerkbar. Schon bald nach Hitlers Machtantritt richtete sich diese Institution völlig auf die faschistische Ideologie aus. Die meisten deutschen Afrikanisten hatten damit kein Problem, schließlich entsprach die rassistische Grundeinstellung der Nazis völlig ihrem Weltbild. Der bisherige Direktor des Seminars, Eugen Mittwoch, musste gehen, weil er Jude war. Die afrikanischen »Sprachgehilfen« wurden womöglich noch herablassender behandelt, als dies zuvor schon der Fall war. Husen wurde in die niedrigste Gehaltsgruppe eingestuft. Seine »arischen« Kollegen, auch die nichtakademischen Lehrkräfte, verdienten erheblich mehr. Doch Husen war nicht der Mann, dies einfach hinzunehmen. Immer wieder beschwerte er sich und erreichte schließlich eine Erhöhung seiner Tagessätze und seines Stundendeputats. Dabei trat er nicht als demütiger Bittsteller, sondern durchaus fordernd auf.

Trotzdem reichte das Geld nicht. Immer wieder konnte die inzwischen fünfköpfige Familie Husen ihre Miete nicht bezahlen. Dann sprang das Seminar für Orientalische Sprachen ein, verhandelte mit dem Vermieter und zahlte Vorschüsse. Nicht ganz uneigennützig, denn Husen war »der einzige Vertreter seiner Sprache (…), der zur Zeit in Berlin aufzutreiben ist und sich als für die Zwecke des Unterrichts geeignet erwiesen hat«.¹¹

Glücklicherweise hatte sich für Husen inzwischen – neben seinem Job als Kellner und als »Sprachgehilfe« – eine weitere Verdienstmöglichkeit aufgetan. Wie schon erwähnt, hatten bereits während der Weimarer Republik sogenannte »Kolonialfilme« Hochkonjunktur. Da die meisten dieser Filme von Afrika handelten, hatten die Filmgesellschaften einen großen Bedarf an Schwarzen Statisten. Fast alle Afrikaner und Schwarze Deutsche, die damals in Deutschland lebten, verdienten sich auf diese Weise ein Zubrot. Mohamed Husen wurde zum Star unter den Nebendarstellern. Manchmal durfte er sogar einen oder zwei Sätze sagen. Seine Paraderolle war – wie nicht anders zu erwarten – der opferbereite Askari.

Husens Verdienst als Filmstatist war vergleichsweise hoch, aber äußerst unregelmäßig. Sein Haupteinkommen bezog er deshalb immer noch als Kellner im »Haus Vaterland«. Doch Ende des Jahres 1935, nur zwei Wochen nach der Verabschiedung der Nürnberger Gesetze, wurde er nach fünfjähriger Tätigkeit fristlos entlassen. Ein Kollege, der sich zuvor schon beschwert hatte, dass er mit »dem einen Schwarzen« zusammenarbeiten müsse, hatte behauptet, Husen habe fünf Mark aus der Tageskasse unterschlagen. Ob diese Behauptung stimmte, ist nicht mehr festzustellen. Doch entspricht dieser Vorgang der Stimmung, die sich damals gegen alle richtete, die man als »artfremd« einstufte. Auch die jüdische Familie Kempinski fiel dieser Stimmung zum Opfer: 1937 wurden die Kempinski-Betriebe, zu denen das »Haus Vaterland« gehörte, »arisiert«.

Für die Husens war der Rausschmiss eine Katastrophe. Die große Wohnung in Berlin-Pankow konnten sie sich nun nicht mehr leisten. 1936 zog die Familie in eine kleine, dunkle Wohnung in der Brunnenstraße.

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Mohamed Husen (22.2.1904–24.11.1944)

In dieser Situation versuchte Husen verzweifelt, seinen Status irgendwie wieder aufzuwerten. Er bemühte sich nachträglich um das »Frontkämpferabzeichen« für seinen damaligen Kriegseinsatz im Ersten Weltkrieg auf deutscher Seite. Vermutlich hoffte er auf den Ehrensold, der mit diesem Orden verbunden war. Doch sein Ersuchen wurde abgelehnt. Das Innenministerium entschied, dass die Verleihung dieses Ordens auf Weiße beschränkt bleiben müsse. Husen war wütend und enttäuscht. In einem ausführlichen, auf Kiswahili verfassten Brief an das Auswärtige Amt schreibt er: »Ich war von Anfang bis Ende im Krieg dabei. Ich war nicht allein. Ich will nicht viel, ich will nur meine Auszeichnung. Das ist mein gutes Recht. (…) Wir Nubier und einige Swahili sind sehr betrübt, diese Nachricht zu bekommen. Wir hatten nicht gedacht, dass die Deutschen so eine Art haben.«¹² Später besorgte Husen sich kurzerhand selbst ein Frontkämpferabzeichen – vermutlich im Militariahandel. Auf vielen Fotos aus dieser Zeit ist er mit diesem selbstverliehenen Orden zu sehen.

Von der Wehrmacht abgelehnt

1939 erklärte England Nazideutschland den Krieg. Eine Stunde nachdem im Radio die Kriegserklärung gesendet wurde, ersuchte Husen um Aufnahme in die deutsche Wehrmacht – ein erstaunlicher Schritt, der aber vielleicht durch seinen Werdegang erklärbar ist. Sohn eines Söldners in deutschen Diensten, hatte er selbst schon als Kind das Kriegshandwerk erlernt und für Deutschland gekämpft. In seiner Jugend hatte er praktisch nichts anderes als das Soldatenleben kennengelernt. Im zivilen Leben konnte er nicht richtig Fuß fassen. Eine Tätigkeit als Soldat hätte zudem ein gesichertes Einkommen für seine Familie und für ihn endlich Respekt und das Gefühl der Zugehörigkeit bedeutet. Doch Husen wurde nicht in die Armee aufgenommen. Über die Gründe weiß man nichts. In diesem Bereich war man in Nazideutschland wenig konsequent, so dass es erstaunlicherweise auch einzelne Schwarze in der Wehrmacht gab.

Im Juli 1940 kam es zu einem ernsthaften Zerwürfnis mit dem Afrikanistik-Professor Diedrich Westermann. Trotz des Mangels an Kiswahili-Sprechern weigerte sich dieser, weiterhin mit Husen zu arbeiten. Wie es zu diesem Streit kam, ist nicht überliefert. Vielleicht empfand der patriarchalische deutsche Professor die fordernde Art seiner afrikanischen Hilfskraft als unerträglich. Was auch immer der Grund war: Husen hatte nun einen wichtigen Rückhalt im akademischen Betrieb des Seminars für Orientalische Sprachen verloren.

Im Herbst 1940 sah es dann so aus, als ob sich das Blatt noch einmal zum Guten wenden würde. Husen unterschrieb bei der Bavaria-Filmkunst einen Vertrag für den Kolonialfilm »Carl Peters« mit dem Ufa-Star Hans Albers in der Titelrolle. Der historische Carl Peters galt als der »Begründer« der Kolonie Deutsch-Ostafrika. Wegen seiner besonderen Grausamkeit war er im Deutschen Kaiserreich als »Hänge-Peters« verschrien und schließlich unehrenhaft entlassen worden. Die Nazis jedoch, die in ihm zu Recht einen ihrer Vordenker sahen, ehrten ihn als großen Kolonialpionier und benannten zahlreiche Straßen nach ihm.¹³ Verschiedene Romane wurden über Peters verfasst und schließlich, unter besonderer Anteilnahme des Propagandaministers Joseph Goebbels, wurde mit großem Aufwand ein Film über ihn auf den Weg gebracht.

Am Set denunziert

Husens Rolle war vergleichsweise groß – er spielte den gewitzten »Boy« des Titelhelden. Der Drehort war Prag – weit weg vom Berliner Alltag mit seinen Problemen und Demütigungen. In den Filmstudios, das bezeugen viele Schwarze Darsteller der damaligen Zeit, herrschte nicht der rassistische Ton wie sonst überall. Man konnte sich fast wie ein ganz normaler Mensch fühlen. Husen, der auch zuvor schon immer wieder außereheliche Affären gehabt hatte, verliebte sich in eine »arische« Frau. Ausgerechnet »eine Münchener BDM-Maid«, so ein späterer Mithäftling, »führte ihn in Versuchung, der sein heißes Herz nicht gewachsen war«.¹⁴ Im August 1941 wurde Husen verhaftet und ins berüchtigte Gestapo-Gefängnis am Alexanderplatz verbracht – wegen »Rassenschande«.

Zwei Monate später schrieb die Gestapo Berlin an Husens Vorgesetzte vom Seminar für Orientalische Sprachen: »Gegen Husen konnte ein Strafverfahren wegen Rassenschande nicht eingeleitet werden«, räumte sie ein. Doch Husen wurde nicht aus dem Gefängnis entlassen, sondern »am 17.9.1941 in das Konzentrationslager Sachsenhausen überstellt. Der Zeitpunkt seiner Entlassung ist unbestimmt«.¹⁵

Hätten seine Vorgesetzten nun ihr Ansehen in die Waagschale geworfen und sich für ihren langjährigen Sprachlehrer eingesetzt, hätten sie Husen vielleicht vor dem KZ retten können. Sie taten nichts dergleichen. Im Gegenteil, sie schoben der Verhaftung die Kündigung hinterher, da sich Husen zuvor schon »durch verschiedene Disziplinlosigkeiten um das Ansehen seiner Dozenten gebracht« habe.¹⁶

Mohamed Husens Grab befindet sich heute auf dem Friedhof für die Opfer von Krieg und Gewalt in Berlin-Reinickendorf. Vor dem Haus Brunnenstraße 193 erinnert ein »Stolperstein« daran, dass er hier seine letzten Lebensjahre verbrachte.

Anmerkungen:

1 Um darauf hinzuweisen, dass die Hautfarbenbezeichnungen »Schwarz« und »Weiß« keine biologischen Tatsachen sind, sondern soziale Zuschreibungen, schreibe ich diese Adjektive im Folgenden mit Großbuchstaben.

2 Ungefähr ein Drittel der Bevölkerung, 250.000 bis 300.000 Menschen, wurden damals getötet. Vgl. https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/209829/der-maji-maji-aufstand

3 Marianne Bechhaus-Gerst: Treu bis in den Tod. Von Deutsch-Ostafrika nach Sachsenhausen – eine Lebensgeschichte, Berlin 2007

4 Paul Reichard: Deutsch-Ostafrika: Das Land und seine Bewohner, seine wirtschaftliche und politische Entwicklung, Leipzig 1892, S. 161

5 Die afrikanischen Offiziere blieben allerdings den deutschen Unteroffizieren untergeordnet.

6 August Hauer: Watoto, die kleinsten der Lettow-Truppe. In: Hans Zache (Hg.): Das deutsche Kolonialbuch, Berlin/Leipzig 1925, S. 461

7 Vgl. Dirk van Laak: Deutschland in Afrika. Der Kolonialismus und seine Nachwirkungen. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 04/2005), https://t1p.de/Nachwirkungen

8 Zit. n. ebd.

9 Carl von Ossietzky: Deutschland ist … In: Die Weltbühne, 6.11.1928, S. 689

10 Vgl. Susanne Heyn: Der Kolonialrevisionismus und seine Kritikerinnen in der Weimarer Republik, iz3w (2006), Nr. 296, S. 42ff.

11 Zit. n. Bechhaus-Gerst (Anm. 3), S. 123

12 Zit. n. ebd., S. 99

13 Bis vor kurzem auch in Berlin im Afrikanischen Viertel

14 Franz Ballhorn: Die Kelter Gottes, München 1946, S. 107

15 Zit. n. Bechhaus-Gerst (Anm. 3), S. 142

16 Ebd.

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