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Aus: Ausgabe vom 05.11.2024, Seite 10 / Feuilleton
Literaturbetrieb

Unwahrscheinlichkeiten

Die 29. Linke Literaturmesse in Nürnberg zog viele Besucher an: Das Angebot war einfach gut
Von Arnold Schölzel
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Schön und gut und wichtig: 29. Linke Literaturmesse in Nürnberg

Ein großes Kulturhaus mitten in einer deutschen Großstadt, in dem ein linker Verlag neben dem anderen seine Angebote auf Büchertische packt, in dem Antiquariate Socialistica älteren und neueren Datums stapeln, in dem sich wohl tausende Besucher bei freiem Eintritt drängen und die fünf Säle, in denen von Freitag bis Sonntag 65 Veranstaltungen zumeist zur Vorstellung von Büchern stattfinden, häufig krachend vollmachen – im sich verfinsternden Deutschland ist die Linke Literaturmesse Nürnberg eine Unwahrscheinlichkeit. Der Hunger nach Argumenten wächst.

Auch nicht erwartbar: Die immense Vielfalt linker Buchproduktion. Sie reicht von dicken Bänden wie der Edition der Tagebücher von Maurice Thorez (Verlag Unsere Zeit) über Stefania Maurizis »Secret Power« – einem Kompendium zum Fall Wikileaks und Julian Assange – bei Papyrossa bis zur Graphic Novel des Punkmusikers und Zeichners Davide Toffolo »Interview mit Pasolini« aus der Hamburger »Galerie der abseitigen Künste«, vorgestellt von Karl-Heinz Dellwo, oder dem schmalen Traktat »Faschismus – Terror, Funktion, Ideologie und antifaschistische Strategie«, verfasst von der Gruppe »Kommunistischer Aufbau«.

Hier seien drei Veranstaltungen zu Krieg und Frieden herausgegriffen. Herausgeberin Ulrike Eifler, hauptamtlich bei der IG Metall Würzburg und Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Betrieb und Gewerkschaft der Partei Die Linke, stellt den Sammelband »Den Frieden gewinnen, nicht den Krieg. Zur Rolle der Gewerkschaften in der Friedensbewegung« (Westfälisches Dampfboot) vor. Er enthält Materialien einer Konferenz in Hanau im Juni 2023, der inzwischen eine weitere Tagung in Stuttgart folgte. Eifler: »Das Kalkül ist aufgegangen. Das Buch ist zum Organisator der gewerkschaftlichen Debatte geworden.« Die Gewerkschaften seien auf die »Zeitenwende« eingeschwenkt, deswegen müsse die innergewerkschaftliche Opposition gestärkt werden.

Ihre Diagnose – Deutschland rüstet offen zum Krieg – teilt Melodie & Rhythmus-Chefredakteurin Susann Witt-Stahl, die »Zur Ideologie der Zeitenwende« im vollbesetzten großen Saal des Hauses referiert: »Die Bundesrepublik ist im Globke-Staat 2.0 angekommen.« Faschismus wird offiziell rehabilitiert. Die Publizistin erinnert an einen Brief, den Stephan Hermlin am 17. August 1961 an Wolfdietrich Schnurre und Günter Grass als Antwort auf deren Rüge zum 13. August geschrieben hatte. Hermlin: Die DDR-Regierung habe mit ihren Maßnahmen »den Antiglobkestaat gefestigt.« Er erinnere sich an das »ekelerregende Schauspiel einer nationalen Erhebung« am 30. Januar 1933: »Hätten damals am Brandenburger Tor rote Panzer gestanden, wäre der Marsch nach dem Osten nie angetreten worden.« Witt-Stahl heute: »Jetzt stehen sie nicht mehr dort. Die Straße ist frei.« Die hegemoniale Linke marschiere diesmal mit, weil für sie der Hauptfeind nicht mehr im eigenen Land, sondern in Russland stehe. In antideutscher Terminologie: Kapitalismus oder Barbarei.

Ein wichtiges Instrument des Kriegskurses analysiert der Sozialwissenschaftler Manfred Sohn in »Die Sanktionsmaschine« (Mangroven): Sanktionen bewirken nicht das, was beabsichtigt war, und haben unangenehme Rückwirkungen auf ihre Urheber. Ein Musterfall sind die gegen Russland: Statt das zu ruinieren, deutet sich der Ruin der deutschen energieintensiven Industrie an. Der Hauptgrund für die Wirkungslosigkeit sei die Partnerschaft Chinas mit Russland und mit dem globalen Süden. Da es Neutralität bei Sanktionen nicht gibt, sieht der Imperialismus neutrale Staaten als Feinde an. Das verstärkt wiederum den Trend zur Isolation des Westens. Noch eine Lehre: Wer keine Kraft hat, Sanktionen durchzusetzen, unterspült die eigene Macht, ruiniert sich letztlich selbst. Der Niedergang des Westens beschleunige sich, was den wiederum zu militärischen Mitteln greifen lasse. Diese Buchmesse war ein Ort der Dialektik, der Widerspruchsanalyse. Noch eine Unwahrscheinlichkeit hierzulande.

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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (5. November 2024 um 07:51 Uhr)
    Die Messe war, lieber Arnold Schölzel, gewiss ein Riesenerfolg. Aber das »tausende Besucher...die Säle krachend vollmachten«, das begeistert mich gar nicht. Da muss es doch auch andere Möglichkeiten geben!
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in H.-J. R. aus Berlin (6. November 2024 um 23:13 Uhr)
      Sehr humorvoll und aufmerksam beobachtet. Aber beim Zitieren sollte man dann genau in der Gegenwart bleiben wie ansonsten gleichfalls die eigene Orthographie bei einer Kritik beachten. Deutsch hat es besonders auch in der Schriftsprache in sich.

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