Ignoranz plus Hohn
Von Arnold SchölzelAuf die SPD-Führung ist Verlass. Ihre warme Empfehlung für die Stationierung der über Moskau hinaus reichenden US-Waffen in der Bundesrepublik steht in einer 110 Jahre zurückreichenden Tradition. Bevor der Kaiser den Ersten Weltkrieg anzettelte, hatten SPD-Strippenzieher mit Regierung und Militär vorab Unterstützung durch »Burgfrieden« im Innern ausgekungelt. Die bis dahin von der Partei organisierten Kundgebungen gegen den drohenden Krieg mit Hunderttausenden Teilnehmern wurden gestoppt. Kundgebungen entfielen 1999 auch deswegen, weil SPD und Bündnis 90/Die Grünen den ersten deutschen Angriffskrieg seit 1945 bereits selbst organisierten. Eine CDU/CSU/FDP-Regierung hätte wahrscheinlich Probleme mit dem Protest gehabt, den beide Parteien, wären sie Opposition, vorgetragen hätten. Die FAZ bedankte sich jedenfalls bei ihnen, weil sie bürgerkriegsähnliche Zustände während des Jugoslawienkrieges verhindert hätten. Im Jahr 2024 fördern Gewerkschaften und Sozialdemokraten schon seit zwei Jahren umfassend die deutsche Kriegstüchtigkeit und Bündnis 90/Die Grünen lässt sich in uneingeschränktem antirussischen Bellizismus von niemandem übertreffen. Jüngsten Umfragen nach repräsentieren beide Regierungsparteien damit ungefähr die Hälfte der westdeutschen Bevölkerung (insgesamt 68 Millionen Menschen), im Osten (insgesamt 12,6 Millionen Einwohner) sollen sich 74 Prozent gegen die Stationierung aussprechen. Die SPD – eine weitgehend westdeutsche Regionalpartei?
Eine Erklärung wie die des SPD-Präsidiums vom Montag kommt jedenfalls gut zwei Wochen vor den Wahlen in Sachsen und Thüringen politischem Selbstmord dort gleich. Das stört im geschäftsführenden Parteivorstand der Sozialdemokraten offenbar niemanden. Der sächsische CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer spricht sich seit langem gegen Waffenhilfe für die Ukraine aus und verlangt ein Referendum zur Stationierung der US-Raketen. Der Bundes-CDU, die das völlig anders sieht, macht das nichts aus. In der SPD werden Kritiker wie Rolf Mützenich, Ralf Stegner, der frühere Parteivorsitzende Norbert Walter-Borjans oder frühere Außenpolitiker ignoriert. Das Papier der parteinahen Friedrich-Ebert-Stiftung, in dem eine »Fähigkeitslücke« gegenüber Russland bestritten wird – keiner Erwähnung wert. Das Neue der neuen Waffen ist demnach: Sie machen Überraschungsangriffe eher möglich. In seiner Stellungnahme schreibt das Parteipräsidium von »weiterhin« und »Dialog« – der Ignoranz folgt Hohn.
Millionen früherer SPD-Wähler blieben bei den EU-Wahlen am 9. Juni entweder zu Hause oder stimmten für andere, insbesondere das BSW. Der Trend dürfte sich verstärken. Mit der Erklärung vom Montag steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die SPD in Thüringen und Sachsen am 1. September nur mit Mühe über die Fünfprozenthürde kommt. Dem Präsidium scheint der Status als »Sonstige« dort zu reichen.
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Staatsgründung des Tages: »Schönes Russland«
vom 14.08.2024
Geschichtsvergessen, ein Adjektiv, mit dem alle gern ihre politischen Gegner diffamieren. Verrat und Vergessen sozialdemokratischer Ansprüche scheint in die Köpfe über viele Generationen leicht zu bringen zu sein. Wer hätte es gedacht Sozialdemokraten und Grüne finden sich heute auf einem politischen Niveau gleichsam in Ignoranz aller historischen Wahrheiten, mit Hohn und Spott auf alle die wieder, die noch ein Mindestmaß davon verstehen, wie Kriege gemacht werden, wer, wozu in wessen Interesse sie vom Zaun gebrochen werden. Diese SPD spricht von Friedensverantwortung für unsere Kinder. Welch ein Hohn! Sie sprechen gern von und über Demokratie. Was meinen sie mit Demokratie? Will die Mehrheit der Deutschen, eine Mehrheitsdemokratie, die das Ziel hat, Russland bis weit über Moskau hinaus mit Raketen zu erreichen?
Ist das Wunsch und Wille deutscher Demokraten oder sind das die Ziele, die seit den Weltkriegsniederlagen auf deutscher Agenda stehen? Wer kann und sollte daran zweifeln, dass sie erneut versuchen, woran zweimal gescheitert wurde? Geben wir uns keiner Illusion hin. Bei Strafe des eignen Untergangs, sie werden es tun. Wer Moskau mit atomaren Raketen, Waffen erreichen will, der will nicht bedrohen, sondern siegen. Deutsche Ziele waren nie andere. Deutsche Ziele haben auch nie an Niederlage geglaubt, tun es heute nicht. Der Siegeswahn hat alle die erfasst, die Wehrtüchtigkeit predigen, nie selbst ihr Haut auf die Schlachtfelder tragen müssen. Können wir auf Volkes Verstand und Vernunft noch hoffen? Ist dazu noch Zeit?