»Erkenntnisse der Forschung werden weitgehend ignoriert«
Interview: Ariane MüllerDas Verwaltungsgericht Oldenburg hat jüngst dem Antrag des »Freundeskreises freilebender Wölfe« stattgegeben und die beabsichtigte Wolfstötung untersagt. Wie wurde die Entscheidung vom 10. Juli begründet?
Die Abschussgenehmigung hat in mehrfacher Hinsicht gegen geltendes Recht verstoßen. Erstens fehlt bereits die Grundvoraussetzung, nämlich die Individualisierung des schadensverursachenden Wolfes, die nach den Vorgaben der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie zwingend erforderlich ist. Sollte sich das Oberverwaltungsgericht dieser Rechtsauffassung anschließen, dürfte auch das Schnellabschussverfahren endlich perdu sein. Der Verzicht auf eine Individualisierung des Schadensverursachers ist jedoch nicht nur rechtlich unzulässig, er ergibt auch keinen Sinn. Mit der Tötung eines beliebigen Wolfes, der zur falschen Zeit am falschen Ort auftaucht, kann man keine Nutztierschäden verhindern. Zweitens ist die Umsetzung von Herdenschutzmaßnahmen am Deich nicht per se unzumutbar, sondern muss im konkreten Einzelfall geprüft werden. Das Gericht verweist dabei auf fachliche Empfehlungen und die jüngst erschienene Veröffentlichung »Herdenschutz am Deich in der Praxis« des Bundesamtes für Naturschutz.
Wie hatte der Landkreis Aurich seine letzte Abschussgenehmigung gerechtfertigt?
Der Genehmigung wurden drei Rissereignisse zugrunde gelegt, die in der zweiten Junihälfte auf einem Deichabschnitt in Dornum stattfanden, der auf der Landseite mit einem Maschendrahtzaun ohne Untergrabeschutz und auf der Seeseite von einem nicht näher beschriebenen Mobilzaun gesichert war. In der Begründung heißt es, der Wolf weise ein erlerntes und gefestigtes Jagdverhalten auf, das zu weiteren Schafrissen und somit zu ernsten wirtschaftlichen Schäden führen würde. In der Folge sei zu befürchten, dass die Deichschäferei an Attraktivität verlieren und schlimmstenfalls ganz aufgegeben werden würde, was wiederum die Deichsicherheit und damit Leib und Leben der Bevölkerung gefährden würde. Die Umsetzung von Herdenschutzmaßnahmen zur Verhinderung von Wolfsübergriffen sei aufgrund der besonderen Bedingung bei der Deichbeweidung keine zumutbare Alternative. Sie sei zu teuer, zu aufwändig und hochwasserschutzrechtlich bedenklich.
In Niedersachsen wurden auffällig viele Abschussgenehmigungen für angebliche Problemwölfe ausgestellt. Gibt es diese überhaupt?
Seit dem Amtsantritt von Christian Meyer, Bündnis 90/Die Grünen, als Umweltminister im November 2022 wurden bereits vier weitere Ausnahmegenehmigungen auf den Weg gebracht. Niedersachsen ist trauriger Spitzenreiter in Sachen behördlich angeordneter Wolfsjagd. Allerdings wurde nie der angebliche »Problemwolf« erschossen. In sieben Fällen kam es zu einem Fehlabschuss, die übrigen Genehmigungen wurden entweder nicht vollzogen oder gerichtlich gestoppt. Wenn man von geltendem EU-Recht ausgeht und unter einem »Problemwolf« einen Wolf versteht, der nachweislich mehrfach den fachlich empfohlenen Herdenschutz überwunden hat, gibt es in Niedersachsen derzeit keine »Problemwölfe«.
Die Raub- und Rudeltiere sind längst zum politischen Spielball geworden. Was steckt aus Ihrer Sicht dahinter?
Zu Oppositionszeiten sind die Grünen den Argumenten der Naturschutzverbände gefolgt und haben die Wolfspolitik der regierenden Parteien vehement kritisiert. Seit sie auf Bundes- und Landesebene mitregieren, geben sie dem wachsenden Druck der Bauern-, Nutztierhalter- und Pferdezuchtverbände sowie der Jägerschaften immer mehr nach. So wurde das sogenannte Schnellabschussverfahren von der Grünen-Bundesumweltministerin Steffi Lemke vorgeschlagen, anschließend von der Umweltministerkonferenz beschlossen und in Niedersachsen unter Federführung ihres Parteikollegen Meyer dreimal erprobt. Diese »Probeläufe« endeten in einem Desaster: Gegen die auf der Grundlage des Schnellabschussverfahrens erteilten Genehmigungen haben Wolfs- und Naturschutzverbände erfolgreich Rechtsmittel eingelegt. Unterm Strich geht es auf der einen Seite um Wählerstimmen und auf der anderen um die Wahrung von Eigeninteressen. Fachliche Fragen und wissenschaftliche Erkenntnisse werden weitgehend ignoriert.
Antje Oldenburg ist im Heidekreis aktiv im Naturschutzbund Deutschland und arbeitet dort zum Thema Wolf
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