»Das ist eine 80-Milliarden-Dollar-Industrie«
Interview: Alex FavalliGemeinsam mit Ihrer Kollegin Margie Mason haben Sie für Associated Press zur Zwangsarbeit in US-Gefängnissen recherchiert. Was konnten Sie Neues herausfinden?
Während viel über verschiedene große Unternehmen geschrieben wurde, die Gefangenenarbeit einsetzen – beispielsweise Victoria’s Secret oder Starbucks – haben wir uns auf die Landwirtschaft konzentriert. So folgten wir den Lastwagen, die die Einrichtungen verließen. Einige Unternehmen wie McDonald’s oder Burger King wissen nicht mal unbedingt, dass das Rindfleisch, das sie von Schlachthöfen beziehen, ursprünglich aus Gefängnissen stammt. Dasselbe trifft auch auf Getreide zu. Es geht um ein System, das die Masseninhaftierung erst ermöglicht. Solange diese großen Unternehmen beteiligt sind, können es sich die Bundesstaaten leisten, weiterhin Menschen einzusperren. Denn je mehr sie einsperren, desto mehr Geld bekommen sie.
Wo liegen die gesetzlichen Grauzonen dabei?
Es ist klar, dass es völlig legal ist. Wenn man die amerikanische Geschichte betrachtet, war jede Phase der Ausbeutung von Arbeitern legal. Und die Gefängnisse liegen in der Regel weit entfernt von bewohnten Gebieten. Niemand weiß wirklich, was dort geschieht. Wenn sie auf den Feldern arbeiten, bei der Massentierhaltung oder in anderen gefährlichen Situationen, für die sie nicht ausgebildet werden, kümmert das niemanden wirklich. Es wird als ihre Schuld gegenüber der Gesellschaft angesehen.
Wieviel wissen die Unternehmen?
Es hängt davon ab, ob sie direkt von Gefängnissen kaufen, wie Cargill. Das größte private Unternehmen in den USA zahlt normale Marktpreise für sein Getreide, auch wenn es von Gefängnissen produziert wird. Denn als globaler Exporteur nimmt es alles mit, was es kriegen kann. Die Gefängnisse bekommen viel Geld für das Getreide und die Arbeiter nichts. In vielen Fällen erhalten die Gefängnisse doppelt Geld, weil sie es von den Steuerzahlern und von diesen Unternehmen erhalten. Das ist eine 80-Milliarden-Dollar-Industrie.
Die Gefängnisse sind also subventionierte Unternehmen.
Sie sind voll im Geschäft. Sie nehmen Inhaftierte aus staatlichen Gefängnissen auf, weil diese überfüllt sind, und erhalten einen bestimmten Betrag pro Person. Außerdem werden die Insassen an Unternehmen »vermietet«. Rund 80 Prozent dieser Einnahmen sind Reingewinn. Auch den Bezirkssheriffs geht es nur um Profite.
Wie kamen Sie dazu, dem nachzugehen?
Margie Mason und ich untersuchten 2015 die Sklaverei in der Fischindustrie Südostasiens. Wir entdeckten Inseln, auf denen Männer in Käfigen gehalten und gezwungen wurden zu fischen. Sie wurden aus ihren Familien entführt und lebten manchmal jahrelang auf diesen Booten. Als wir das aufdeckten, wurden 2.000 Männer befreit und die Gesetze in den USA geändert. Dafür gab es sogar den Pulitzer-Preis. Dann haben wir eine Folgestory über die Palmölernte in Malaysia und Indonesien gemacht. Ein missbräuchliches System, in dem Kinder und Frauen arbeiten, die auf den Feldern regelmäßig vergewaltigt wurden. Da haben wir zum ersten Mal begonnen, die Lieferketten zu verfolgen, und konzentrierten uns auch auf die Erntearbeiter.
Zurück in den USA beschäftigten wir uns mit der Gefängnisarbeit während der Covid-19-Pandemie. Die Insassen stellten Handdesinfektionsmittel und Masken her, sie hoben Löcher für Massengräber aus. Covid wütete in den Gefängnissen. Die Sterblichkeitsrate bei Gefangenen war viel höher als in der Allgemeinbevölkerung.
Wie reagierte die Öffentlichkeit auf Ihren Bericht?
Wir rechneten mit heftigen Reaktionen der konservativen Seite. Doch viel davon gab es nicht, sondern ein sehr breites öffentliches Interesse. Leute, die den Text normalerweise nicht gelesen hätten, sahen ihn. Ich hoffe, dass wir vielen Menschen die Augen etwas öffnen konnten. Jetzt in Texas oder Louisiana liegen die Temperaturen bei über 40 Grad, und die Gefangenen arbeiten zehn Stunden am Tag auf den Feldern, bekommen nur zwei Wasserpausen am Tag, müssen ein paar Stunden laufen, nur um zum Feld zu kommen, und so weiter. Wer aus der Reihe tanzt, wird vom Lastwagen abgeholt und in Einzelhaft geschickt, wo es keine Klimaanlage gibt. Die Gefangenen werden mit Hitze bestraft.
Robin McDowell ist investigative Journalistin und lebt in den USA. 2016 gewann ihr Rechercheteam den renommierten Pulitzer-Preis
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
Ähnliche:
- 15.05.2024
Alles hängt am Glyphosat
- 08.01.2024
Postkolonialer Imperialismus
- 26.10.2023
Geschwächte Verhandlungsmacht
Regio:
Mehr aus: Kapital & Arbeit
-
Aus der Batteriefabrik
vom 04.07.2024 -
Resilienz bleibt Fremdwort
vom 04.07.2024