Westen schwarz, Osten blau
Von Kristian Stemmler![4.jpg](/img/450/195917.jpg)
Im Schatten der Europawahl fanden am Sonntag in neun Bundesländern Kommunalwahlen statt. Auch dabei kam es, vor allem in Ostdeutschland, zu einem deutlichen Rechtsruck: Die AfD wurde in Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Brandenburg zur stärksten Kraft. Das zeigt einen Trend an, der sich bei den Landtagswahlen in den zwei letztgenannten Ländern sowie in Thüringen im Herbst fortsetzen dürfte. Dort gab es einen Wermutstropfen für die Partei: Sie verlor alle neun Stiche bei den Landratswahlen. Auch in Baden-Württemberg, im Saarland, in Hamburg und Rheinland-Pfalz waren Bürger zur Urne gebeten.
Die Linke – in Ostdeutschland traditionell stärker als im Westen – musste dagegen herbe Verluste hinnehmen. Sie büßte fast durchweg knapp die Hälfte ihrer Stimmen ein. Auch SPD und Bündnis 90/Die Grünen verloren. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) erreichte, wo es antrat, aus dem Stand teilweise zweistellige Ergebnisse.
Die Auszählung für Kommunalparlamente ist wegen der Möglichkeit, mehrere Stimmen zu verteilen, deutlich komplizierter und kann sich über mehrere Tage hinziehen. Der Triumph der AfD steht aber schon fest. So liegt die Partei bei den Kreistags- und Stadtratswahlen in Sachsen-Anhalt nach Auszählung von 2.590 der insgesamt 2.594 Wahlbezirke bei 28,1 Prozent aller Wählerstimmen. Damit konnte die AfD im Vergleich zu den Kommunalwahlen 2019 um satte 11,6 Prozentpunkte zulegen. Die CDU folgt mit 26,7 Prozent (plus 2,1 Prozentpunkte). Die Linke kam auf 8,3 Prozent, verlor 6,7 Prozent, also fast die Hälfte ihrer Stimmen.
In Sachsen dauerte die Auszählung am Montag an. Am Nachmittag waren 443 von 457 Gemeinden/Wahlkreisen ausgezählt. Hier waren vor allem Wählervereinigungen erfolgreich sowie AfD und CDU. In elf der 13 Kreise und kreisfreien Städte Sachsens wurde die AfD mit Werten von um die 30 Prozent stärkste Kraft. Nur in Leipzig belegte die CDU mit 18,9 Prozent den ersten Platz, die AfD knapp dahinter mit 17 Prozent.
Auch in Brandenburg, bei den Wahlen zu 14 Kreistagen und den Stadtverordnetenversammlungen der vier kreisfreien Städte, triumphierte die AfD. Sie gewann im Vergleich zur Wahl vor fünf Jahren 9,8 Prozentpunkte dazu und erreichte 25,7 Prozent, wie der Landeswahlleiter am Montag mitteilte. Die CDU verbesserte sich um einen Punkt auf 19,3 Prozent. Die Linke büßte 6,3 Punkte ein und landete bei 7,8 Prozent. Auch SPD und Grüne verloren. Das BSW trat nicht unter offiziellem Namen an, sondern lokal mit anderen Bündnissen.
In Mecklenburg-Vorpommern kam die AfD nach Auszählung aller 1978 Wahlbezirke auf 25,6 Prozent der Stimmen und verdoppelte ihren Stimmenanteil im Vergleich zu 2019 beinahe. Die CDU verlor leicht und erreichte 24 Prozent. Die Linke, vor fünf Jahren mit 16,3 Prozent noch zweitstärkste Kraft, stürzte auf 8,8 Prozent ab. Verluste musste auch die SPD hinnehmen, die statt 15,4 nur noch 12,7 Prozent erreichte. Wagenknechts Partei erzielte 6,1 Prozent, obwohl sie nur für die Kreistage in drei der sechs Landkreise sowie in Rostock Kandidaten ins Rennen geschickt hatte. Das Ergebnis der Grünen halbierte sich von 10,3 auf 5,5 Prozent.
Bei den Stichwahlen um Landratsposten in Thüringen hingegen ging die AfD leer aus. In keinem der neun Landkreise, in denen AfD-Kandidaten den zweiten Wahlgang erreicht hatten, reichte es für einen Sieg. Der Neonazi Tommy Frenck stand bei der Stichwahl im Südthüringer Landkreis Hildburghausen nach Auszählung von 120 der 127 Stimmbezirke bei 31,0 Prozent, der Freie-Wähler-Kandidat Sven Gregor bei 69,0 Prozent. In der Landeshauptstadt Erfurt verlor der langjährige SPD-Oberbürgermeister Andreas Bausewein mit 35,8 Prozent deutlich gegen CDU-Herausforderer Andreas Horn, der 64,2 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte.
Bei den Gemeinderatswahlen in Baden-Württemberg muss Bündnis 90/Die Grünen einer Prognose des SWR zufolge in den drei größten Städten des Landes, Stuttgart, Karlsruhe und Mannheim, zwar mit Verlusten rechnen. Diese fallen aber nicht so stark aus wie bei den Europawahlen. Die CDU kann in Stuttgart und Mannheim demnach die Grünen als stärkste Kraft ablösen; in Karlsruhe halten die Grünen voraussichtlich diese Position trotz Verlusten. Die AfD gewinnt auch im »Ländle« dazu, wenn auch nicht so stark wie im Osten. Landesweite Ergebnisse werden für den Dienstag erwartet.
Im Saarland gewann die CDU die Kommunalwahl auf Kreisebene klar. Die Partei kam bei der Wahl der sechs Kreistage auf 34,4 Prozent der Stimmen und landete damit vor der auf Länderebene regierenden SPD, die 29,9 Prozent erzielte. Die AfD holte 10,4 Prozent (plus 1,9 Punkte), das BSW 3,6 Prozent. Die Linke stürzte auch hier ab: von 7,5 auf 3,4 Prozent. Im Stadtstaat Hamburg wurde über die Mandate für die Bezirksversammlungen abgestimmt. Die Auszählung dauerte am Montag noch an. In Rheinland-Pfalz wird erst Mitte der Woche mit einem amtlichen Ergebnis gerechnet.
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Politikergenerationen West sollten noch sehr gut darüber Bescheid wissen, wie schonend, verschleiernd, rücksichtsvoll, verschwiegen, straflos bis ehrenvoll mit faschistischer Vergangenheit samt repräsentativen Persönlichkeiten des deutschen Faschismus, Kriegs- und Naziverbrechern umgegangen wurde. Die Bundesrepublik stand bei ihrer Gründung fest auf der Traditionslinie eine Politik, die in den Faschismus geführt hatte. Es ist offenes Geheimnis, wer in der Bundesrepublik politischer Verfolgung ausgesetzt war und über wem die schützende Hand des westdeutschen Staates immer gelegt wurde. Deutsche Antifaschisten, die vor Nazirichtern schon standen, die sahen sich in der Bundesrepublik nicht selten den gleichen Richtern gegenüber.
Es mag noch so viel der DDR angelastet oder angedichtet werden, noch so viele Verbrechen täglich über alle Sender und Medien unaufhörlich Verbreitung finden, in Frage Antifaschismus hat die Bundesrepublik nie annähernd antifaschistische Rechtsstaatlichkeit vorleben können und wollen. Daran ist zu erinnern, wenn sich heute so viele gern als Antifaschisten vorzeigen, sich als Kämpfer gegen Antisemitismus geben. Die DDR hatte mit den Folgen des Faschismus in allen Formen, den ideologischen inbegriffen, ebenso zu kämpfen. Sie hat es aber getan, nicht immer und überall damit Freunde gewonnen. Die DDR hatte Feinde im eignem Lande und sie war Ergebnis des faschistischen Krieges, mit allen Folgen für die Bevölkerung als Verlierer des Krieges. Bis heute gilt, wer politisch zu Ost und West urteilt, staunt oder sich ahnungslos gibt, dem sei mit Lenin gesagt: »Der ganze Geist des Marxismus, sein ganzes System verlangt, dass jede These nur a) historisch; b) nur in Verbindung mit anderen; c)nur in Verbindung mit den konkreten Erfahrungen der Geschichte betrachtet wird.« Wo der rechte Sumpf immer gegenwärtig gewesen ist, kann niemand leugnen, ist historisch belegt. Wo Frieden und Antifaschismus Staatspolitik waren, ist nicht zu leugnen, wie eine DDR nie den Kampf dafür beendet erklären konnte. Dafür hat westlicher Einfluss weit darüber hinaus gesorgt. Vor dem gesamten Hintergrund, angesichts der Niederlage des Sozialismus und allem, was bis heute täglich über die DDR in die Köpfe von Generationen gehämmert wird, wie kann sich jemand noch wundern, wie Ostdeutsche wählen, denken, aus Erfahrungen handeln, andere »Feindbilder« entwickeln, AfD alternativ sehen. Das andere hatten wir schon, lautet der oft hörbare Satz von Wählern heutiger Generationen und verbindet sich mit dem, was ihnen die »Sieger der Geschichte« seit mehr als drei Jahrzehnte emotional zu Bewusstsein bringen.
Wie schwierig, zäh, langwierig es ist, gelebtes Leben Ost und West vor allem und gerade auch klassenmäßig zu vereinen, das spüren wir am Verfall der Linken und selbst bis in unsere Reihen. Unverzichtbar, was dabei unsere kleine DKP in dieser Frage leistet, ohne historische Wunder vollbringen zu können.