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Aus: Ausgabe vom 11.06.2024, Seite 1 / Titel
EU-Wahl

Kriegerin ohne Kontra

Nach der EU-Wahl: Kommissionspräsidentin von der Leyen setzt für Wiederwahl auf NATO-Anbindung und Konfrontation
Von Jörg Kronauer
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Rudi Hurzlmeier: »Kommission Bunker«, aus dem Zyklus »Europa« (Ausstellung bis 1. September 2024 im Tor218 Artlab in Berlin-Mitte)

Die Stimmen sind ausgezählt, am immer ausschweifenderen Militarismus wie auch der Abschottung von südlichen und östlichen Nachbarn ändert das nichts. Und die EU rückt noch ein ganzes Stück weiter nach rechts: Dies ist das wohl zentrale Resultat der Wahl zum EU-Parlament, die am Sonntag zu Ende gegangen ist. Insbesondere in den drei größten und wirtschaftsstärksten Mitgliedstaaten zeigte das Wahlergebnis, wie weit sich das politische Klima inzwischen verschoben hat. In Deutschland schaffte es die AfD mit 15,9 Prozent auf Platz zwei. In Frankreich wurde der Rassemblement National (RN) um Marine Le Pen mit 31,37 Prozent mit deutlichem Abstand stärkste Kraft, während die rechts von ihm stehende Partei Reconquête weitere 5,47 Prozent einfuhr. In Italien konnten sich die drei Regierungsparteien, deren Koalition oft als die am weitesten rechts stehende seit Mussolini bezeichnet wird, bei zusammengenommen fast der Hälfte aller Stimmen konsolidieren. Dabei bauten die Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ihre Führung mit 28,77 Prozent aus.

Im künftigen Europaparlament werden die beiden großen Fraktionen der extremen Rechten, die Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) und Identität und Demokratie (ID), in Zukunft mit 131 statt wie bisher 118 Abgeordneten vertreten sein. Rechnet man Parteien hinzu, die gleichfalls zur äußersten Rechten gehören, aber – wie die AfD oder der Fidesz des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán – zur Zeit fraktionslos sind, kommt man auf einen Anteil von knapp 25 Prozent, also fast so viel, wie die Europäische Volkspartei (EVP) um CDU und CSU erzielen konnte (25,69 Prozent). Der ID-Fraktion gehören die extrem rechten Parteien FPÖ und Vlaams Belang (Belgien) an, die mit 25,7 bzw. 13,86 Prozent zum ersten Mal zur je stärksten Kraft in ihren Ländern wurden. Auf vergleichsweise niedrigem Niveau stabilisieren konnten sich mit 19,03 Prozent die Sozialdemokraten, während die Liberalen mit 10,97 Prozent und die Grünen mit 7,22 Prozent um jeweils nahezu ein Drittel einbrachen. Die Linken blieben mit mageren fünf Prozent stabil.

Unklar ist, auf welche Mehrheit sich Ursula von der Leyen bei ihrer angestrebten erneuten Wahl zur Kommissionspräsidentin stützen wird. Rechnerisch liegen EVP, Sozialdemokraten und Liberale zusammen bei 398 Abgeordneten; 361 reichen für eine Mehrheit aus. Von der Leyen wird sich aber nicht auf alle von ihnen stützen können. In Frankreich etwa haben sich Konservative und Sozialisten bereits gegen sie ausgesprochen. Von der Leyen will Gespräche mit den geschwächten Grünen führen, hat vor der Wahl aber schon angekündigt, auch eine Kooperation mit Meloni bzw. mit Teilen der EKR-Fraktion in Betracht zu ziehen. Dies würde den Cordon sanitaire, der über Jahrzehnte hin die extreme Rechte von den ­Trögen der Macht fernhielt, auf EU-Ebene zum ersten Mal strukturell brechen. Von der Leyen hatte bereits vor der Wahl als Bedingung für eine Kooperation die Bereitschaft genannt, sich in EU und NATO einzugliedern sowie die Ukraine im Krieg gegen Russland zu unterstützen. Meloni, die ihr Koalitionsmodell auf Brüssel übertragen will, erfüllt dies.

Inmitten der harten Rechtsverschiebung gab es immerhin einige wenige Lichtblicke. So konnte sich die Partei der Arbeit Belgiens (PTB/PvdA) von 8,42 Prozent auf 10,7 Prozent steigern. Die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ), die zuletzt Wahlerfolge etwa in Graz, Salzburg und Tirol hatte erzielen können, wuchs von 0,8 auf 2,9 Prozent. Die Kommunistische Partei Griechenlands näherte sich mit einem Anstieg von 5,4 auf 9,25 Prozent ihren teils zweistelligen Wahlergebnissen der 1980er Jahre.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (11. Juni 2024 um 10:32 Uhr)
    Demokratie bedeutet: das Ringen um Mehrheiten, kurz gesagt Machtgerangel! Es muss daran erinnert werden, dass die Bürger bei den Wahlen zum Europäischen Parlament nur indirekt beeinflussen können, wer das wichtigste Amt der EU erhält. Von der Leyen warb bei den Wählern um Stimmen für die EVP. Wichtiger noch war jedoch, dass sie sich bei den Staats- und Regierungschefs vorstellte, die sie zunächst nominieren müssen, bevor sie – möglicherweise – von den Abgeordneten grünes Licht bekommt. Die politische Mitte behält die Mehrheit im Europäischen Parlament. Um Präsidentin der Kommission zu bleiben, wird von der Leyen jedoch entweder auf die Grünen oder auf die Nationalkonservativen zugehen müssen. Beide Optionen sind nicht ohne Risiken. Kooperiert von der Leyen mit den Grünen, riskiert sie, Teile der EVP zu verlieren, die gegen die wichtigsten Klimaschutzmaßnahmen sind und zudem härtere Regeln bei der Migrationspolitik implementieren wollen – die den Grünen wiederum ein Grauen sind. Schon haben die konservativen Républicains angekündigt, von der Leyen nicht zu unterstützen, und auch die Sozialisten in Frankreich sind unzufrieden mit der Deutschen, die für sie viel zu proamerikanisch agiert. Weichen mehr als zehn Prozent der Abgeordneten aus den verbündeten Lagern ab (was erfahrungsgemäß zu erwarten ist), wird es eng für von der Leyen. Genau aus diesem Grund führte sie vor kurzem auch Gespräche mit der rechten Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), in der die Fratelli d’Italia von Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni vertreten sind. Leider geht es in diesem Machtgerangel vorrangig um Einzelkarrieren und nicht darum, die EU besser zu gestalten!
  • Leserbrief von Holger K. aus Frankfurt (10. Juni 2024 um 20:36 Uhr)
    Bürgerliche Wahlen sind Stimmungsbilder, genährt aus Stimmungen, aufsteigend aus dem Bauch, mit Moral ummantelt. Wieder mal hat sich gezeigt, dass die Meinungsmacher, dem »gemeinen« Volk die Marschrichtung weist, versteht dumpf Irrationales-Nationales sowie Xenophobe hochzukitzeln. Ein Nach- und Mitdenken unterbliebt, allemal in krisengeschüttelten Zeiten wie den Jetzigen. Einer Schafsherde gleich, folgen die Lämmer ihren gemeingefährlichen Hirten, ähnlich dem Rattenfänger von Hameln. Beschwörende Worte von drohender östlicher Gefahr stimmen das staats - und autoritätsgläubige Staatsvolk ein, dabei dem Glockenklang von Demokratie, Werte, Menschenrechte lauschend. So leicht also kann es zuweilen zugehen, wenn die breite Masse orientierungslos herumgeistert. Das wäre wohl weniger der Fall, gäbe es als Alternative noch sozialistische Staaten sowie kampfstarke Kommunistische Parteien, die es verstehen, einen Teil der Unterdrückten und Ausgebeuteten auf Trab zu bringen. Jetzige »linke« Schwätzer sind hierbei eher abturnend, erreichen oftmals das Gegenteil. Zugegeben, die breite Masse ist desinformiert und blauäugig in Einem. Aber selbst ein Blinder am Krückstock muss doch erkennen, dass der Wertewesten zielstrebig auf einen großen Krieg hinsteuert. Was bitte sehr muss eigentlich noch passieren, bis all die dumpfen Nebelschwaden aus den verkleisterten Hirnen wegwehen? Zugegeben, weiter unten gibt es nicht nur Dummheit und Infantilität, doch auch das lässt wenig frohlocken, denn die Gedeckelten resignieren ganz einfach, wenn sie denn die Realität erkennen. So ergibt sich zwangsläufig ein erschreckendes Gesamtbild, wie je die fürchterliche Geisterfahrt der Herrschenden noch gestoppt werden kann.
    • Leserbrief von Joachim Seider aus Berlin (11. Juni 2024 um 11:07 Uhr)
      Das alles ist richtig. Aber es wird nicht reichen, die Qualen der Hölle ausreichend zu schildern, wenn man ins Himmelreich will. Die Kirche versucht das seit zwei Jahrtausenden erfolglos. Probieren wir es mal mit einer Prise von historischem Optimismus? Ganz doof sind die Völker letztendlich doch nicht!

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