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Aus: Ausgabe vom 25.05.2024, Seite 8 / Ausland
Repression gegen Palästina-Bewegung

»Die meisten hier wurden auf der Straße aufgegriffen«

Griechenland: Europäische Studierende werden nach Besetzung an Universität in Abschiebelager festgehalten. Gespräch mit Joana Bell
Interview: Alieren Renkliöz
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Sie gehören zu einer Gruppe von insgesamt neun europäischen Studierenden, die bei Athen in dem Abschiebelager Amygdaleza inhaftiert sind. Zuvor hatten sie am 13. Mai in der griechischen Hauptstadt zusammen mit anderen ein Universitätsgebäude besetzt. Warum hat sich Ihre Gruppe an der Aktion beteiligt?

Eine Reihe von Aktivisten hatte die Besetzung der Nomikh-Universität in Solidarität mit Palästina ausgerufen. Die Besetzung war die erste in Athen und in ganz Griechenland, da die griechischen Universitäten bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht der Welle palästinasolidarischer Campusbesetzungen gefolgt waren, die von den USA ausging. Damit stellen wir uns gegen den anhaltenden Völkermord in Gaza.

Obwohl Sie gefangengehalten werden, können wir uns über Smartphones miteinander unterhalten. Was für ein Lager ist Amygdaleza?

Amygdaleza ist ein geschlossenes Lager und liegt 40 Kilometer von Athen entfernt. Es ist unterteilt in verschiedene Abschnitte für Männer, Frauen und Familien. Amygdaleza war zuletzt in den Nachrichten, weil vier Polizeibeamte aus dem Lager verhaftet wurden, da sie beschuldigt werden, einen Inhaftierten gefoltert zu haben. Es wurde 2012 eröffnet und hat eine Kapazität von 1.000 Personen. Wir haben unseren eigenen Bereich mit eigenen Containern.

Wir möchten betonen, dass wir keine Gefangenen sind, denn Amygdaleza ist kein Gefängnis, sondern ein Abschiebeknast. Es ist wichtig, auf diesen Unterschied hinzuweisen. Die meisten Menschen hier werden auf der Straße aufgegriffen und in dieses Lager gebracht, ohne dass sie jemals vor Gericht gestellt werden oder ein Verfahren durchlaufen. Einer unserer Genossen ist in einem separaten Abschnitt neben uns untergebracht, zusammen mit einem anderen Inhaftierten. Die meisten Menschen hier dürfen ihre Handys behalten.

Unter welchen Bedingungen werden Sie derzeit festgehalten?

Im Vergleich zu den anderen Inhaftierten sind wir in der privilegierten Lage, in ständigem Kontakt mit unseren Anwälten zu stehen. Mit der Polizei können wir uns auf englisch verständigen. Damit hat die Mehrheit der anderen Inhaftierten zumindest schwer zu kämpfen, denn das Lager stellt keine Dolmetscher zur Verfügung. Wir werden fast täglich damit konfrontiert, dass wir offizielle Dokumente erhalten, die nur auf griechisch und ohne Übersetzung verfasst sind. Die Behörden drohen uns damit, dass wir als unkooperativ betrachtet werden, falls wir nicht sofort unterschreiben.

Einer unserer inhaftierten Kameraden muss eine ärztliche Behandlung erhalten, die ihm von der Polizei fast zwei Tage lang verweigert wurde. Und die Polizei hält uns davon ab, unsere Besucher während der angemeldeten Zeiten zu sehen. Mit ihnen können wir nur für drei bis fünf Minuten durch den Zaun sprechen, nachdem sie über fünf Stunden darauf gewartet haben, ins Lager gelassen zu werden. Die Container sind teilweise nicht an die Stromversorgung angeschlossen, haben kaum Zugang zu funktionierenden Toiletten oder Duschen und weisen sehr schlechte hygienische Bedingungen auf.

Warum hat die Polizei die anderen, die an der Besetzung des Unigebäudes teilnahmen, freigelassen, Ihre Gruppe aber nicht?

Nach griechischem Recht steht es uns frei, zu gehen, da wir keiner Straftat angeklagt wurden. Somit müssen wir davon ausgehen, dass wir illegal in diesem Lager festgehalten werden. Rechtlich gesehen wurden wir alle am 15. Mai vom Gericht freigelassen. Wir sind dennoch in Amygdaleza aufgrund einer Verwaltungsentscheidung, die von der zentralen Polizeibehörde in Athen veranlasst wurde. Nach dem 1. Mai hatte Griechenland ein neues Gesetz in Kraft gesetzt, das die Abschiebung »unerwünschter« Migranten, auch wenn sie einen europäischen Pass besitzen, einfacher und schneller machen soll. Wir wären die erste Gruppe von EU-Bürgern, die nach diesem neuen Gesetz abgeschoben würde – ohne Anklage, ohne Gerichtsverhandlung.

Hinweis vom 29.5.2024: In einer vorherigen Fassung ging aus einer Antwort nicht eindeutig hervor, welchen Anteil die Gruppe unserer Gesprächspartnerin an der Besetzung hatte. Die Gruppe legt Wert auf die Feststellung, dass sie sich an der Besetzung beteiligt, zu dieser aber
nicht aufgerufen bzw. diese nicht verkündet hatte. Wir haben die entsprechende Stelle präzisiert. (jW)

Joana Bell (Name geändert) ist Aktivistin und wird derzeit mit acht anderen in einem Abschiebelager in Athen festgehalten. Sie kommen aus dem Vereinigten Königreich, Frankreich, Italien, Deutschland und Spanien. Die Fragen hat die Gruppe kollektiv beantwortet.

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