Jetzt zwei Wochen gratis testen.
Gegründet 1947 Montag, 17. Juni 2024, Nr. 138
Die junge Welt wird von 2788 GenossInnen herausgegeben
Jetzt zwei Wochen gratis testen. Jetzt zwei Wochen gratis testen.
Jetzt zwei Wochen gratis testen.
Aus: Ausgabe vom 24.05.2024, Seite 15 / Feminismus
Rezension

Durchgesetzt in einer Männerdomäne

Gunhild Liljequist: Biographischer Roman würdigt stilbildende Industriedesignerin
Von Christiana Puschak
Gunhild_Liljequist.jpg
Gunhild Liljequist im Sommer 2019 vor einem samtroten Sonderkäfer in Einbeck

Das »Lofotengrün«, das »Senegalrot«, das »Miamiblau« und das »Ceylonbeige« – alles Farben, die mit einem Namen verbunden sind: Gunhild Liljequist. Wer war diese Frau, die nicht nur eine kreative Designerin, sondern ebenso eine begnadete Malerin sowie Objektkünstlerin und Visionärin war?

Jeanette Nentwig erzählt in ihrer Romanbiographie die Lebensgeschichte dieser außergewöhnlichen Frau – lebendig, mitreißend und inspirierend. Viele Jahre arbeitete Liljequist als Farben- und Stoffachfrau bei Volkswagen, wo sie sich Widerständen zum Trotz in einer Männerdomäne durchsetzte. Nicht allein das Kreieren von Farben und Stoffen war ihre Passion, sondern sie mochte es, Designs zu entwerfen, die stilbildend sein sollten. So entwarf sie für VW viele Sondermodelle, etwa den »samtroten Käfer« oder den Golf Cabrio »Etienne Aigner« – noch heute gefragt bei Oldtimerliebhabern.

Als Tochter einer Modistin sowie eines Bäckers wurde Gunhild Terzenbach am 21. März 1936 in Berlin-Hohenschönhausen geboren, wo sie mit vier Brüdern aufwuchs. Bereits als Kind nahm sie ständig einen Stift in die Hand. Sie bemalte Tische und Gegenstände, wenn ihr aufgrund von Geldmangel das Papier fehlte. Oder sie bastelte aus Tapetenresten Puppen. Nach ihrem Schulabschluss begann Gunhild an der Meisterschule für das Kunsthandwerk Porzellanmalerei zu studieren. Dort fiel den Dozenten »ihre feine, akribische Mal- und Schreibform« auf. Ihre Gesellenprüfung vor der KPM Berlin bestand sie souverän – attestiert wurde ihr ein »außergewöhnliches Talent für Farben und Formen«. Dank einer Begabtenförderung konnte sie ihr Studium fortsetzen, das sie mit einem Abschlussteller zum Thema »Freier Entwurf« erfolgreich absolvierte – von einem »echten Meisterstück« war die Rede, das in der Originalität der Formensprache überzeuge.

Für ihr nächstes Vorhaben, selbstentworfenen und hergestellten Emailleschmuck in Kunstgewerbegeschäften zu verkaufen, benötigte sie einen Führerschein. Als eine der wenigen Frauen der 1950er Jahre besuchte Gunhild eine Fahrschule und erhielt die Fahrerlaubnis in einer Zeit, als Autofahrerinnen noch verwunderte Blicke auf sich zogen, denn »eine Frau am Steuer (war) nach wie vor ein ebenso seltener wie überraschender Anblick«. Voller Humor werden die Reaktionen der Männer auf Autofahrerinnen geschildert, aber auch die Ängste nicht verschwiegen, unter denen Gunhild litt und die sie mit Cognacbohnen zu verdrängen suchte.

Mit leichter Hand beschreibt die Autorin, wie Gunhild den Job »Sachbearbeiterin der Abteilung Farben und Stoffe« bei VW erhielt und wie sie bei männlichen Kollegen Irritationen auslöste, so etwa beim Aufsuchen der Lackiererei, wo »Damenbesuch« nicht vorkam. Ohne sich von den Reaktionen der Umwelt beirren zu lassen, kreierte Gunhild unermüdlich aus verschiedenen Grundfarben immer neue Farbschöpfungen für Lackierungen. So ging der gesamte Entwurf des »samtroten Käfers« auf sie zurück – sie designte die Innen- und Außenausstattung des Wagens, und ihrer Liebe zur Porzellanmalerei verdankte das Auto seine typischen Ornamente. Ebenfalls auf ihr Konto gehen der legendäre Schaltknauf in Golfballoptik sowie das Karomuster der Sitze für den Golf.

Zu Beginn der 70er Jahre widmete sich Gunhild der Malerei. Ihre Bilder – »poetische Äußerungen einer Malerin mit einer eigenen Bild- und Ideenwelt« – fanden bei Kunstkennern großen Anklang. Später gestaltete sie für die Fürstenberg-Manufaktur Porzellanobjekte. Unterstützung und Glück in der Liebe fand Gunhild bei Bo Liljequist, »dessen Charme und wunderbarer Humor sie immer wieder verblüfften«.

Zuweilen liest sich dieser biographische Roman wie ein modernes Märchen, doch er beruht auf Fakten. Es ist die spannende und ermutigende Geschichte der Emanzipation einer kreativen und tatkräftigen Frau, die sich in den 50er und 60er Jahren über Einschränkungen für Frauen hinwegzusetzen wusste. Eindringlich vermittelt das Buch ein Stück Designgeschichte, das Frauen anregen kann, einen »Männerberuf« zu ergreifen und dabei ihren eigenen Weg – auch jenseits der Norm – zu gehen. Die Protagonistin des Buches ist eine realitätsnahe Frau, die nach Misserfolgen immer wieder neue Handlungsmöglichkeiten sucht. Und es ist ein seltenes Beispiel, wie Kunst, Karriere und Kommerz auf befriedigende Art verbunden werden können.

Jeanette Nentwig: Design Ikone. Die Geschichte der Gunhild Liljequist, Verlag Mediathoughts, Taufkirchen 2024, 276 Seiten, 18,50 Euro

2 Wochen kostenlos testen

Die Grenzen in Europa wurden bereits 1999 durch militärische Gewalt verschoben. Heute wie damals berichtet die Tageszeitung junge Welt über Aufrüstung und mediales Kriegsgetrommel. Kriegstüchtigkeit wird zur neuen Normalität erklärt. Nicht mit uns!

Informieren Sie sich durch die junge Welt: Testen Sie für zwei Wochen die gedruckte Zeitung. Sie bekommen sie kostenlos in Ihren Briefkasten. Das Angebot endet automatisch und muss nicht abbestellt werden.

Mehr aus: Feminismus