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Aus: Ausgabe vom 24.05.2024, Seite 15 / Feminismus
Sexualkunde

Aufklärung tabu

Britische Schulen erhalten Auflage, Sexualunterricht erst möglichst spät zu geben. Transgeschlechtlichkeit ganz gestrichen
Von Ina Sembdner
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Vorsicht ist besser als Nachsicht: Aufklärungsunterricht an einer niederländischen Schule

Großbritannien hat zwar ein Problem mit Teenagerschwangerschaften, über die möglichen Folgen von Geschlechtsverkehr soll aber möglichst lange Stillschweigen herrschen. Zumindest an den für Bildung und Aufklärung geschaffenen Einrichtungen, den Schulen. Eine neue Richtlinie macht unmissverständlich klar, wann sie ihren Schülerinnen und Schülern welche Teile der Sexualerziehung beibringen sollen. Kurzversion: Möglichst spät.

Die Altersvorgaben von Bildungsministerin Gillian Keegan sollen sicherstellen, dass Kinder nicht »zu früh zu vielem ausgesetzt« werden. Demnach soll in Schulen frühestens und rein wissenschaftlich über Fortpflanzung gesprochen werden, wenn Kinder neun Jahre alt sind. Das entspricht der fünften Klasse. Themen wie sexualisierte Gewalt, Rachepornos, Stalking und Zwangsverheiratung sollen nicht vor der siebten Klasse (elf Jahre) unterrichtet werden. Und die Einzelheiten sexueller Handlungen wie Geschlechtsverkehr sind nicht vor der neunten Klasse (13 Jahre) dran. Über Themen wie Transgeschlechtlichkeit soll gar nicht mehr gesprochen werden. Begründung: zu umstritten. Ein Schelm, wer denkt, dass eben genau letzterer Punkt der ausschlaggebende ist. Denn alles, was von heteronormativer Sexualität und Geschlechtlichkeit abweicht, steht zunehmend auf der Agenda jeder Rechtsaußenpartei – und deren Wähler versuchen auch die Tories vor den anstehenden Wahlen abzugreifen.

Dabei könnte Keegan wohl selbst ein wenig mehr Aufklärung gebrauchen. Gegenüber BBC Radio 4 erklärte sie, sie wisse nicht, wie weitverbreitet »das Problem« sei, da »wir keine spezielle Umfrage dazu gemacht haben«, aber sie glaube nicht, dass es weitverbreitet sei. Offen blieb, ob sie Transgeschlechtlichkeit an sich meinte, oder das, was an Schulen angeblich darüber unterrichtet wird: »Dinge wie die Auswahl vieler verschiedener Geschlechter und Identitäten und die Feststellung, welche davon Geschlechtsidentitäten sind – das Spektrum. So etwas wie ›es kann ein Spektrum sein, es ist fließend, man kann an verschiedenen Tagen verschiedene Geschlechter haben‹ oder ›es gibt 72 davon‹. Diese Art von Dingen.« Fundierte Kenntnisse sehen anders aus. Die Bildungspolitikerin der oppositionellen Sozialdemokraten von Labour erklärte gegenüber dem Sender: »Kinder über die Tatsachen der Welt, in der sie aufwachsen, zu unterrichten, muss das Verständnis beinhalten, dass es Menschen gibt, die transgeschlechtlich sind, dass Menschen einen Prozess der Änderung ihres Geschlechts durchlaufen können und dass das Gesetz dies vorsieht.« Zudem zeigte sie sich »sehr besorgt über die fehlende Konsultation der Schulleiter bei der Ausarbeitung des Leitfadens«.

Was Kinder also angeblich schützen soll, wird wohl eher das Gegenteil auslösen. So betonte etwa die Kinderschutzorganisation NSPCC, dass die Regierung vielmehr Kinder und Jugendliche in die Lage versetzen müsse, zu erkennen, wenn etwas nicht stimmt, und notfalls Hilfe zu suchen. »Bildung ist einer unserer stärksten Hebel zur Verhinderung von Kindesmissbrauch«, sagte ein Sprecher laut dpa. Die Chefin der Organisation Sex Education Forum, Lucy Emmerson, warnte: »Wenn Themen eingeschränkt würden, wären Minderjährige noch stärker darauf angewiesen, Antworten zu Themen wie Pornographie, kontrollierendem Verhalten und sexuell übertragbaren Krankheiten aus Onlinequellen zu erhalten.« Die Kampagne End Violence Against Women Coalition betonte, Aufklärung sei ein »Eckpfeiler der Prävention von Gewalt gegen Frauen und Mädchen«. Sie schafft auch Selbstbewusstsein. Es sind Frauen und Mädchen, die letztlich mit den Folgen klarzukommen haben, wenn die Aufklärung ausbleibt. Die Zahl der Teenagerschwangerschaften in England und Wales ist zwar seit 2011 deutlich gesunken. Mit gut 13 je 1.000 weiblichen Teenagern lag die Quote 2021 aber immer noch mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland.

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