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Aus: Ausgabe vom 24.05.2024, Seite 14 / Medien
Polen

Ins eigene Knie geschossen

Der handstreichartige Zugriff der polnischen Regierung auf das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat die rechte Publizistik gestärkt und nicht geschwächt
Von Reinhard Lauterbach
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PiS-Proteste gegen die Medienpolitik der neuen Tusk-Regierung (Warschau, 11.1.2024)

Kurz vor Weihnachten landete die erst seit einer Woche vereidigte polnische Regierung einen Coup: die »Rückeroberung« des öffentlich-rechtlichen Fernsehens TVP. Die Aktion war offenbar in Absprache mit einigen Insidern des seit 2016 von der PiS zu einer Propagandakanone umgebauten Senders eingefädelt: Erst berief Kulturminister Bartłomiej Sienkiewicz die alten Direktoren ab, am folgenden Tag verschaffte sich die Polizei Zugang zum Sendezentrum in Warschau und schaltete um 11.18 Uhr den Nachrichtensender TVP Info ab. Ein Interviewgast konnte nicht ausreden, die Webseite verschwand vorübergehend aus dem Netz, die Zuschauer bekamen Werbung oder alte Serien zu sehen. Am Abend des nächsten Tages nahm dann die neue Hauptnachrichtensendung »19.30« (nach ihrer Sendezeit) den Betrieb auf; anfangs noch holperig, auch deshalb, weil die Ersatzredaktion zunächst aus einem Reservestudio außerhalb des Sendezentrums arbeitete und keinen Zugang zu den Archiven und Schneideräumen hatte.

Das hat sich inzwischen geändert, die Nachrichten von TVP präsentieren sich typisch öffentlich-rechtlich: zurückhaltend in der Diktion, ausgewogen, manche sagen langweilig dazu. Dank der Zugehörigkeit zum Verbund der öffentlich-rechtlichen Sender Europas (EBU) hat TVP Zugang auch zu Bildern aus dem Ausland, was bei den in Polen dominierenden Privatsendern nicht selbstverständlich ist. Das Problem ist: Die neue Regierung hat jetzt zwar Zugang zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen - aber es schaut kaum noch jemand hin. TVP ist unter den Nachrichtensendern auf den vierten Platz zurückgefallen, mit einer Einschaltquote von nur noch 1,52 Prozent (Daten vom April).

Dafür hat die hemdsärmelige Vorgehensweise von Kulturminister Sienkiewicz dazu geführt, dass ein rechter Nischensender inzwischen auf Platz zwei der Rangliste der Nachrichtenprogramme steht: TV Republika. Das 2012 gegründete und von der parteinahen Stiftung der PiS teilweise finanzierte Programm war schon vor der Machtübernahme durch die Jarosław-Kaczynski-Partei im Herbst 2015 eine Kaderschmiede rechter TV-Publizistik gewesen; aber nach 2015 wechselten viele der Autoren in die Dienste des besser zahlenden öffentlich-rechtlichen Senders unter neuer Leitung. Über die geradezu fürstlichen Gehälter der TVP-Moderatoren in den Zeiten der PiS gab es immer wieder Gerüchte, die sich nach einem von Sienkiewicz veranlassten Audit des Senders im wesentlichen bestätigten: Die Leute ließen sich außer ihrem Gehalt noch für jeden Auftritt auf dem Sender ein Extrahonorar von jeweils 500 Złoty (120 Euro) bezahlen, da kamen im Monat schnell fünfstellige Summen zusammen.

Soviel konnte TV Republika natürlich nicht zahlen, aber das Programm blieb als Rahmen erhalten und startete mit der Übernahme von TVP durch die neue Regierung jetzt durch: zunächst mit Liveübertragungen von den Protesten, die die PiS gegen die Veränderungen in den Medien und wenige Tage später gegen die Verhaftung zweier rechtskräftig verurteilter PiS-Politiker organisierte. Fast aus dem Stand schoss die Zuschauerzahl in die Höhe und erreichte bereits im Januar knapp die Millionengrenze. Dabei war das Programm anfangs alles andere als professionell gemacht und journalistisch äußerst dürftig – aber es bildete das Bedürfnis der PiS-Anhängerschaft ab, weiter mit Informationen aus ihrer medialen Blase versorgt zu werden. Denn dieser Personenkreis, der etwa ein Drittel der polnischen Wählerschaft umfasst, ist mit dem Regierungswechsel nicht verschwunden.

Inzwischen ist das Programm von TV Republika wesentlich professioneller geworden, wenn auch genauso tendenziös geblieben. Zahlreiche prominente PiS-Journalisten sind von TVP zu TV Republika gewechselt und präsentieren dort »echte polnische Nachrichten«. Als nächstes will der Sender eine Lizenz für die terrestrische Verbreitung beantragen. Wenn der Handstreich vom Dezember beabsichtigte, die Rechten aus dem Medienraum zu verdrängen und die Bevölkerung von ihrer Propaganda abzuschneiden, dann ist diese Absicht grandios misslungen. Vielleicht hat Ministerpräsident Donald Tusk seinen Kulturminister Sienkiewicz auch deshalb auf einen aussichtsreichen Listenplatz für die EU-Wahl abgeschoben.

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  • Leserbrief von Marcin Pietraszkiewicz aus Wien (26. Mai 2024 um 15:22 Uhr)
    Es war wohl nie die Absicht der Tusk-Regierung, »die Rechten aus dem Medienraum zu verdrängen und die Bevölkerung von ihrer Propaganda abzuschneiden«, sondern die PiS-Propagandisten aus den öffentlich-rechtlichen Medienanstalten möglichst rasch zu entfernen. Die Nachrichtensendungen der von der PiS-kontrollierten Fernseh- und Radiostationen waren in bester goebbelsscher Manier gehalten, es wurde dort gegen alles gehetzt, was nicht ins Weltbild der Rechtsklerikalen passte: die EU, die LGBT-Gemeinschaft, den Westen im Allgemeinen und Deutschland im Speziellen. Donald Tusk wurde tagtäglich angefeindet, es wurden Existenzen zerstört, Menschen in den Selbstmord getrieben und die Ermordung des Danziger Bürgermeisters Pawel Adamowicz in 2019 geht ebenfalls auf das Konto der Hetze der PiS-Medien. Die 70 Prozent der Polen, die die Opposition gewählt haben, erwarteten, dass die staatlichen Medien möglichst rasch der Kontrolle der Rechten entrissen werden. Das hatte Tusk auch im Wahlkampf versprochen. Vielleicht hätte man es eleganter machen können, das hätte aber wesentlich länger gedauert und hätte die Propaganda der Rechten noch intensiviert. Zudem hatte die PiS die Mediengesetze so weit geändert, dass dies im Rahmen der geltenden Regelungen gar nicht möglich gewesen wäre. In Polen herrscht eine große Medienvielfalt (die, anders als in Ungarn, selbst die PiS nicht zerstören konnte) und es wären so oder so auch ohne die Aktion des Kulturministers Sienkiewicz (übrigens eines Urenkels des Literaturnobelpreisträgers und »Quo vadis?«-Autors Henryk Sienkiewicz) neue rechte Medienoutlets entstanden. Das wird die polnische Demokratie schon aushalten.

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