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Aus: Ausgabe vom 24.05.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Klimakrise

Profitable Energiewende

Brasilien: Fast alle Wind- und Solarparks in der Hand globaler Investoren. Großprojekte treiben auch Landgrabbing voran
Von Wolfgang Pomrehn
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In Brasilien sind 78 Prozent der Windparks im Besitz von Großinvestoren (Anlage in Rio Grande do Norte)

In Brasilien ist der Ausbau der Wind- und Solarenergie in jüngster Zeit gut vorangekommen. Im Jahr 2023 gingen fast fünf Gigawatt (GW) neue Windkraft- und gut vier GW neue Solarstromleistung ans Netz. Je nachdem, ob man die Regierung oder den Netzbetreiber fragt, variieren die Angaben etwas. Doch die Entwicklung hat auch ihre Schattenseiten. Denn die Energiewende läuft in dem südamerikanischen Land nicht als dezentrales Projekt, das den Gemeinden Einkommen, Arbeit und lokale Selbstbestimmung bringt, sondern als Gelddruckmaschine für große Kapitalbesitzer und Fonds, die auch aus dem europäischen Ausland kommen. Das geht aus einem Bericht von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Österreich sowie Großbritannien hervor, der Mitte des Monats in der Fachzeitschrift Nature Sustainability veröffentlicht wurde. Die Autorinnen und Autoren arbeiten an Instituten für nachhaltige Entwicklung der Universität Wien bzw. des University College London.

Der Studie zufolge werden vor allem Brasiliens Windkraftanlagen in großen, zum Teil riesigen Parks errichtet. Bei der Photovoltaik ist das Bild etwas differenzierter, wie die Daten der Internationalen Energieagentur zeigen. Solaranlagen wurden zwar 2023 mehrheitlich auf Dächern, also eher dezentral installiert, aber die verbleibenden Freiflächenanlagen okkupieren viel Land. Nach den Angaben der Untersuchung befinden sich 78 Prozent der Wind- und 96 Prozent der Solarparks in der Hand »globaler Investoren, hauptsächlich aus Europa«, wobei die formalen Besitzer fast immer brasilianische Fonds oder andere Eigentümer sind. Windparks nehmen demnach inzwischen 2.148 Quadratkilometer ein und die direkt auf dem Boden errichteten Solaranlagen weitere 102 Quadratkilometer.

Die meisten dieser Großprojekte sind im armen Nordosten des Landes an der Küste südöstlich der Amazonasmündung angesiedelt. Ihr Auf- und Ausbau ist vor dem Hintergrund der notorisch unsicheren Besitzverhältnisse in Brasilien zu sehen. Viele Kleinbauern haben keine Landtitel für den Grund und Boden, den sie seit Jahrzehnten bewirtschaften und auf dem zum Teil schon ihre Eltern und Großeltern gewirtschaftet haben. Hinzu kommt, dass es sehr viel öffentliches Land gibt, das ebenfalls nur unzureichend im Kataster erfasst ist. Vielerorts herrscht daher Faustrecht. Großgrundbesitzer eignen sich in großem Stil illegal Land an und vertreiben die Bewohner, zum Teil mit Pistoleros. Jedes Jahr kommen mehrere Menschen bei Landkonflikten ums Leben, hauptsächlich Indigene.

Die Studienautoren haben nun einen genaueren Blick auf den Landbesitz der Solar- und Windparks geworfen. Sie kommen zu dem Schluss, dass der kleinere Teil von ihnen über keinen legalen Titel verfügt oder keine Angaben dazu macht. Können die Projekte hingegen den legalen Besitz des beanspruchten Geländes nachweisen, ist es oft erst weniger als fünf Jahre vor Errichtung der Anlagen privatisiert worden. Mit anderen Worten: Die Großprojekte treiben die Privatisierung kommunalen und staatlichen Landes voran.

Was das bedeutet, und wie es dabei zugehen kann, hatte das englischsprachige Umweltmagazin Mongabay vergangenes Jahr an einem Beispiel aus Brasiliens Nordosten beschrieben. In der Nähe des Dorfes Recanto an Brasiliens schlaglochreicher National­straße 310 im Bundesstaat Rio Grande del Norte hatte demnach EDP Renewables, eine spanische Tochter des portugiesischen Energiekonzerns EDP, Windkraftanlagen errichtet. Die Dorfbewohner hatten sich davon Fortschritt für ihr karges Leben erhofft. Bessere Straßen und günstigeren Strom. Nichts davon ist eingetroffen. Die Straßen wurden nicht saniert, und die Strompreise klettern weiter in die Höhe. Statt dessen hatten sie während der Bauarbeiten erheblich unter Lärm, Sprengungen und massivem Staub zu leiden. Das Vorgehen in Recanto sei beispielhaft für die mangelnde Beteiligung der betroffenen Bevölkerung, stellte der Mongabay-Bericht fest. Brasilianische Umweltschützer würden daher zwar erneuerbare Energieträger unterstützen, aber nicht derlei Großprojekte.

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