Panzerhaubitzen auf Durchfahrt
Von Jörg KronauerManchmal reicht es schon, nichts zu tun und ein wenig wegzuschauen, um eine militärisch wichtige Aufgabe zu erfüllen. Österreichs Regierung ist darin gewöhnlich recht gut. So zum Beispiel im April vergangenen Jahres, als ein Zug mit 20 selbstfahrenden Panzerhaubitzen M109 das Land durchquerte. Hätte da nicht irgendwer den Zug vorbeirattern sehen, reaktionsschnell zum Handy gegriffen und eindeutige Fotos davon online gestellt, es hätte mit dem Wegschauen wohl einmal mehr geklappt. So kam aber heraus, dass das Kriegsgerät nicht von einem österreichischen Übungsplatz zum nächsten gekarrt wurde, sondern von Italien nach Polen. Transporte zwischen Mitgliedstaaten seien laut einer EU-Richtlinie aus dem Jahr 2009 erlaubt, erklärte Innenminister Gerhard Karner, als die Panzerhaubitzen dann doch ein wenig Rummel verursachten. Schließlich waren sie letztlich nicht für Polen, sondern für die Ukraine bestimmt. Das neutrale Österreich hatte, indem es seine Neutralität mal kurz vergaß – wem passiert das nicht! –, ihre Lieferung erst möglich gemacht.
Derlei ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Innenminister Karner listete in einer Antwort auf eine Anfrage im Parlament für den Zeitraum vom 24. Februar 2022 bis zum 28. April 2023 exakt 75 Waffenlieferungen über österreichisches Territorium auf. Mindestens vier gingen aus der – offiziell neutralen – Schweiz nach Polen; Details über den Endverbleib sind nicht bekannt. Darüber hinaus fanden – und finden – stets auch Truppenbewegungen über österreichisches Territorium statt. Das liegt nahe: Wollen etwa die Bundeswehr oder die US-Streitkräfte in Deutschland Material oder Truppen in die Einsätze im Kosovo und in Bosnien-Herzegowina oder auch nur zu Manövern nach Südosteuropa verlegen, führt der kürzeste und schnellste Weg über die Alpenrepublik. Im Jahr 2023 wurden laut Angaben der Regierung in Wien exakt 4.584 ausländische Militärtransporte und 6.245 ausländische Militärüberflüge über österreichisches Territorium genehmigt. Für die militärische Logistik der NATO ist das zentral.
Eigene Aktivitäten haben Österreich und die Schweiz inzwischen mit ihrem Beitritt zur ESSI gestartet, der European Sky Shield Initiative, die – auf deutsche Initiative – eine gemeinsame Flugabwehr über Europa organisiert. Zwar ist ESSI offiziell nicht bündnisgebunden; es liegt aber nahe, dass das System in den Kriegsplanungen der NATO eine wichtige Rolle spielt. Faktisch binden sich Wien und Bern damit auch operativ in die künftigen Kriege der transatlantischen Militärallianz ein.
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