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Aus: Ausgabe vom 23.05.2024, Seite 15 / Betrieb & Gewerkschaft
Streik bei SRW Metalfloat

Niederlage nach 180 Tagen

Was sich aus dem verlorenen Arbeitskampf bei SRW Metalfloat in Espenhain über Gewerkschaftsarbeit in Sozialpartnerschaft lernen lässt
Von Emil Bunke
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Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer (M.) zeigte sich im Februar am IG-Metall-Streikzelt

Am 13. Mai 2024 endete der bis dahin längste Streik in der BRD. Nach einer Urabstimmung gab dies die Geschäftsstelle der IG Metall (IGM) Leipzig bekannt. Die Schrottrecycler von SRW Metalfloat in Espenhain hatten bis dahin für branchenübliche Arbeitsbedingungen gekämpft – eine Entgeltsteigerung, Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie Arbeitszeitverkürzung. Der Erste IGM-Bevollmächtigte Steffen Reißig beklagte, der chinesische SRW-Eigentümer habe aus alltäglichen Tarifverhandlungen einen »Kulturkampf« gemacht. So sei »kein Weg für eine verantwortungsvolle, sozialpartnerschaftliche Lösung offen«.

Eine Woche zuvor hatten die Metaller den Streik nach 180 Tagen unterbrochen und den letzten Versuch unternommen, mit SRW zu verhandeln. Für Daniel Fischer, Finanzchef Deutschland des Mutterkonzerns Scholz Recycling, ein »Taschenspielertrick«, den »bisher komplett erfolglosen Arbeitskampf direkt ins Unternehmen zu tragen«. Die Kapitalseite erklärte, die ehemals Streikenden bis zum 31. Mai auszusperren, um dann mit dem Betriebsrat – nicht mit der IG Metall – zu verhandeln.

Gemeinsame Analyse wagen

Seit 40 Jahren gab es in der BRD keine Aussperrung mehr. Zu langen, unbefristeten Streiks greift die Gewerkschaft allerdings auch selten. Beides, Streiks und Aussperrungen, sind im deutschen Recht Teil der legitimen Auseinandersetzungen im Arbeitskampf. Da im sozialpartnerschaftlichen Deutschland selten mit so harten Bandagen gekämpft wird, lohnt sich ein genauerer Blick auf die gescheiterte Tarifauseinandersetzung. Denn der Kampf bei SRW wirft Fragen auf, die sich klassenkämpferische Gewerkschafter aktuell stellen (sollten).

Warum war der hauptamtliche IG-Metall-Apparat bereit, einen so langen unbefristeten Streik zu führen? Warum wurde dieser verloren und wie hätte er gewonnen werden können? Wie hat sich das Bewusstsein der Kollegen in den 180 Tagen entwickelt? Nur gemeinsamer Diskurs mit den Beschäftigten kann diese Fragen im Grunde klären. Sie müssen aber gestellt werden, soll mit der Ausbeutung endgültig gebrochen, Klassenbewusstsein geschaffen und die Gewerkschaften zu einem kämpferischen Kurs bewegt werden.

Warum so kämpferisch?

Der einseitige Abbruch der Verhandlungen im November und ein für den Streik angeheuerter Sicherheitsdienst durch SRW sowie die Platzierung des Streikzelts am ersten Streiktag direkt vor der Haupteinfahrt durch die IG Metall, lassen darauf schließen, dass beide Seiten von Beginn an konfliktbereit waren. Unbefristete Streiks müssen in der IG Metall von 75 Prozent der aktiven Gewerkschafter des betroffenen Betriebs sowie der Gewerkschaftsführung abgesegnet werden. Hier scheint es grünes Licht gegeben zu haben. Der Ausstand dürfte die IG Metall über die 180 Tage einige Millionen Euro gekostet haben.

Es zeigt sich, dass die längsten Streiks in der jüngeren Geschichte der IG Metall oft gegen ausländische Investoren geführt wurden. Vor SRW war der 123 Tage andauernde Streik beim dänischen Windenergieanlagenhersteller Vestas im Jahr 2023 Spitzenreiter. Der letzte längere Streik der Leipziger Geschäftsstelle traf ebenfalls keinen deutschen Kapitalisten. Über sechs Wochen streikten die Beschäftigten des Automobilzulieferers Neue Halberg Guss 2018 in Leipzig und Saarbrücken gegen die bosnische Eigentümerfamilie Hastor, die zuvor einen Preiskampf mit VW auf dem Rücken der Beschäftigten geführt hatte.

Wird die IG Metall also immer besonders kämpferisch, wenn der Gegner im Ausland sitzt oder generell, wenn die Sozialpartnerschaft angegriffen wird? Der Zungenschlag »Kulturkampf« von Steffen Reißig lässt sich in beide Richtungen interpretieren. Es ging also darum, die (deutsche) sozialpartnerschaftliche Kultur zu verteidigen. Unter bürgerlichen Politikern und Medien war die Empörung ebenfalls groß, dass ein (ausländischer) Kapitalist lieber monatelange Streiks in Kauf nimmt, als gesittet am Verhandlungstisch Tarifverträge auszuhandeln.

Bürgerliche Unterstützung

Die IG Metall konnte also auf moralische Unterstützung der BRD, ihrer Politiker und Leitmedien bauen. Schlagzeilen von Bild bis Spiegel sowie Grußbotschaften von Die Linke bis CDU ähnelten sich inhaltlich: »Was die Chinesen machen, gehört sich nicht; der Streik ist gutes Recht und letztes Mittel. Haltet durch!«

Doch Profite kennen keine Kultur. Sozialpartnerschaft existiert, weil sie deutschen Kapitalisten durch lange Friedenszeiten und einen geübten Ablauf gut planbare Gewinne sichert. Alle ein, zwei Jahre dürfen Beschäftigte mit Trillerpfeifen Dampf ablassen – dann wird wieder schön im Takt Mehrwert geschaffen. Mit dieser Kultur zu brechen wäre nicht skandalös, sondern notwendig, will die eine oder andere Seite etwas Essenzielles durchsetzen: Bei SRW ging es der Kapitalseite darum, den Beginn einer Tarifbewegung im gesamten Unternehmensgeflecht abzuwürgen. Der Standort Espenhain ist nur einer von zahlreichen, im Ort existiert ein zweiter Betrieb, wo in den vergangenen Monaten fleißig weiter geschuftet wurde und wo der Investor Profite abschöpfte. Wie in anderen Standorten auch, ohne Tarifvertrag.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (22. Mai 2024 um 23:39 Uhr)
    Endlich der Anfang einer Analyse! Etliche plausible Argumente (z. B. Verteidigung der Sozialpartnerschaft) reichen aber nicht aus, um zu erklären, »Warum wurde dieser [Streik] verloren« und warum er zu einem lange Zeit »… komplett erfolglosen Arbeitskampf« geworden ist. Hat es massiven Streikbruch im Betrieb gegeben oder wurde die Produktion auf den vage angedeuteten zweiten Betrieb verschoben? Um den Vorgang zu verstehen, sind noch einige Recherchen zu Fakten nötig, wie mir scheint.

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