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Aus: Ausgabe vom 23.05.2024, Seite 10 / Feuilleton
Literatur

Gegen die Geldpeitschenschwinger

Letzte Auskünfte eines radikalen Sprachtüftlers. Vor einem Jahr starb Bert Papenfuß, heute kann man sich seiner mit einem Auswahlband erinnern
Von Kai Pohl
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»Am Tag nach meinem Tod hab ich Ausgang«: Bert Papenfuß im Kaffee Burger (2000)

Der im August vorigen Jahres verstorbene, gebürtige Stavenhagener und Wahlberliner Bert Papenfuß hat der Nachwelt soeben postum einen Ziegelstein, dick wie ein Brett, hinterhergeworfen. Nach »Ur-Rumbalotte« und »Abriß!« ist der »Sketchprüfer. Eine Dunkelfeldstudie« nun der dritte Band von ähnlicher Statur aus dem Hause Moloko Print. Rechnet man die von Papenfuß übersetzte, auf der Höhe der Zeit galoppierende Gedichtsammlung »Na endlich Kommunismus« des russischen »revolutionären Romantikers der Post-Avantgarde« Alexander Brener aus dem vergangenen Jahr dazu, dann sind es sogar vier.

Blättert man 23 Jahre zurück, landet man im Jahr 2001, in dem der Pamphlete-Band mit dem Titel »Haarbogensturz« im BasisDruck-Verlag herauskam, worin erstmals Texte von Papenfuß aus den Jahren 1998 bis 2001 gesammelt erschienen, die keine reine Lyrik sind. Noch einmal 23 Jahre zuvor tauchen in der »Auswahl 78« die ersten beiden Gedichte in regelrechtem Buchformat auf, darunter das vielsagende »jede uhr isn zeitzuender«. Die Zahl 23 sei hier schon mal vorgemerkt, teilt sie doch das Papenfuß’sche Lebenswerk in die Phasen ohne und mit Prosa ein, etwas unscharf zwar, aber immerhin. Am Anfang seiner »Dankrede zum Erich-Fried-Preis 1998« erklärt der mecklenburgische Gassenhauerpoet: »Gemeinhin ist mein Metier das Komprimat und Kommunikationsdestillat Lyrik, so hingeschwatzt diese auch daherkommen mag, wenn der Tag lang ist; Prosa ist mir ein Kompromat, mein Fabulierzwang ist normalerweise ausgetobt und braucht selten das Regelgedrösel der Hochsprache.«

Der passionierte Lyriker betätigte sich in einigen Schriften, die nun im »Sketchprüfer« gesammelt vorliegen, vielleicht gerade deshalb als Prosaautor, weil er offenbar der Dichtkunst alleine nicht die Verständigkeit zuschrieb, die er brauchte, um (seinen) Erklärungsnöten abzuhelfen, und dabei auch einer einzelnen Person nicht über den Weg traute: Bert Papenfuß, der vom »Kupferstecher« zum »Sketchprüfer« gewandelte »Kommentator der menschlichen totalitaristischen Tragikomödie« auf Katharsismission, bildet eine vielköpfige Ein-Mann-Gruppe, die »mindestens aus Sepp Fernstaub, Tatanka Yotanka und einem gewissen Edgar Wibeau« besteht, wahrscheinlich gehört auch das Alter Ego »Fancy Douwes Dekker« dazu.

Das Buch ist ausgestattet mit elf Beweiszeichnungen von Mareile Fellien – darunter ein Sensenmann auf der Titelseite – sowie einem Foto von Jörn Reißig und wurde gestaltet von Ralph »Stone« Gabriel, der mangels Möglichkeit einer zu solchen Anlässen meist kurzen Absprache mit dem Autor einige Tage für Montage, Revision und zum Teil Endredaktion der Texte aufwenden musste, um diese in eine angemessene Form und Abfolge zu setzen. Der erste Teil des Bandes ist gebaut aus sechs Essays, die zuvor verstreut in diversen Periodika zu lesen waren: in dem Sklaven- und Gegner-Nachfolgeheft Abwärts!, im Onlinemedium Die Aktion 4.0, in der libertären Zeitschrift Espero und im Telegraph, der aus den legendären Umweltblättern hervorging. Wer diese Publikationen ab und zu frequentiert bzw. einiges davon bereits kennt, springt am besten direkt in den lyrischen Hauptteil aus 42 »Jedichten«, inkl. »Kleinvieh und Ausrutschern«, der auf Seite 119 mit dem »Blues von der Unendlichkeit diffusen Aufbegehrens« anklingt:

»Das Blaue Licht« zwischen »Kugelsternhaufen« … »irgendwo im Multiversum« … »mehrt Ideen, dehnt Reime« … »vor sich hin, vor sich hin«. Die »Mutter der Ordnung« und andere »Patriarchinnen« weiten den Raum und falten die Zeit zu Entschlüssen, Paradoxen, Erläuterungen »antipolitischen Engagements«, die zuallererst der Selbstbehauptung dienen: »Am Tag nach meinem Tod / hab ich Ausgang, gehe zur Urne / – und werde meine Stimme abgeben« … »Nebel wabert durch die Straßenschlucht, der Nachtbus dreht seine Runde, ein Gedanke mutiert zur Idee« … »Schreiben, das in Tätlichkeit umbricht und den Machenschaften der Eigentumsbestien und Geldpeitschenschwinger ein Ende setzt« … »Christentum und Volksparteien« werden entrückt, verhackstückt und aufgezehrt in Gestalt einer »Rumschnitte« mit »Oktav-Pilsener« … »Schall und Rauch / sind meine Bleibe, / wenn ich schreibe« … »Kein Geld, keine Kirche, keine Regierung, kein Machtsalat!« … »Rauch und Sehnsucht / nach Gleichheit und Glück.« Das vorletzte Zitat, das einer Fußnote zum Gedicht »Ao der Mammutjäger« entnommen ist, deutet an, dass dem »Sketchprüfer« sicher noch andere postume Papenfuß-Textausgaben folgen werden, stammt es doch aus dem bisher unveröffentlichten Typoskript »Anarchoaphoristische Notate des Sinnschreck Mandragorek«.

Wechseln wir nun vom oft überraschend heiteren Feld der Poesie direkt zu »Wahl, Kür und Willkür im Ausnahmezustand«. Der »Sketchprüfer« beginnt mit dem alternativen Vorwort »Schwarze Transparente« – ein Text zum notorisch stattfindenden Wahlrummel, der auch jetzt wieder ins europäische Haus steht. Allerdings »wird der Begriff ›Demokratie‹ mittlerweile als Synonym für den ­›alternativlosen‹ Kapitalismus verwendet«. Ob das »Lumpenproletariat«, das »um des puren Überlebens willen korrupt ist«, auch weiterhin sich wie die allerdümmsten Kälber anstellt und … wobei die Europäische Kommission gar nicht zur Wahl steht … aber lassen wir das, Schluss damit! »Runter vom Balkon, ab auf die Straße« oder besser gesagt – im Sinne einer Geschenkökonomie: »Würden die Arbeiter austeilen, / könnten die Unternehmer einpacken.«

Apropos »ab auf die Straße«: Am 23. Mai ab 19.30 Uhr findet die Buchfreisetzung des »Sketchprüfers« in der Kultur- und Schankwirtschaft Baiz (Berlin-Prenzlauer Berg) im Rahmen der Live-Radio-Show »Grenzpunkt Null« statt. Es lesen Tone Avenstroup, Inés Burdow und Rex Joswig

Bert Papenfuß: Sketchprüfer. Eine Dunkelfeldstudie. Moloko Print, Pretzien 2024, 212 Seiten, 24 Euro

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