Surf City verschärft Elend
Von Thorben Austen, QuetzaltenangoAn der Pazifikküste El Salvadors regt sich Widerstand gegen den Massentourismus. Bewohner der Gemeinde El Icacal kritisierten bei einer Pressekonferenz am Montag das Projekt »Surf City II«. Angeprangert wurden vor allem Landbesetzungen durch das Unternehmen Desarrollos Turísticos El Pacifico (DTEP). Das erhebe seit Juli Ansprüche auf Gemeindeland, erklärte Anwohner Carlos Hernández gegenüber der Presse.
Im November seien »vermummte und bewaffnete Personen in die Gemeinde eingedrungen« und hätten »Bewohner unter Todesdrohungen aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen«. Seit Januar beschäftige das Unternehmen DTEP »einen privaten Sicherheitsdienst, der Anwohner daran hindere, das Land ihrer Parzellen zu bestellen«. Dazu kämen »Belästigungen der Anwohner, auch der Kinder durch den Sicherheitsdienst«. Am 13. und 14. Mai habe das Unternehmen schließlich »über 100 Mangrovenbäume auf Gemeindeland gefällt«. Zwar habe der Straßenbau für den Touristenhotspot zu einer »besseren Anbindung der Region geführt«, räumte Hernández ein. Doch würden die Anwohner nun eben durch Unternehmen belagert, »die sich Land aneignen wollen, für Tourismus oder Energiegewinnung«.
Ein weiterer Anwohner, Héctor Moreira, forderte bei der Pressekonferenz die Einleitung einer Untersuchung zu »Unregelmäßigkeiten bei der Erteilung von Genehmigungen« an DTEP. Die »Zerstörung der Mangroven« am Strand von El Icacal hätte etwa vom Umweltministerium niemals genehmigt werden dürfen, so Moreira. Der Raubbau verletze unter anderem das »Recht auf Land, das auf Arbeit und das auf Ernährungssicherheit« – es handle sich um einen Fall für die Generalstaatsanwaltschaft.
Organisiert sind die Bewohner El Icacals in der MILPA, der Movimiento Indígena para la Integración de las Luchas de los Pueblos Ancestrales de El Salvador, der Indigenen Bewegung zur Vereinigung der Kämpfe der ursprünglichen Völker. Wie Angel Flores, MILPA-Koordinator für den Westen des Landes, gegenüber den Medien erklärte, handle es sich bei den fraglichen Arealen um »staatliches Land in Gemeindeverwaltung«. Landtitel habe es »für die Gemeinden nie gegeben«. Es sei »besorgniserregend, dass internationale Unternehmen jetzt plötzlich Land erwerben können, nachdem das den Gemeinden und ihren Bewohnern seit Jahrzehnten verwehrt geblieben ist«. Ähnliche Fälle gebe es auch in anderen Gemeinden, die zum Teil »in extremer Armut leben«, so Flores. »Hoteliers beanspruchen den Strand, was sich auf die Fischerei auswirkt. So bedroht der Tourismus die lokale Ökonomie und führt zu Umweltproblemen.«
Die Surf Citys sind Großprojekte von Präsident Nayib Bukele an der insgesamt 321 Kilometer langen Küste des Landes. Im Jahr 2020 begannen die Arbeiten an der »Surf City I« im Landkreis La Libertad, Nach Regierungsangaben wurden dort mittlerweile 400 Millionen Dollar investiert, überwiegend in Straßen und sonstige Infrastruktur. In das Tourismuszentrum Surf City II am Strand von Punta Mango hat die Regierung bisher knapp 100 Millionen Dollar investiert, auch hier vor allem in den Straßenbau. Für Präsident Bukele handelt es sich um »ein Gebiet, das von allen früheren Regierungen aufgegeben wurde«. Surfer hätten ihm versichert: »Das ist einer der besten Surfstrände der Welt. Doch es gibt nicht einmal eine befestigte Straße dorthin.«
Nun werden die Strände also erschlossen. Tatsächlich scheint der Tourismus zu florieren. 3,4 Millionen Touristen besuchten das kleine Land 2023, die Mehrzahl aus den USA, Kanada und den Nachbarländern Honduras und Guatemala. Für das erste Halbjahr 2024 erwarten Tourismusverbände eine Steigerung um 157 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum in Vorpandemiejahr 2019, der höchste Zuwachs in Mittelamerika. Der Tourismus brachte 2023 knapp 3,8 Milliarden Dollar ins Land.
Die Ungleichheit wird aber eher größer. Aktuell leben 1,9 Millionen El Salvadorianer in Armut, ein Drittel der Bevölkerung, der höchste Wert seit 2018. Die Zahl der Armen wuchs 2023 zum Vorjahr um 55.000 Menschen. Seit Bukeles Amtsantritt 2019 ist die Armutsquote um 4,4 Prozent gestiegen. Höher sind auch die Anteile der Bevölkerung, die an Unterernährung (sieben Prozent) bzw. mangelnder Ernährungssicherheit (46 Prozent) leiden.
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