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Aus: Ausgabe vom 23.05.2024, Seite 6 / Ausland
Datensicherheit

Israel lauscht mit

Schweiz: Recherche enthüllt elektronische Komplettüberwachung auch im Inland. Blindes Vertrauen in Zulieferer
Von Kim Nowak
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Fall Verint: Schweizer Regierung setzt blindes Vertrauen in Firma mit israelischem Hintergrund

Auch in der Schweiz wird das Internet überwacht. Diese nicht überraschende Erkenntnis hat das Onlinemagazin Republik im Januar ans Licht gebracht und damit durchaus ein Echo ausgelöst. Im Zentrum stand die sogenannte Kabelaufklärung, die das Magazin als »Massenüberwachungsprogramm« definiert. Dort würden Analysten des Zentrums Cyber und Elektromagnetische Aktionen, das dem Verteidigungsministerium unterliegt, den Internetverkehr innerhalb der Alpenrepublik flächendeckend mitlesen. Als Reaktion darauf stellte Nationalrat Gerhard Andrey (Grüne) am 13. März eine Anfrage, inwiefern die Vorwürfe von Republik zuträfen. Nationalrat Fabian Molina (SP) wollte angesichts des Gazakriegs zudem wissen, ob es von seiten der Schweiz »nachrichtendienstliche Zusammenarbeiten« mit Israel gebe. Beides verneinte der Bund – doch nun kam am vergangenen Dienstag der nächste Artikel von Republik, der besonders die Zusammenarbeit mit Israel ins Visier nimmt.

»Von den Besten lernen«

Dass nun ans Licht kommt, dass die Massenüberwachung sehr wohl mit Israel zu tun hat, wird dem Bundesrat wohl überhaupt nicht schmecken. Es stellt auch ein weiteres Mal die propagierte Neutralität auf die Probe. Unter dem Projektnamen »Azurit« hat das Bundesamt für Rüstung Armasuisse seine Ausrüstung nämlich beim US-Unternehmen Verint beschafft, das lange Dienstleister des US-Geheimdiensts NSA war, aber laut Republik seine Wurzeln in der israelischen Armee hat. Seit 2016 soll Verint das technische Equipment und Know-how zur Massenüberwachung des Schweizer Internets zur Verfügung stellen – beschafft wurde entsprechendes Material jedoch bereits 2013. Damals besorgte das Schweizer Justizdepartment bei Verint ein Ersatzsystem zur Echtzeitüberwachung von Verbrechen. Dieses erwies sich allerdings als praxisuntauglicher »Flop«. Dennoch griff die Alpenrepublik erneut auf das Unternehmen zurück, als es um die Frage für Lieferanten der Kabelaufklärung ging. Weshalb man sich erneut für Verint entschied, ist weiterhin geheim. Nach Angaben von Republik »bleibt bis heute unklar, wer genau die Kontaktaufnahme initiierte«.

Weshalb sich Bern jedoch für ein Unternehmen mit israelischem Hintergrund entschied, liegt auf der Hand. Enge Zusammenarbeiten im Rüstungs- und Cyberspacebereich mit Israel gibt es schon lange, auch israelische Drohnen von Elbit Systems erwirbt die Schweiz. Das Vertrauen gegenüber Tel Aviv sei »nahezu blind«: »Israel steht seit 60 Jahren unter Beschuss und weiß, was Verteidigung bedeutet. Die offizielle Schweiz will einfach von den Besten lernen.« Mit diesen Worten zitiert Republik eine Insiderin, um die Stimmung im Verteidigungsministerium auf den Punkt zu bringen. Dass besonders Verint eng mit dem US-amerikanischen und israelischen Geheimdienst arbeitet, scheint die Alpenrepublik wenig zu stören.

Realistisches Szenario

Ob der israelische Geheimdienst Mossad oder die NSA den Schweizer Internetverkehr mitlesen, verneint Jacqueline Stampfli, Armasuisse-Sprecherin. Die Komponenten von Verint seien nicht am offenen Internet angeschlossen, sondern »abgeschottet«. Doch, wie Republik ausführt, müsse nur jemand von außen einen mit Viren infizierten USB-Stick ans »geschlossene« System anstecken. Besonders während der Inbetriebnahme zwischen 2017 und 2019 gingen israelische Ingenieure ein und aus und hätten jeden Moment einen infizierten USB-Stick mitnehmen können. Dass das Szenario nicht unrealistisch ist, zeigt der Cyberangriff 2010 im Iran: Ein infizierter USB-Stick schleuste eine Malware in das Atomwaffenprogramm Teherans. Eine Prüfung seitens des Verteidigungsministeriums scheint es nie gegeben zu haben. Auch weiteren Fragen, ob Tel Aviv über eine Hintertür Daten abgreifen könnte, weicht Stampfli aus. Es besteht auf jeden Fall ein großes Interesse, dass das Gemeinvolk von Verint nichts mitbekommt. Wieso auch sonst hatte der Bundesrat noch im Februar 2024 den Sozialdemokraten Molina belogen, es gebe keine Zusammenarbeit mit Tel Aviv? Doch die Öffentlichkeit wurde nun unterrichtet – und es wird wohl nur eine Frage der Zeit sein, bis Republik den nächsten Skandal veröffentlicht.

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