Jetzt zwei Wochen gratis testen.
Gegründet 1947 Sa. / So., 15. / 16. Juni 2024, Nr. 137
Die junge Welt wird von 2788 GenossInnen herausgegeben
Jetzt zwei Wochen gratis testen. Jetzt zwei Wochen gratis testen.
Jetzt zwei Wochen gratis testen.
Aus: Ausgabe vom 22.05.2024, Seite 15 / Antifaschismus
Antifeministische Influencerinnen

Sirenen des Patriarchats

Ein Sachbuch von Eviane Leidig über die Funktion und Ideologieproduktion extrem rechter Influencerinnen
Von Marc Bebenroth
imago0472422933h.jpg
Idol von »Identitären« und »Tradwives«: Illustration einer adrett gekleideten Hausfrau und Mutter aus dem Jahr 1923

Üblicherweise fokussieren sich die Analysen von Ideologieproduktion und Rekrutierungsmechanismen neurechter Bewegungen auf deren Vorstellungen von Männlichkeit, »Kameradschaft« und männlicher Selbstermächtigung. Aus dem Blick gerät dabei die andere Seite der »identitären« Medaille. Eviane Leidig hat sich deshalb intensiv mit der Rolle von Frauen in neurechten Bewegungen befasst. Ihr Forschungsgegenstand: die Social-Media-Auftritte rechter Influencerinnen, die sich gezielt an ein Mainstreampublikum richten.

Für ihren im Herbst 2023 veröffentlichten Band verfolgte die Autorin einen Ansatz, den sie als »digitale Ethnographie« beschreibt. Im Zentrum stehen Lauren Southern, Lana Lokteff, Rebecca Hargraves, Robyn Riley, Ayla Stewart, Lacey Lynn, Lauren Chen und Brittany Sellner. Letztere nahm nach ihrer Hochzeit den Nachnamen ihres Mannes Martin Sellner an, seines Zeichens das Gesicht der »Identitären Bewegung Österreich«. Die meisten dieser Frauen seien gebildet, nicht arm, wuchsen nicht in gewalttätigen Familien auf und folgten auch keinem Mann in die rechte Bewegung. So sei Brittany Sellner bereits politisch aktiv gewesen, bevor sie ihren Mann kennenlernte. Laut Leidig verfolgen die Frauen eine langfristige Agenda mit dem Ziel, einen sogenannten metapolitischen gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen.

Honeytrap für junge Männer

Einen der zentralen Mechanismen, mit dem diese Influencerinnen ihr Publikum an sich binden, bezeichnet Leidig als »networked intimacy«: Videos und Fotos, die im eigenen Schlafzimmer, auf Urlaubsreisen oder in anderen scheinbar privaten Momenten produziert werden, sollen die Illusion erzeugen, ganz nah dran und Teil eines privaten Zirkels zu sein. Leidig war davon überrascht, dass junge Männer einen bedeutenden Anteil des Publikums ausmachen. »Vielleicht ist ein Grund für die Popularität dieser extrem rechten Influencerinnen bei Männern, dass sie für einen Lifestyle stehen, den junge Männer anstreben können, wenn sie sich der extremen Rechten anschließen«, vermutet die Autorin.

Sie sprach mit einem jener jungen Männer. Aus dessen Erzählungen berichtet die Autorin ausführlich und schließt daraus unter anderem, dass die neurechte Propaganda das Verlangen nach Stabilität und Zuneigung adres­siere, »besonders durch Influencerinnen, die die Idee der starken Kernfamilie anpreisen«. Männliche Follower sprechen sie an und rekrutieren sie »erst mit ihrem Erscheinungsbild« und dann mit ihrer Ideologie. Die Funktion rechter Influencerinnen sieht die Autorin in einer »Honeytrap«, also einer Sexfalle, die auf das Einfangen des »männlichen Blicks« durch als betont feminin gekennzeichnetes Gebaren aus sei.

Die Ideologieproduktion rechter Influencerinnen bildet schließlich den Fokus des vorliegenden Bandes. Während ihrer Recherche habe sich Leidig in einem digitalen Kaninchenbau verloren, wo die Paranoia eines demographischen Austauschs der weißen Bevölkerung durch muslimische Einwanderer sowie die angebliche Überlegenheit der westlichen Zivilisation die Norm waren. »Ich sah Rezepte für hausgemachte Beerenmarmelade in meinem Instagram-Feed neben Selfies mit bewaffneten bulgarischen Milizen, die Grenzpatrouillen durchführen, um Flüchtlinge aufzuhalten.« Diese Influencerinnen sprechen über die »Invasion« durch Migranten in Europa oder (angeblich linke) Kulturkämpfe an den Universitäten ebenso wie über Partnersuche und Beziehungen sowie das Grundrecht auf Redefreiheit. Sie reisen um die Welt, drehen Dokumentationsfilme und absolvieren Vortragstouren.

Ihrer Propaganda und Selbstvermarktung komme eine Schlüsselfunktion innerhalb der breiteren neurechten Bewegung zu. Sie normalisieren und legitimieren Leidig zufolge jene rassistische und chauvinistische Ideologie gegenüber dem gesellschaftlichen Mainstream. »Für die ›Alt-Right‹ und die extreme Rechte sind Radikalisierung und Influencerkultur untrennbar miteinander verbunden und Frauen waren an der Speerspitze dieses Prozesses.«

Glücklich dienen

Ideologisch sei es die »fundamentale Rolle von Frauen innerhalb der extremen Rechten«, Mutterschaft »als Waffe für die Bewegung« einzusetzen, schlussfolgert Leidig. Sie wildern quasi in der »Tradwife«-Subkultur, die das antifeministische Bild der »traditionellen Hausfrau« hochhält und einen Lebensstil im Sinne des Frauenbilds der USA der 1950er Jahre propagiert. Diese reaktionäre Nostalgie sehnt sich nach einer Renaissance der glücklichen Dienerin des Ehemannes.

Tatsächlich handelt es sich dabei um ein Stereotyp, wie es vor allem von der Werbeindustrie etabliert worden war, um Zeitschriften und Haushaltsprodukte zu verkaufen. »Trad-Kultur preist ein Ideal von Femininität und Maskulinität an, das historisch auf weiße, europäische, obere Mittelschichtbeziehungen zurückgeht«, erklärt Leidig. Hieran wollen faschistische Bewegungen anschließen, indem sie diese verklärte Vergangenheit zum Ideal einer ethnisch bereinigten und patriarchalen Gesellschaft erheben. Den Influencerinnen komme dabei die Aufgabe zu, jungen Männern einzureden, diese Ordnung aktiv einfordern zu müssen. Junge Frauen sollen dazu gebracht werden, ihre dem Mann untergeordnete Stellung als Mutter und Hausfrau zu internalisieren.

Leidig entgeht nicht die Ironie des selbstbewussten und ambitionierten Auftretens rechter Influencerinnen. Sie »helfen dabei, Archetypen von Maskulinität zu konstruieren, und unterstützen antifeministische Einstellungen, während sie zugleich eine privilegierte Position und Sichtbarkeit innerhalb der Bewegung einnehmen«. Darüber hinaus machen sie sich ökonomisch unabhängig durch den Verkauf von Fanartikeln, durch Sponsoren und Werbepartner sowie vor allem über die Finanzierungsmodelle der Social-Media-Plattformen. »Solange Frauen in der extremen Rechten weiterhin eine politische Ideologie unterstützen, die Frauen als unterwürfig – unter dem falschen Deckmantel einer freien Entscheidung – kennzeichnen, solange wird es ihnen schwerfallen, ihre eigene Ermächtigung zu rechtfertigen«, lautet Leidigs abschließende Mahnung.

Eviane Leidig: The Women of the Far Right. Social Media Influencers and Online Radicalization. Columbia University Press 2023, 276 Seiten, 27 Euro

2 Wochen kostenlos testen

Die Grenzen in Europa wurden bereits 1999 durch militärische Gewalt verschoben. Heute wie damals berichtet die Tageszeitung junge Welt über Aufrüstung und mediales Kriegsgetrommel. Kriegstüchtigkeit wird zur neuen Normalität erklärt. Nicht mit uns!

Informieren Sie sich durch die junge Welt: Testen Sie für zwei Wochen die gedruckte Zeitung. Sie bekommen sie kostenlos in Ihren Briefkasten. Das Angebot endet automatisch und muss nicht abbestellt werden.

  • Leserbrief von Silke aus HAMBURG (22. Mai 2024 um 10:29 Uhr)
    Danke für den Artikel- aber musste der Ausdruck »Sirenen« wirklich sein? Finde ich nicht in Ordnung, auch nicht, wenn er gegen rechte Frauen gerichtet ist. Das ist ein hoch-patriarchaler Ausdruck, mit dem man Frauen in der Regel lächerlich macht.