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Aus: Ausgabe vom 18.05.2024, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Der Krieg wird lang

Von Reinhard Lauterbach
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Die mediale Woche ging gleich gut los. Schon am Montag brachte SZ-Kommentator Sebastian Gierke seinen Lesern politisch korrektes Kopfrechnen bei: Die »Gleichung, weniger Waffen für die Ukraine führten zu schnelleren Verhandlungen und zu einem schnelleren Ende des Krieges, geht schlicht nicht auf. Weniger Waffen für die Ukraine hätten vielmehr eine Verlängerung des Krieges zur Folge«. Denn: »Putin wäre in seinem Kalkül bestätigt«, und bei einem möglichen Zusammenbruch der ukrainischen Front »stünden die Russen möglicherweise in wenigen Wochen am Dnjepr, und die Ukraine hätte den Krieg verloren« – eine freudsche Vorausschau darauf, dass es mit dem ganzen Dnipro-Getue auch wieder ein Ende haben könnte. Aber dann hätten doch immerhin das Sterben und die Zerstörungen ein Ende? Nicht mit Sebastian Gierke: »Die Konsequenzen wären (…) für die ganze Weltordnung unüberschaubar.«

Jetzt könnte man natürlich sagen, wenn die Lage so »unüberschaubar« ist, dann könnte man ja auch versuchen, mit ihr umzugehen, wenn man sie dann überschauen kann. Aber nicht so mit Gierke, für den nur eine Weltordnung akzeptabel ist, die mit einer Niederlage Russlands zusammenfällt. Und je unsicherer diese Perspektive wird, desto mehr sind durch ihren Status als »Ehemalige« geschützte westliche Politiker bereit, ins Risiko zu gehen. Am Mittwoch zitierte die FAZ aus einem ihr bekanntgewordenen Konzeptpapier dreier solcher »Gewesener«: des früheren NATO-Generalsekretärs Anders Fogh Rasmussen, des polnischen Exstaatspräsidenten Aleksander Kwaśniewski, der im eigenen Land bis heute den Ruf genießt, der beste Präsident seit 1989 gewesen zu sein, und des unausweichlichen Boris Johnson. Vierter Unterzeichner ist ein Desperado im Dienst: Wolodimir Selenskij.

Was die Autoren vorschlagen, ist nicht weniger als das Abgehen von dem bisherigen Prinzip der NATO, keine neuen Mitgliedstaaten aufzunehmen, die sich noch in aktuellen Kriegen befinden. Die Ukraine solle, so das Quartett, beim bevorstehenden NATO-Gipfel die Aufnahme im Jahre 2028 angeboten bekommen, und zwar egal, ob der Krieg gegen Russland bis dahin beendet sei oder nicht. So dass die NATO ab 2028 direkt in diesem Krieg stehen würde, nicht nur wie jetzt über allerhand Hintertüren.

Das hat seine Logik: Die geltende Regel, die auch nirgendwo schriftlich festgehalten ist, aber in der Praxis immer befolgt wurde, gilt für aus Sicht des Bündniszwecks unwichtige Konflikte, etwa den griechisch-türkischen. Was auf ukrainischem Territorium ausgefochten wird, ist jedoch der »eigentliche« Krieg, für den die NATO gegründet wurde.

Das Papier hat zwei Prämissen, die es nicht ausspricht: erstens, dass die Ukraine den jetzigen Krieg bis 2028 durchhalten kann. Da das nicht ausgemacht und im Moment eher zweifelhaft ist, ist die zweite Prämisse, dass sich die NATO mit einer ukrainischen Niederlage vor 2028 nicht abfinden würde. Dass also jeder eventuelle Waffenstillstand jetzt allenfalls eine Atempause wäre.

Und dann wundert sich die deutsche Kommentatorenschaft, dass Russland sich »auf einen langen Krieg vorbereitet«. So der allgemeine Tenor der Analysen zum Personalwechsel im russischen Verteidigungsministerium. Und schlimmer noch, unkt Reinhard Veser in der FAZ vom Mittwoch: Der neue Minister Andrej Beloussow sei nicht korruptionsverdächtig. Wenn also Rüstungsmilliarden nicht länger für das »Luxusleben der Generalität« abgezweigt würden, seien das schlechte Aussichten für Kiew. Dem hat ein Bericht für den US-Kongress gerade erst bescheinigt, dass der Krieg die Korruption im Lande drastisch verschärft habe.

Wie beruhigend, dass irgend jemand auch ehrlich profitiert. Die SZ brachte am selben Tag wie Gierkes Kommentar eine Homestory über den Hersteller von Flugabwehrradaren Hensoldt. Dessen Aktienkurs hat sich seit Kriegsbeginn verdreifacht. Aber Hensoldt-Chef Oliver Dörre sagt, das freue ihn »mit Demut«. Und: »Da knallen keine Korken.« Nur die Kanonen.

Wie beruhigend, dass irgend jemand auch ehrlich profitiert. Die Süddeutsche Zeitung brachte am selben Tag wie Gierkes Kommentar eine Homestory über den Hersteller von Flugabwehrradaren Hensoldt

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (17. Mai 2024 um 23:49 Uhr)
    Vielleicht zieht Dörre einen »Château Lafite Rothschild 1929« einem popeligen »Dom Perignon Vintage 2013« vor?

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