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Aus: Ausgabe vom 18.05.2024, Seite 8 / Ansichten

Disziplinierungsversuch

Ampel, Union und AfD
Von Nico Popp
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Gesprächsbedarf: Alice Weidel, Tino Chrupalla und Stephan Brandner am Donnerstag im Bundestag

Ermittlungen, Durchsuchungen, mit Vorwürfen des Landesverrats verbundene Mutmaßungen über ausländische Geldquellen, ein Inlandsgeheimdienst, der – mit richterlichem Gütesiegel – die Zügel anzieht, Spekulationen über ein Verbotsverfahren: Beobachter der deutschen Innenpolitik vor der EU-Parlamentswahl im Juni und den drei ostdeutschen Landtagswahlen im September können leicht den Fehler machen, den Druck, den der Staat gegen die vorläufig nicht integrierte AfD aufbaut, für eine grundsätzliche politische Auseinandersetzung zu halten.

Falsch ist das aus zweierlei Gründen. Zum einen hat diese Kampagne ersichtlich den Zweck, die durch die Decke gegangenen Umfragewerte des rechten Konkurrenzangebotes mit Blick auf die genannten Wahltermine wieder zu drücken. Aus dem Zweck der Kampagne ergibt sich, dass sie enden wird, sobald ein »akzeptables« Maß an Zustimmung festgestellt wird. Die AfD hat ja, und das ist der zweite Grund, eine politische Funktion: Sie zieht die von der Ampelpolitik erzeugte und von der Union nicht vollständig aufgefangene Oppositionsstimmung nach weit rechts – mit dem Angebot, das bestehende politisch-gesellschaftliche System selektiv menschenfeindlicher zu machen. Eine Alternative zu diesem System ist das nicht. Der politisch-programmatische Kern der AfD ist ein spezifisch modifizierter Neoliberalismus, und als solcher ist er prinzipiell mit dem Staatsprogramm vermittelbar – wenn nicht nach der äußeren Form, dann doch nach dem Inhalt.

Dass unentwegt die – oft noch falsch aufgefasste – äußere Erscheinung mit dem Wesen der Sache verwechselt wird, ist überhaupt eine der Grundlagen der politischen Debatte in der Bundesrepublik. Da kann Höcke in Thüringen noch so beharrlich darum betteln, mit der CDU eine Regierung bilden zu dürfen – das hindert viele nicht, in dem Mann einen wilden Staatsfeind und im Chef des deutschen Inlandsgeheimdienstes, der CDU-Mitglied ist und öffentlich erklärt hat, es sei nicht allein die Aufgabe seiner Behörde, die Umfragewerte (!) der AfD zu senken, den Endgegner dieser Partei zu sehen. Und die Ampel kann machen, was sie will: Viele, die auf sie schimpfen, sind der sorgfältig herangezüchteten Verrücktheit verfallen, sie hätten es mit einer »linken« Regierung zu tun.

Es gibt indes einen Punkt, der die AfD vorläufig noch zu einem Fremdkörper macht: ihre außenpolitische Aufstellung. Sie ist beim Thema Israel vollkommen auf Linie, beim ungleich wichtigeren Thema Russland aber nicht. Rechte Regierungen (Beispiel Italien) oder rechte Parteien (Beispiel Schwedendemokraten) regen in genau dem Augenblick keinen Ampelpolitiker und keinen liberalen Kommentator mehr auf, in dem sicher ist, dass sie die für NATO-Staaten verbindliche außenpolitische Feinderklärung akzeptieren. Diese Garantie bietet die AfD vorläufig noch nicht, und es ist selbstverständlich kein Zufall, dass die Kampagne hier ansetzt – es geht um Disziplinierung, nicht um politische Bekämpfung.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren. Denn nicht allen lernen die junge Welt kennen, da durch die Beobachtung die Werbung eingeschränkt wird.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (21. Mai 2024 um 11:08 Uhr)
    Worauf läuft dieser Kommentar hinaus? Sollen wir uns jetzt mit der AfD solidarisieren, weil es sich bei der Bekämpfung der AfD um keine »grundsätzlich politische Auseinandersetzung« handelt? Wer politisch denken kann, wird die AfD grundsätzlich ablehnen und sie nicht noch aufwerten mit einer »politischen Auseinandersetzung«. Und dann noch eine weitere Fehleinschätzung. Die AfD sei lediglich Vertreter eines »spezifisch modifizierten Neoliberalismus«, also eine Partei wie jede andere. So was werden Höcke und Co. gerne lesen. Deren »durch die Decke gegangenen Umfragewerte« scheinen den Autor überhaupt nicht zu beunruhigen. So verwundert es auch nicht, dass er die scheinbar russlandfreundliche Demagogie der Faschisten nicht benennt. Hat Herr Popp nicht mitbekommen, dass die AfD allen (!) Aufrüstungsvorhaben zugestimmt hat? KAZ Nr. 386 – Februar 2024: »(…) Und es ist ein Kurs, der auch die Steilvorlagen für die völkischen Faschisten liefert. Für die ist – holzschnittartig skizziert – das derzeitige Haupthindernis für Deutschlands Glanz und Gloria: US-Amerika. Ihr Kalkül: Sollen die USA doch in der Ukraine ihre Dollars verbrennen und verpulvern. Das schwächt sie. Dazu unterstützen wir Russland, den aktuellen Hauptwiderpart der USA. Und im Übrigen: Sollen sich doch von den slawischen Völkern so viele gegenseitig totschlagen wie möglich. Das schafft den Boden, damit Deutschland wieder aufräumen kann in seinem ›Lebensraum im Osten‹«. Höcke in der »Geraer Rede« 2022: »Der natürliche Partner für uns als Nation der Tüftler und Denker, der natürliche Partner unserer Arbeits- und Lebensweise wäre Russland, ein Land mit schier unerschöpflichen Rohstoffen.« Hier wird schon klar, welche Rolle die angeblichen Russlandfreunde der AfD Russland zuweisen: Den Status einer Kolonie und billiger Rohstofflieferant für die »Nation der Tüftler und Denker«. Zur »Auseinandersetzung« mit Faschisten hat sich Kurt Tucholsky 1931 seine Gedanken gemacht: »Küsst die Faschisten«
    • Leserbrief von Franz Döring (21. Mai 2024 um 11:27 Uhr)
      Ich verstehe auch nicht, dass man die AFD so einfach unterschätzt!
  • Leserbrief von Paul Vesper aus 52062 Aachen (20. Mai 2024 um 14:38 Uhr)
    Die Gretchenfrage heutzutage, der sich jedermann stellen muss, die jedem gestellt werden muss: »Wie hältst Du es mit der NATO?« Die AfD schlingert hier, und deshalb sind die eher russlandfreundlichen Positionen taktische Verschleierungspositionen ihrer reaktionären Politik. Wer die NATO als Verteidigungsbündnis betrachtet, spielt mit dem Krieg. Hierfür soll unser Land ertüchtigt werden. Vorgestern Noske (SPD: »Einer muss den Bluthund machen«), gestern Struck (SPD: »Unsere Freiheit wird am Hindukusch verteidigt«), heute Pistorius (SPD: »Wir müssen wieder kriegstüchtig werden«). Road to Hell! Wer die NATO als imperiales Herrschaftsinstrument der USA einschätzt, hat aus der Geschichte gelernt. Hirntot oder nicht, wir brauchen keine Angriffslügen über Russland, sondern eine friedenspolitische Wende gegen die Mischpoke aller politischen NATO-Apologeten! Paul Vesper, DKP

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