»Da ist nur von ›Extremisten‹ die Rede«
Interview: Gitta Düperthal![imago0081021284h.jpg](/img/450/195062.jpg)
Kommende Woche wird das Inkrafttreten des Grundgesetzes vor 75 Jahren gefeiert werden. Ein Anlass für Betroffene des sogenannten Radikalenerlasses von 1972, am kommenden Mittwoch auf dem Bonner Münsterplatz gegen die Verletzung ihrer Grundrechte zu protestieren und eine Rehabilitierung sowie Entschädigung zu fordern. Wie betraf Sie persönlich das Berufsverbot?
Ich war seit 1970 Briefträger bei der Bundespost. Weil ich zur Kommunalwahl für die DKP kandidiert hatte, Vorträge bei der marxistischen Arbeiterbildung hielt und in die DDR gefahren war, wurde 1982 ein Disziplinarverfahren gegen mich eingeleitet. 1984 wurde ich aus dem Beamtenverhältnis entlassen. Weil ich damals noch nicht 27 Jahre alt war, war ich Beamter auf Probe. Nach dem Verfahren gegen die beiden Postbeamten Hans Peter und Hans Meister vor dem Bundesverwaltungsgericht hieß es: Wenn Beamte auf Lebenszeit wegen solcher Vorwürfe rausfliegen, müsse es einer auf Probe erst recht. So läuft es auch nach dem seit 1. April dieses Jahres geltenden Bundesdisziplinarrecht, das Bundesinnenministerin Nancy Faeser begeistert vorgestellt hatte. Stellt der Dienstherr fest, dass ein Betroffener nicht die Gewähr der Verfassungstreue bietet, kann der Betroffene erst im nachhinein dagegen klagen. Alles wie damals: Ich erhielt kein Arbeitslosengeld, weil ein Beamter nicht arbeitslosenversichert ist. Ich musste darum kämpfen.
Sie argumentieren, der sogenannte Radikalenerlass sei verfassungswidrig gewesen. Worauf stützen Sie sich dabei?
Zwar bestätigte das Bundesverfassungsgericht 1975 das Recht der Behörden, im Einzelfall so vorzugehen. 1995 aber gab der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte der Lehrerin Dorothea Vogt recht, die entlassen worden war, weil sie DKP-Mitglied war. Dies verstoße gegen das Recht auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit der Europäischen Menschenrechtskonvention. Die Klägerin musste wiedereingestellt, entgangene Dienstbezüge samt Pensionsansprüchen nachgezahlt werden. Nachdem die Internationale Arbeitsorganisation ILO festgestellt hatte, dass Berufsverbote gegen das Übereinkommen 111 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf verstoßen, gab es solche Fälle nicht mehr. Mit Ausnahme im Fall von Dorothea Vogt erfolgte offiziell aber weder eine Entschädigung, noch Rehabilitierung – nicht mal eine Entschuldigung.
Eine entsprechende Neuregelung des Beamtenrechts findet nun auch in Brandenburg statt. Zur Begründung wird vor allem auf Neonazis im Staatsdienst verwiesen, die es von dort zu entfernen gelte.
Wir sind gegen dieses »Verfassungstreuecheck«-Gesetz, das mit Stimmen von SPD und Grünen verabschiedet wurde. Zwar heißt es, es solle sich gegen die Gefahr des Rechtsextremismus wenden, im Gesetz ist aber nur von »Extremisten« die Rede. Bei dem Landesgesetz und Faesers Vorstoß geht es um eine Beweislastumkehr. Nach Hinweis der Behörde kann der Betroffene per Verwaltungsakt entlassen werden, muss dann selber dagegen klagen. Er muss nachweisen, dass er kein Verfassungsfeind ist. Wer als solcher zu verstehen ist, fällt unter die Definition des Verfassungsschutzes. Dem stand vor wenigen Jahren noch Hans-Georg Maaßen als Präsident vor! So liefert der Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke ständig Belege, dass er extrem rechts ist. Es liegen zu dem beurlaubten Geschichtslehrer dokumentierte Gesetzesverstöße vor. Aber unternommen wird nichts. Beim Radikalenerlass hieß es damals, dieser solle sich gegen Rechte und Linke richten. Letztlich tatsächlich betroffen waren aber überwiegend nur Linke und Progressive.
Wie soll aus Ihrer Sicht der Spagat gelingen, faschistische Kräfte nicht im Staatsdienst Fuß fassen zu lassen, und zugleich zu verhindern, dass der Staat gegen Linke vorgeht?
Wollte man gegen Rechtsextremismus vorgehen, könnte man sich auf Paragraph 139 Grundgesetz, also die Fortgeltung der Entnazifizierungsvorschriften beziehen. Per Verwaltungsakt könnte man Konsequenzen ziehen. Wäre das politisch gewollt gewesen, hätte man es explizit ins Gesetz hineinschreiben können – hat man aber nicht. Spricht man nebulös von Extremisten, gehört nicht viel Phantasie dazu: Wir sind gemeint!
Werner Siebler ist Sprecher des Bundesarbeitsausschusses der Initiativen gegen Berufsverbote und für die Verteidigung demokratischer Grundrechte
Kundgebung am Mittwoch, 22. Mai, um 15 Uhr auf dem Bonner Münsterplatz.
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Als Staatsbürger der BRD traue ich mir zu, zu behaupten, dass wir in dem neuen, wiedervereinigten Deutschland bisher keine Verfassung haben. Das Grundgesetz für die BRD, und nicht eine Verfassung, hat nunmehr sein 75jähriges Jubiläum. Also keine »Verfassungstreue« oder »verfassungswidrig«. Beachtet sollte auch werden, dass das GG keine Paragraphen, sondern nur Artikel kennt.