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Aus: Ausgabe vom 17.05.2024, Seite 10 / Feuilleton
Film

Der Mensch ist der Q ein A

Meinungen und Deinungen dazu, warum Mensch noch immer Fleisch isst, gibt es in der Gesellschaftssatire »Die Q ist ein Tier« satt zu gucken
Von Norman Philippen
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Noch lebt sie: Die Kuh

Es ist so. Wie es Omnivore Michael Saager letzten Sommer in diese Zeitung schrieb: »Nett ist das nicht. Tiere essen. Und dann auch noch aus Massentierhaltung. Blödes Arschloch.« Dass er noch ein paar Tage zuvor »beinahe rumgeflennt« hatte, »weil im Fernsehen zu sehen war, wie auf den Färöer-Inseln alljährlich Hunderte Grindelwale in einer sehr unfairen Treibjagd mit Motorbooten ans Land gehetzt werden, um sie dort abzuschlachten«, hatte den relativ reumütigen Feuilletonredakteur nicht davon abgehalten, ein »Schweinekasselerkotelett im Brötchen (…) im Bauarbeiterformat« zu verschlingen. Des Arschlochs vernünftiger Grund? Kostete nur drei Euro bei Edeka um die Ecke.

Menschen wie Michael gibt es viel zu millionenfach im Land, in dessen Schlachthäusern sonst nicht allein 2019 über 53 Millionen Schweine zerschnetzelt worden wären. Apropos 53 – »Die Q ist ein Tier« ist ein Spielfilm »mit 53 gleichwertig großen Rollen«. Er »behandelt die Frage, warum wir Menschen noch immer Fleisch essen«, sagt Regisseur Tobias Schönenberg, der sich nur rhetorisch fragt, ob die Massenwirbeltiertötung aus dem »vernünftigen Grund« erfolgt, die das deutsche Tierschutzgesetz seit 1972 so gaumenschmeichelnd gummimäßig als deren legale Voraussetzung »definiert«.

Vernünftige Gründe für die industrielle Zernichtung des Tiers zwecks vermeidbaren Verzehrs fallen auch der Tierethikerin Hilal Sezgin (Kolumne »Meine Tiere« in Frankfurter Rundschau und Berliner Zeitung) keine ein. Neben den vielen contra-, schrieb sie dennoch die vermeintlichen pro-Tiere-essen-Argumente ins Drehbuch. So, »dass die vielen unterschiedlichen Stimmen in diesem Film zum Streiten anregen«, wie der Regisseur hofft.

Vernommen und verhört werden die Stimmen von Einwohnern des fiktiven niedersächsischen Mahrendorf. Von einer Polizistin und einem Polizisten, die investigieren, wer im April 2019 dem örtlichen Fleischgroßfabrikanten Werner Haas Schlachtabfälle aus seiner Fabrik auf den Rasen kübelte. Die Beamten befragen Anwohner, Mitarbeiter, Veterinäre der Fleischfabrik sowie greifbare Tierfreunde und -aktivisten aller Couleur. So kommt vom gelernten »Stecher« Jörn Mahler – »Ich weiß gar nich’, wie viel Schweine ich schon in die Wurst gejagt hab. Keine Ahnung. Aber ich bin sogar stolz drauf: Am Anfang gibt’s ’n Schwein, und dann gibt’s auf einmal Kotelett und Schinken, Schnitzel, Wurst, Salami – is’ doch lecker!« – bis zum eingefleischten Animalista Anticapitalista – »Ich bin Animalist, gibt mir zu viele Hippies und Spinner unter den Veganern« – manch Meinung zusammen. Glücklicherweise sind nicht alle 53 Rollen wirklich ganz gleichgroß geschrieben. Dann wäre in 82 gleichlangen Minuten nur Zeit für zu kurze Argumente gewesen. Und der Nebenplot um die Volontärin Emily Hahn vom Mahrendorfer Boten hätte kaum noch Platz gehabt. Der aber lehrt, dass es zur Sichtbarmachung der Realitäten im ekligen Fleischgewerbe vielleicht nicht unbedingt konkrete Bilder des Tierleids braucht. Was in jedem Falle benötigt wird, ist nach wie vor aber Öffentlichkeit, ein Publikum. Das darf bei diesem settingarmen, wenig wandlungsreichen Spielfilm zwar nicht auf größeres Kino hoffen.

Allerdings: »Als Diskussionsgrundlage für Vorführungen in der Schule find’ ich den Film eigentlich ganz gelungen«, befand so ähnlich meine Mitguckerin. Finde ich auch. Einen besseren, aus einem Weiterbildungsworkshop »Für den Film« der Tobby Holzinger Filmproduktion entstandenen, von der Agentur für Arbeit geförderten und von der Deutschen Film- und Medienbewertung mit dem »Prädikat wertvoll« ausgezeichneten Film, sah ich zum Thema bislang nie. Meine Fast-Lieblingsaussage im Film stammt übrigens von Angela Merkel: »Alles, was noch nicht gewesen ist, ist Zukunft. Wenn es nicht gerade jetzt ist.« Wie wahr. Und was könnte das Tier für eine Zukunft haben! Wäre nicht gerade jetzt.

»Die Q ist ein Tier«, Regie: Tobias Schönenberg, BRD 2023, 84 Min., bereits angelaufen

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (16. Mai 2024 um 20:44 Uhr)
    Isaac Asimov beschrieb bereits 1971 im Spiegel 21 unter dem Titel »Die gute Erde stirbt«, wie die Zukunft der Tiere aussieht. Kurzfassung: Von 20 Billionen Tonen lebender Zellen auf Erden sind zwei Billionen Tonnen tierisches Leben. In erster Näherung wird dies als Maximum betrachtet, da sich tierisches Leben ohne Vermehrungen der Pflanzenmasse nicht vermehren kann. Er extrapoliert dann das Wachstum der Menschheit so weit, dass die gesamte Erdoberfläche (einschließlich der Pole, Wüsten und Meere) völlig mit Siedlungen überbaut ist und die Dachfläche dem Nahrungsmittelanbau, also ausschließlich Pflanzen, dient. Das wären im globalen Durchschnitt 80.000 EinwohnerInnen pro Quadratkilometer. Dieser Zustand wäre im Jahre 2436 erreicht. Asimow: »Jedes zusätzliche Kilogramm Menschheit bedeutet mit absoluter Zwangsläufigkeit ein Kilogramm nicht-menschlichen tierischen Lebens weniger. Wir könnten also argumentieren, dass die Erde maximal eine Menschheitsmasse ernähren kann, die der gegenwärtigen Masse allen tierischen Lebens entspricht. Das wären nicht weniger als 40 Billionen – über 11.000mal mehr als gegenwärtig [1971]. Allerdings würde daneben keine andere Spezies tierischen Lebens existieren.« Asimow bringt noch eine Reihe weiterer Überlegungen, die der Reflexion wert sind, hier aber nicht angesprochen werden können. Das Grundthema ist aber gezeigt: Auch Veganer vernichten Tiere, ggf. alle, wenn sie sich zu stark vermehren.

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