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Aus: Ausgabe vom 16.05.2024, Seite 6 / Ausland
EU-Wahl

Vom Rand an die Regierung

Serie. Aufstieg der Rechten (Teil 7 und Schluss): Schwedendemokraten treiben Politik vor sich her. Rückzug der Sozialdemokratie eine der Ursachen
Von Anders Carlsson
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Alles so schön bunt: Der Chef der ultrarechten Schwedendemokraten Jimmie Åkesson auf Wahlkampftour in Västerås (7.9.2022)

Am 9. Juni wird das EU-Parlament neu gewählt. Das nehmen wir zum Anlass für eine Serie, die sich mit dem Aufstieg extrem rechter Kräfte in Europa beschäftigt. Die siebenteilige Reihe erscheint in Zusammenarbeit mit der dänischen Zeitung Arbejderen, der schwedischen Proletären und dem britischen Morning Star. Die Beiträge werden in allen vier teilnehmenden Zeitungen veröffentlicht, nachfolgend das Serienfinale aus Schweden.

Die nationalistische, ausländerfeindliche extreme Rechte in Schweden wird vor allem von den Sverigedemokraterna (Schwedendemokraten, SD) vertreten. Die Partei wuchs bei den 2022 stattfindenden Nationalwahlen zur zweitgrößten Partei Schwedens an und erhielt 20,5 Prozent der Stimmen. In der extremen Rechten gibt es auch eine Splittergruppe, die Alternativ för Sverige (Alternative für Schweden, AfS), die 2017 von einst ausgetretenen Mitgliedern der SD gegründet wurde. AfS erreichte nur 0,26 Prozent der Stimmen bei den Wahlen. Daher nehmen wir vor allem die Schwedendemokraten in den Fokus.

Im Gegensatz zur Mehrheit der rechten und rassistischen Parteien in Europa haben die SD ihre Wurzeln offensichtlich im Neonazimilieu. Einige bekannte Neonazis waren unter den Gründern, als die Partei sich 1988 formierte. Der damalige SD-Vorsitzende, Anders Klarström, kommt aus der Nordiska Rikspartiet (Nordische Reichspartei), die vor ihrer Auflösung 2009 offen die Ideologie der Nazis angenommen hatte. Einige Initiatoren der SD haben ihren politischen Hintergrund in der uniformierten Skinheadbewegung Bevara Sverige Svenskt (Schweden bleibt schwedisch).

Mitte der 1990er begannen die SD sich von ihren Neonaziwurzeln zu distanzieren, jedoch mit gemischtem Erfolg. Mitglieder, die entsprechende Sympathien öffentlich zum Audruck bringen, werden in der Regel aus der Partei geworfen, doch in der tiefen Basis der Partei sind diese häufig vorhanden und werden oft durch Parteimitglieder in sozialen Netzwerken zur Schau gestellt. Offiziell definieren sich die SD heute als eine »sozial-konservative Partei auf nationalistischer Grundlage«. Das ist ein Deckmantel: Was die Partei wirklich charakterisiert, ist populistische Fremdenfeindlichkeit mit starken Elementen von Rassismus und Islamfeindlichkeit.

Die Kernaussage der Politik der SD ist, dass die »Massenimmigration« der Menschen aus primär islamischen Ländern Schweden und die schwedische Nation degeneriert habe. Das Land, argumentiert die Partei, könne nur durch die »Remigration fremder Elemente« wiedergeboren werden. In diesem Kampf gehe es um »Leben oder Tod«, wie der Chefideologe der SD, Mattias Karlsson, vor ein paar Jahren auf Facebook erklärte. Eine Botschaft, die klar aufzeigt, dass die Nazisympathien der SD-Mitglieder noch immer im Schatten lauern.

In den 90er Jahren begann der langsame Aufstieg der SD. Bei den Parlamentswahlen 1998 erreichten die Schwedendemokraten 0,37 Prozent; vier Jahre später sprangen sie auf 1,4 Prozent und ergatterten bei den Kommunalwahlen 49 Stadtratssitze. Der Aufstieg ging 2006 mit 2,9 Prozent der Stimmen weiter, und 2010 zogen die SD schließlich mit 5,7 Prozent ins Parlament ein. Neben der Einwanderung – immer das Topthema auf der SD-Agenda – können zwei Faktoren für diesen Aufstieg ausgemacht werden.

Ab Ende der 1980er und in den darauffolgenden Jahrzehnten erlebte das skandinavische Land ein neoliberales Eisbad, das durch den EU-Beitritt 1995 ermöglicht und von Schwedens Monopolkapitalisten und politischen Repräsentanten vorangetrieben wurde. Der Wandel brachte dramatisch verschärfte Klassenunterschiede mit sich, Kürzungen und Privatisierungen im öffentlichen Sektor, verringerte Pensionen und ein erhöhtes Rentenalter. Dieses System wurde sowohl von sozialdemokratischen Regierungen getragen als auch von denen, die die Bourgeoisie repräsentieren. Für diesen Wandel gab es keinen demokratischen Rückhalt, und er verursachte einen Vertrauensbruch zwischen den politisch Etablierten und der breiten Bevölkerung. Die SD nutzten diesen Riss und traten als Repräsentanten für die »Früher war es besser«-Bewegung auf. Damit zogen sie große Teile der ehemaligen sozialdemokratischen Wähler an.

Des weiteren die EU-Mitgliedschaft. Ihr ging 1994 ein Referendum voran, bei dem die Ja-Seite durch das politische Establishment und die Kapitalseite vertreten war, während sich die Nein-Seite aus einer breiten und diversen populären Linken zusammensetzte. Die Ja-Fraktion gewann knapp und seit Schweden EU-Mitglied ist, haben die Vänsterpartiet (Linkspartei) und die Miljöpartiet de Gröna (Umweltpartei Die Grünen) – beide im schwedischen Parlament vertreten – erfolgreich ihre Opposition zur EU abgelegt. Dieser Verrat gab den SD die Möglichkeit, als Gegner Brüssels aufzutreten.

Die SD haben heute eine klassenübergreifende Wählerschaft. Ein Drittel besteht aus Arbeitern, ein Drittel aus Kleinbürgern (Landwirte, Unternehmer) und ein Drittel aus der Oberklasse. Studien aus den vergangenen Jahren zeigen, dass die Wählerschaft aus der Arbeiterklasse, die überdurchschnittlich aus Männern besteht, bei kulturellen Themen sozial-konservativ und bei sozialökonomischen rechts eingestellt ist. Die Protestwähler sind weniger geworden. Heute wählen Arbeiter die SD, weil sie deren konservative Werte teilen. Seit ihrem Parlamentseinzug 2010 haben sich die Schwedendemokraten darum bemüht, als Partner im »konservativen Block« akzeptiert zu werden. Diese Ambitionen waren vor und nach den Wahlen 2022 von Erfolg gekrönt – die SD wurde vom konservativen Block warm in Empfang genommen. Er setzt sich aus den Moderaten, Christdemokraten und der Liberalen Partei zusammen. Die SD sind kein offizielles Mitglied des Kabinetts, dennoch sind sie formal durch ein Abkommen die größte Partei in der Regierungskoalition. Das gibt den SD die Möglichkeit, die Politik der Regierung zu diktieren, was Immigration und Kriminalität angeht; Bandenkriminalität ist heute in Schweden ein großes Thema.

Bei diesem Problem haben nicht nur rechte Parteien, sondern auch die Sozialdemokraten die Politik der SD kopiert, was sich durch die Bank in Repression niederschlägt. Die Schwedendemokraten haben es so geschafft, die gesamte Politik nach rechts zu verschieben. Diese Anpassung ist jedoch nicht einseitig. Um als Partner akzeptiert zu werden, waren die SD gezwungen, ihre Opposition zur EU aufzugeben. Einen »Swexit« zu fordern ist in politischen und wirtschaftlichen Kreisen Schwedens nicht akzeptabel. Die SD müssen damit zufrieden sein, sich als Kritikerin der EU zu präsentieren. Nach Druck des Unternehmerverbands Svenskt Näringsliv ließ die Partei auch ihre Opposition zum Profitgewinn im privatisierten Wohlfahrtssektor fallen. Das hat zumindest zeitweise die Wählerflucht von den Sozialdemokraten zur SD gestoppt.

Vom Rand der politischen Arena kommend, sind die SD heute eingebettet in die etablierte, die Regierung tragende Rechte. Dabei ist die Erfolgsgeschichte der Schwedendemokraten dem Rückzug der Sozialdemokratie aus allen Formen linker Politik, aber auch der Abwesenheit breiter populärer Opposition gegenüber rechter Politik zu verdanken. Um die extreme Rechte zu stoppen, braucht es Klassenkampf und einen proletarischen Internationalismus.

Alle Teile der Serie unter: kurzlinks.de/EU-Wahl

Anders Carlsson ist Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Schwedens, deren Vorsitzender er zwischen 1999 und 2014 war

Übersetzung: Dominik Wetzel

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In der Serie Aufstieg der Rechten:

Die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union sind am 9. Juni aufgerufen, das EU-Parlament neu zu wählen. Aus diesem Anlass berichtet die junge Welt vom Aufstieg extrem rechter Kräfte in verschiedenen europäischen Ländern. Im Rahmen dieser Serie werden sowohl Artikel als auch Interviews und Analysen veröffentlicht.

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