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Aus: Ausgabe vom 14.05.2024, Seite 8 / Ausland
Kurdische Diaspora

»Wir tun alles, um zu unserem Recht zu kommen«

Belgien: Razzien bei kurdischen Fernsehsendern. Keine Gründe genannt. Ein Gespräch mit Mahir Üzmez
Interview: Henning von Stoltzenberg
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Die Studios der kurdischen Sender Stêrk TV und Medya Haber TV im belgischen Denderleeuw (23.4.2024)

Die kurdischen Fernsehsender Stêrk TV und Medya Haber TV in Belgien wurden Ende April von der Polizei durchsucht. Was war der Anlass dafür?

In der Nacht vom 23. April führte die belgische Polizei in Zusammenarbeit mit sogenannten Antiterroreinheiten eine Razzia in der Zentrale von Stêrk TV und Medya Haber TV durch. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich außer den Mitarbeitern, die für die Sicherheit des Gebäudes verantwortlich waren, keine weiteren Personen vor Ort. Während der Durchsuchung wurden das Studiogelände und die Zufahrtsstraßen in der Kleinstadt Denderleeuw weiträumig abgesperrt. Als die Beschäftigten des Senders von der Razzia erfuhren, versuchten sie, zu den Studios zu gelangen. Doch die Sicherheitskräfte machten deutlich, dass sie niemanden in die Nähe lassen würden. Selbst den Verantwortlichen des Senders wurde der Zutritt verwehrt. Als diese wissen wollten, was der Grund für die Durchsuchung der Studios sei, teilten ihnen die Polizisten mündlich mit, dass es einen Durchsuchungsbefehl gebe. Etwas Schriftliches erhielten sie nicht.

Wurde Infrastruktur des Senders beschädigt?

Wir haben nach der Razzia gesehen, dass alle Räume, die verschlossen waren, aufgebrochen wurden. Es handelt sich um Räume, in denen sensible Technik und die Archive der Sender untergebracht sind. Die Schlüssel zu diesen Türen befanden sich im Raum des Sicherheitspersonals. Die Polizisten waren aber wohl nicht daran interessiert, die Türen mit den Schlüsseln zu öffnen. Darüber hinaus schaltete die Polizei den Strom in den Studios ab, was zu einer Unterbrechung des Sendebetriebs führte. Außerdem wurden Kameras und anderes Studioequipment beschädigt.

Hat es in der Vergangenheit vergleichbare Razzien gegeben?

Ja. Leider gab es in der Vergangenheit ähnliche Durchsuchungen bei kurdischen Sendern, die von Europa aus senden. Zum Beispiel 1996 beim ersten kurdischen Fernsehsender Med TV oder 2010 bei Roj TV. In beiden Fällen hieß es, es gebe gerichtliche Untersuchungen gegen die Sender. Aber am Ende haben die Sender vor Gericht recht bekommen. Wir wissen noch nicht im Detail, was der Ermittlungshintergrund und die Vorwürfe gegen uns sind. Aber unsere Anwälte bemühen sich um Aufklärung.

Wie wurde die Polizeiaktion begründet?

Unsere Anwälte konnten uns bisher nur mitteilen, dass die Durchsuchungen auf eine Ermittlung eines französischen Staatsanwaltes aus Marseille zurückzuführen sind. Demnach hat die belgische Staatsanwaltschaft in Antwerpen die Durchsuchung angeordnet. Worum es bei diesen Ermittlungen geht, ist uns zum jetzigen Zeitpunkt nicht bekannt.

Hat das polizeiliche Vorgehen Protest hervorgerufen?

Die Razzia wurde vor allem von der kurdischen Gesellschaft in Europa und in Kurdistan kritisiert. Zahlreiche kurdische Politiker haben das Vorgehen der Sicherheitsbehörden und der Justiz verurteilt. Auch einige belgische Politiker haben sich dazu kritisch geäußert. Wichtig ist, dass unsere europäischen Kollegen gegen das Vorgehen gegenüber den kurdischen Fernsehsendern im Sinne der Pressefreiheit Stellung bezogen haben. So haben die Europäische Föderation von Journalisten (EFJ) und ihre belgische Mitgliedsorganisation, der Flämische Journalistenverband (VVJ) Stellungnahmen veröffentlicht. Außerdem besuchten Mitglieder der belgischen Pressegewerkschaft nach den Durchsuchungen unsere Studios und gaben eine Solidaritätserklärung ab.

Planen Sie, Rechtsmittel einzulegen?

Kurz nach den Razzien haben unsere Anwälte die durch die Sicherheitskräfte verursachten Schäden dokumentiert und eine Klage gegen die Durchsuchungen eingereicht. Wir werden alles tun, um zu unserem Recht zu kommen. Dieses Vorgehen gegen unsere Fernsehsender ist nicht nur ein Angriff auf die kurdische Bevölkerung, sondern auf die Presse- und Meinungsfreiheit in Belgien und Europa im allgemeinen.

Mahir Üzmez arbeitet für die Redaktion des kurdischen Senders Medya Haber TV

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