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Aus: Ausgabe vom 13.05.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
China im Visier

Atolle als Aufmarschgebiet

Pazifische Inselstaaten kooperieren umfassend mit China. Westen nicht erfreut. Bundesaußenministerin auf Mission in Fidschi
Von Jörg Kronauer
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Das Hauptziel von Baerbocks Reise: »Chinas Einfluss im Pazifik zurückdrängen« (Suva, 7.5.2024)

Es war eine Premiere, als sich Annalena Baerbock am Beginn der vergangenen Woche in Fidschi aufhielt. Noch nie zuvor hatte ein deutscher Außenminister seinen Fuß in das Land gesetzt, das unter den 22 Inselstaaten und abhängigen Territorien bzw. Kolonien im Pazifik mit seinen gut 900.000 Einwohnern das bevölkerungsreichste ist. Schon Baerbocks Besuch im Juli 2022 in Palau war außergewöhnlich gewesen: Sie habe dort »als erste deutsche Außenministerin seit 120 Jahren« Gespräche geführt, erklärte sie im August 2023 rückblickend. Vor 120 Jahren war Deutschland im Pazifik freilich noch Kolonialmacht. Dass die pazifische Inselwelt zum ersten Mal seit der Kolonialzeit wieder umfassend ins Visier der deutschen Außenpolitik gerät, hat seinen Grund. Nein, es ist nicht primär die Sorge um die dramatischen Folgen des Klimawandels für die Pazifikinseln, die die Ministerin, wie sie behauptet, wiederholt ans andere Ende der Welt treibt. Es ist vielmehr das, was die Aktivitäten der westlichen Staaten immer stärker dominiert: ihr erbitterter Machtkampf gegen China.

Fidschi bietet ein gutes Beispiel dafür. Das Land kooperiert nicht nur ökonomisch eng mit China; es war zudem das erste im Pazifik, das eine Polizeikooperation mit der Volksrepublik begann. Im Jahr 2011 schloss die Regierung in der Hauptstadt Suva ein Abkommen mit Beijing, das nicht nur die Lieferung polizeilicher Ausrüstung aus China nach Fidschi vorsah, sondern auch die Ausbildung von Polizisten aus Fidschi in der Volksrepublik und zudem die Einbindung chinesischer Beamter in die Polizeiarbeit des pazifischen Inselstaats. Und damit blieb Fidschi bald nicht mehr allein. Nach längeren Verhandlungen begann Beijing etwa, eine Polizeiakademie für Samoa zu bauen; die Arbeiten sollen noch in diesem Jahr abgeschlossen werden. Im vergangenen Jahr schloss China ein Polizeiabkommen mit den Salomonen, mit denen es sich vorher auf ein umfassenderes Sicherheitsabkommen geeinigt hatte. Mittlerweile kooperiert die Volksrepublik etwa auch mit der Polizei von Kiribati, und sie verhandelt über ein Polizeiabkommen mit Papua-Neuguinea. Die Volksrepublik gewinnt damit mehr Einfluss in der pazifischen Inselwelt.

Das ist von erheblicher Bedeutung, auch wenn die Inselstaaten klein und bevölkerungsarm sind und keine herausragenden Geschäftschancen bieten. Sie erstrecken sich aber über riesige Gebiete im Pazifik, die im Machtkampf zwischen den USA und China ziemlich wichtig sind. Für die Vereinigten Staaten ist der Pazifik im Kriegsfall der Aufmarschweg Richtung Ostasien. Die Route verläuft über Hawaii und dann etwa über die US-Kolonie Guam, von der aus schon Angriffe auf die Volksrepublik gestartet werden können. Als bekannt wurde, dass Kiribati eine Polizeikooperation mit China begonnen hatte, sich also enger an Beijing zu binden begann, wiesen manche in Washington darauf hin, von dort aus seien es nur noch 1.340 Meilen (ca. 2.160 Kilometer) bis nach Honolulu, der Hauptstadt von Hawaii. Wie wichtig der 50. US-Bundesstaat für Washington ist, ist aus dem Zweiten Weltkrieg bekannt.

Ähnliches gilt für die Salomonen mit Blick auf Australien. Sie liegen gut 2.000 Kilometer nordöstlich des Landes und schirmen es als Teil eines Inselrings, der auch Papua-Neuguinea, Vanuatu und Französisch-Polynesien umfasst, quasi als Puffer gegen Angriffe vom Pazifik her ab. Auch kann, wer sie kontrolliert, die direkten Verbindungsrouten zwischen Australien und den Vereinigten Staaten attackieren. Aus diesen Gründen besetzte Japan die Salomonen im Zweiten Weltkrieg, während umgekehrt die USA und Australien erbittert um die Rückeroberung der Inseln kämpften, was ihnen in der Schlacht von Guadalcanal vom August 1942 bis zum Februar 1943 schließlich gelang. Entsprechend sensibel reagierten Canberra und Washington, als es China im Jahr 2022 gelang, ein Sicherheitsabkommen mit den Salomonen zu schließen, in dem der Inselstaat es unter anderem chinesischen Kriegsschiffen erlaubte, in seinen Häfen anzulegen, freilich ausschließlich zu Versorgungszwecken. Auch wenn sich daraus noch keine Gefahr für Australien ableiten lässt: Der Westen sucht seitdem entschlossener als zuvor, Chinas Einfluss im Pazifik zurückzudrängen.

Dazu soll – und will – auch die Bundesregierung einen Beitrag leisten, weshalb Baerbock jetzt nach Fidschi reiste. In dessen Hauptstadt Suva kam Ende 2022 mit Sitiveni Rabuka ein neuer Premierminister ins Amt, der erklärt hatte, er wolle Fidschis Polizeizusammenarbeit mit China beenden und statt dessen wieder enger mit Australien kooperieren. Baerbock hatte ursprünglich schon im August 2023 auf Fidschi eintreffen wollen – nicht zuletzt, um Rabuka den Rücken zu stärken. Der Plan scheiterte, da ihr Regierungsflugzeug in den Vereinigten Arabischen Emiraten den Geist aufgab. Ohnehin ist fraglich, ob sie entscheidend hätte Einfluss nehmen können; jedenfalls teilte Rabuka im März mit, Fidschis Polizeikooperation mit China werde fortgesetzt. Es sollten lediglich keine chinesischen Polizisten mehr in Fidschi stationiert sein – vorläufig jedenfalls.

Berlin hält dennoch an seinen Bemühungen fest, seinen Einfluss auf Fidschi auszubauen. Es hat im August vergangenen Jahres – Baerbock hätte eigentlich daran teilnehmen sollen – eine Botschaft in der Hauptstadt Suva eröffnet, seine erste in einem der pazifischen Inselstaaten überhaupt. Die Wahl sei aus guten Gründen auf Fidschi gefallen, erklärte das Auswärtige Amt Ende April: In Fidschi sei das Pacific Islands Forum (PIF) ansässig, eine politisch wichtige Regionalorganisation. Deshalb seien auch zahlreiche weitere Botschaften in Suva präsent; in Diplomatenkreisen werde die Stadt »Brüssel des Pazifiks« genannt. Baerbock hatte zuvor noch ein wenig höher gegriffen und Fidschi im Hinblick auf den Machtkampf mit China als »Hotspot der Geopolitik« bezeichnet.

Hintergrund: Primat der Ökonomie

Ist der Konfrontationskurs gegen China, den Außenministerin Annalena Baerbock auf ihrer Reise in die Asien-Pazifik-Region forcierte, wirklich repräsentativ für die Bundesregierung? In Beijing meinen – und hoffen – manche, das sei nicht der Fall. Anlässlich der Baerbock-Reise rief die Global Times den Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz in der chinesischen Hauptstadt in Erinnerung. Scholz habe dort vor allem über wirtschaftliche Fragen verhandelt und »viele positive Vereinbarungen erreicht«, schrieb die Zeitung Anfang vergangener Woche. »Die deutschen Ministerien für Äußeres und für Wirtschaft«, die »von den weit rechts stehenden Grünen kontrolliert werden«, befänden sich im Widerspruch zu seiner Politik. Die Grünen gingen gegenüber der Volksrepublik »hochgradig ideologisch« vor; sie räumten »Werten und Sicherheitsrisiken Vorrang vor der Wirtschaftskooperation« ein – und gefährdeten damit Scholz’ Plädoyer für »pragmatische Kooperation mit China«, zitierte die Global Times Liu Zuokui von der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften.

Was folgt daraus? Die Beziehungen zwischen Deutschland und China könnten immer wieder auf vielfältige Weise erschüttert werden, warnte Liu; und es sei klar: Die Vereinigten Staaten, denen die Grünen bekanntlich nahestehen, unterstützten und begrüßten dies. Wie sich die inneren Verhältnisse in Deutschland gestalteten, das werde man womöglich erst nach den Parlamentswahlen im kommenden Jahr sehen. Die »inneren politischen Kämpfe und Widersprüche« seien groß. Liu gab sich trotz aller Schwierigkeiten optimistisch; er sei der Meinung, »dass die enge geschäftliche und wirtschaftliche Kooperation« immer »der Mainstream in den chinesisch-deutschen Beziehungen« bleiben werde. Die Volksrepublik arbeitet jedenfalls nach Kräften darauf hin. (jk)

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