Deutscher Dreiklang
Von Arnold SchölzelDie deutsche Großpresse ist in Sachen Krieg und Frieden am Freitag dreigeteilt. In der Süddeutschen Zeitung skizziert Heribert Prantl, wie vor 75 Jahren verhindert wurde, dass das Grundgesetz zumindest auf dem Papier eine pazifistische Verfassung wie die japanische wurde. Prantl zitiert Thomas Dehler (FDP), der gemahnt habe, kein Volk habe ein Recht, »sich seiner Pflicht zur Verteidigung zu entziehen«. Das gelte um so mehr, als »unser Land, unsere Heimat, offen vor den Russen« liege. Die in Westdeutschland seit 1945 regelmäßig erzeugte Russenhysterie galt damals der »Berlin-Blockade«. Dehler meinte, es könne nicht jeder Krieg, nur der Angriffskrieg geächtet werden. Carlo Schmid (SPD), der für ersteres eingetreten war, setzte laut Prantl nun stärker darauf, was seither im Artikel 24 Absatz 2 des Grundgesetzes steht: »Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen.« Der Wille, »dem Frieden der Welt zu dienen«, wanderte in die Präambel.
Schmid meinte, so Prantl, mit dem »System gegenseitiger kollektiver Sicherheit« die UN. Das Bundesverfassungsgericht habe aber 1994 auch die NATO so eingestuft. Seitdem gelte »praktisch alles, was die NATO macht, als Verteidigung«. Prantl: »Das war so, als habe man der Friedensglocke, die in der Präambel geläutet wird, den Klöppel weggenommen.« Seitdem könne Deutschland überall verteidigt werden, am Hindukusch, auf hoher See und im Weltraum. Prantl nennt das »Chuzpe«, also anerkannte Unverschämtheit. Hinzu kommt heute, was Prantl leider nicht erwähnt, dass in der angeblichen Schlacht zwischen Demokratien und Autokratien erstere, weil »regelbasiert«, sich jeden Angriff bis hin zum Genozid erlauben, weil nur Autokraten stets Verbrecher sind.
Da gilt das Kriegsgebot. Also feiert zum Beispiel FAZ-Mitherausgeber Berthold Kohler am Freitag den Beschluss der CDU, eine »Kontingentwehrpflicht« einzuführen: »Die Wehrpflicht ist wieder da, und das ist gut so.« Wegen »Putins Überfall«, der »nicht sein letzter sein würde, so er ihn siegreich beenden könnte«, und weil Moskau bei Reservisten »über eine riesige stille Reserve, Berlin nicht« verfügt usw. Kohler steht fest zu Dehler 1949.
CDU und CSU sind aber weiter, als Prantl und Kohler ahnen. Am Freitag kündigt Die Welt auf Seite eins an: »Union forciert den Aufbau einer ›Drohnenarmee‹«. In der kommenden Woche wollen demnach CDU und CSU einen Antrag mit 23 Punkten in den Bundestag einbringen, weil die Regierung »auf die Änderungen in der Kriegsführung mit Drohnen bisher unzureichend reagiert«. In der Ukraine, so Die Welt, werden in jedem Monat »von beiden Kriegsparteien mehr als 10.000 Drohnen kleiner und kleinster Bauweise, die teilweise fliegende Wegwerfprodukte sind, rund um die Uhr zum Einsatz gebracht«. Sie seien mit Artillerie kaum zu bekämpfen, sorgten für permanente Überwachung und: »Die Flugobjekte haben eine geringe Radarsignatur und lassen sich mit Hilfe künstlicher Intelligenz massenhaft simultan im Gefecht zur Wirkung bringen. Oft sind teure Luftabwehrraketen das einzige Mittel, um Truppen oder Infrastruktur zu schützen.« Die Union hilft, dass Boris Pistorius drohnenmäßig endlich in die Gänge kommt.
Der publizistische Dreiklang charakterisiert die herrschenden Fraktionen der deutschen Bourgeoisie: Das Grundgesetz ist seit 1994 kriegstüchtig, was seinen liberalen Anhängern missfällt – wirkungslos. Russophobie dient wie seit 1949 in Westdeutschland dazu, Frieden vergessen zu machen und die Kasernen zu füllen. Die Merz-Söder-Union weiß aber, was Generäle und Rüstungsschmieden wünschen. Das heißt: Zwei zu eins fürs Füllen des Pulverfasses. Im Westen nichts Neues.
Schmid meinte, so Prantl, mit dem »System gegenseitiger kollektiver Sicherheit« die UN. Das Bundesverfassungsgericht habe aber 1994 auch die NATO so eingestuft. Seitdem gelte »praktisch alles, was die NATO macht, als Verteidigung«.
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