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Aus: Ausgabe vom 11.05.2024, Seite 12 / Thema
Kalter Krieg

Beginn eines Mythos

Vor 75 Jahren endete die »Berlin-Blockade«. Es ging um nicht weniger als die deutsche Teilung
Von Joshua Relko
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Rosinen oder Bomben? Luftbrücke der Westalliierten über Westberlin 1948/49

Am 12. Mai 1949 rollten wieder die ersten Lkw aus den Westzonen nach Westberlin. Damit endeten die als Berlin-Blockade bekannten Maßnahmen der sowjetischen Besatzungsmacht gegen die Auswirkungen der westlichen Währungsseparation. Als Erpressung, Expansionsstreben, sogar als einkalkulierte Hungersnot gegen die Westsektoren wurden und werden die sowjetischen Entscheidungen dargestellt. Insofern gilt der 12. Mai in der bürgerlichen Öffentlichkeit als Tag, an dem Freiheit und Demokratie über diktatorische Aggression triumphierten.

Aber die sogenannte Blockade kam nicht aus heiterem Himmel. Sie reihte sich ein in eine Kette von Auseinandersetzungen und Streitigkeiten, die nach der Zerschlagung des deutschen Faschismus im Bündnis der Alliierten mehr und mehr auftraten. Während die Sowjetunion ein vereintes, neutrales Deutschland anstrebte (man denke an die sogenannten Stalin-Noten von 1952), waren sich die Westalliierten, die USA, Großbritannien und Frankreich, der Notwendigkeit bewusst, die kapitalistische Herrschaft – wenigstens in einem Teil Deutschlands – abzusichern. Dementsprechend setzten sie seit 1947/48 auf eine Separation der westdeutschen Besatzungszonen.

Separatstaatspläne

Zum ersten Mal offiziell deutlich wurde das in Gestalt der Londoner Sechsmächtekonferenz im Januar 1948. Das war eine exklusive Zusammenkunft der Westalliierten sowie ihrer Verbündeten aus den Benelux-Ländern, auf die seit Ende 1947 hingearbeitet worden war. Die Teilnehmer kamen zu dem Schluss, dass ein geeintes Deutschland nicht auf der Tagesordnung stehe und ein (westdeutscher) Staat ohne die sowjetische Zone anzustreben sei. Die Lage Berlins in der sowjetischen Zone sowie die von den Alliierten geteilte, gemeinsame Führung der Stadt wurde dadurch zu einem besonderen Problem.

Sowjetischerseits sowie nach Auffassung deutscher Kommunisten verstand man die Westteile Berlins als eine Art Brückenkopf zur Störung des sozialistischen Aufbauprozesses im Osten. Zugleich schürten die Westalliierten die Angst, die Sowjetunion strebe eine Übernahme ganz Berlins an, im schlimmsten Fall als Teil einer Offensive, die sich über ganz Westeuropa erstrecken würde.

Die Zuspitzungen im Bündnis der Alliierten müssen im Zusammenhang mit anderen Ereignissen betrachtet werden. Zum internationalen Kontext gehört die revolutionäre Umwälzung in der Tschechoslowakei, bei der Anfang 1948 die Kommunistische Partei an die Macht gelangte. Die Westalliierten sahen das als Bestätigung ihrer Annahme einer kommunistischen Expansion und agierten fortan immer öfter ohne Einbeziehung der Sowjetunion. Hinzu kamen die weiteren volksdemokratischen Entwicklungen in Osteuropa, der anhaltende bewaffnete Widerstand gegen Westalliierte und Kapital unter Führung der Demokratischen Armee und der Kommunistischen Partei in Griechenland, außerdem die prosozialistische Stimmung in Teilen der westeuropäischen Arbeiterklasse.

Trotz der internationalen Erfolge der kommunistischen Bewegung geriet die sowjetische Führung in Bedrängnis angesichts der westlichen Maßnahmen zur Eindämmung (»Containment«) des Sozialismus. Dazu zählte zweifellos, dass die USA ihre umfangreichen Wirtschaftshilfen, bekannt als Marshall-Plan, auf die Westzonen Deutschlands ausweiteten und auf Reparationsforderungen verzichteten. Der Schritt stellte einen wirtschaftlichen Vorteil und damit einen mittelfristigen Vorsprung für die Westzonen dar. Zugleich wurden Fakten bezüglich der West­integration geschaffen und die gemeinsame Kon­trolle der Alliierten über Deutschland umgangen.

Stein des Anstoßes: Währungsfrage

Doch ging es in der Zeit, als sich die interalliierte Konfrontation zuspitzte, nicht nur um wirtschaftliche Hilfen, sondern auch um grundlegende ökonomische Entscheidungen. Im Mittelpunkt der Ereignisse, die zu den sowjetischen Sperrmaßnahmen führten, stand die Währungsfrage. Nach dem Ende des Krieges wurde in allen Besatzungszonen einheitlich mit Reichsmark bezahlt. Doch Widersprüche sind in einer Währungspolitik, die von mehreren Staaten unterschiedlicher Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme gesteuert wird, programmiert. Bereits im November 1947 erreichten erste, in den USA gedruckte neue Banknoten die Westzonen Deutschlands. Es handelte sich um die Vorbereitung einer separaten Währungsreform, die über ein halbes Jahr später, am 20. Juni 1948, in Kraft treten sollte. Wirklich geheim war das nicht. So gingen die Sowjets seit Ende 1947 davon aus, dass die USA eine separate neue Währung vorbereiteten, zudem erschienen verschiedentlich entsprechende Presseberichte. Von sowjetischer Seite wie auch von der SED wurde die Währungsreform stets als Teil der Spaltungspolitik der Westalliierten gewertet. In einem Aufruf des SED-Parteivorstandes vom 18. Juni 1948 war zu lesen: »Durch die Schaffung einer separaten Westwährung soll Deutschland in zwei völlig voneinander getrennte Teile zerrissen werden. Diese schändliche Politik, die Westdeutschland in einen Spielball ausländischer kapitalistischer Interessen verwandeln soll, ist seit langem vorbereitet. (…) Die separate Währungsreform bedeutet den vollständigen Bruch mit den in Potsdam gegebenen Versprechen, Deutschland als wirtschaftliches Ganzes zu behandeln.«¹

Die geplante Währungsreform war auch ein Mittel der Destabilisierung, drohte mit ihr doch die Gefahr, dass die in den Westzonen entwerteten alten Reichsmarkbestände die Ostmärkte mit Geld überfluten und damit zu einer Entwertung der in der sowjetischen Zone weiterhin und allein gültigen Reichsmark führen würden. Diese Gefahr verstärkte sich noch mit dem Plan der Westalliierten, die Währungsreform auch auf ihre Berliner Sektoren auszuweiten. Das war zudem ein Bruch vorheriger Zusicherungen, Berlin von der Währungsreform auszunehmen und die Stadt als wirtschaftliche Einheit zu erhalten.

Legitimiert wurde der Wortbruch durch den Magistrat der Stadt, der von prowestlichen Kräften, allen voran der Westberliner SPD dominiert war. Um eine Geldentwertung abzuwenden, reagierte die sowjetische Führung mit der Ankündigung einer eigenen Währungsreform in der Ostzone, die gleichfalls für ganz Berlin gelten sollte, was der wirtschaftlichen Integration in die sowjetische Zone entsprach. Die Westalliierten wiesen diesen Schritt zurück und beriefen sich auf die gemeinsame Führung der Stadt, die sie selbst doch mit ihrer Entscheidung zur Währungsreform schon in Frage gestellt, wenn nicht beendet hatten. Nun formulierten sie, dass die neue Ostwährung in ihren Sektoren nur Anwendung finden könne, wenn sie an der Kontrolle der Währung beteiligt wären. Das wiederum hätte aber eine Einmischung in die Verwaltung der sowjetischen Zone bedeutet – ein Zugeständnis, das die Westmächte der Sowjetunion für die Westzonen nicht machen wollten und schon deshalb inakzeptabel war.

Abgesperrt

Als Reaktion auf die Gefahr der finanziellen Überschwemmung im Zuge der Währungsreform West begann die sowjetische Administration ab dem 19. Juni 1948 – einen Tag vor Inkrafttreten der Währungsreform – den Güter- und Reiseverkehr einzuschränken. Der Verkehr Richtung Westberlin führte durch die sowjetisch besetzte Zone – wie alle anderen Alliierten auch kontrollierte die Sowjetische Militäradministration (SMAD) den Verkehr in ihrem Bereich und war grundsätzlich legitimiert zu solchen Einschränkungen. Kurz darauf wurde der Eisenbahnverkehr aus den Westzonen in die Berliner Westsektoren unterbunden, später der Binnenschiffverkehr. Verbunden waren diese Maßnahmen mit der Forderung, die separate Währungsreform in den Westteilen Deutschlands sowie Berlins zurückzunehmen, weil sie einen Bruch mit der 1945 vertraglich festgelegten gemeinsamen Führung der Alliierten bedeutete.

Die Viererkontrolle über Berlin war durch die Währungsreform in den Westsektoren der Stadt ausgehebelt. Berlin war zu einer Frontstadt der internationalen Klassenauseinandersetzung geworden. In den Monaten zuvor hatte es immer wieder Störungen im Verkehr gegeben, die unterschiedliche Gründe hatten, aber stets im Kontext der interalliierten Spannungen standen, ebenso wie die strengeren sowjetischen Kontrollen von Westtransporten bereits ab dem März 1948. Es kursierten Anweisungen für US-Soldaten, sich diesen Kontrollen in der sowjetischen Zone zu widersetzen. Später gab es immer wieder Stimmen bei den Westalliierten, die für eine militärische Durchbrechung der »Blockade« plädierten. Ab Mitte Juli 1948 wurden atomwaffenfähige US-Bomber in England für einen möglichen Krieg mit der Sowjetunion stationiert.

Da eine militärische Konfrontation aber sehr hohe Risiken bedeutet hätte, setzte sich am Ende der Plan der Luftbrücke zur unabhängigen Versorgung der Westsektoren durch. Die Idee war nicht neu. Bereits 1942 hatten die Westalliierten bei der Unterstützung der chinesisch-bürgerlichen Guomindang im Kampf gegen Japan Erfahrungen mit einer solchen Aktion gesammelt. 1945 hatte es auch in den Niederlanden eine Luftbrücke gegeben. Für Westberlin konnte sie nur deshalb funktionierten, weil sich die West­alliierten nach 1945 mit der Sowjetunion auf Flugkorridore über die sowjetische Besatzungszone verständigt hatten. Ab Juli 1948 begannen auch Lieferungen von Kohle, die die Entschlossenheit zum Durchhalten demonstrieren sollten. Nichtsdestotrotz stellte die Luftbrücke nach Westberlin eine enorme technische und logistische Herausforderung dar, deren Erfolg alles andere als sicher schien und nicht zuletzt einem milden Winter 1948/49 zu verdanken war.

Die sowjetische Führung protestierte von Anfang an gegen die Luftbrücke. Mit Verweis auf den ursprünglichen Zweck der Luftkorridore – die Versorgung der in Berlin stationierten Westalliierten – schätzte sie die Aktion als Missbrauch der getroffenen Verabredungen ein. Der nahezu ununterbrochene Luftverkehr in die Westsektoren schuf zudem für Ostberlin eine Drohkulisse. Schließlich können Flugzeuge Rosinen oder Bomben bringen.

Hungerblockade?

Die Verkehrsbeschränkungen führten dazu, dass die Westalliierten ihre Berliner Sektoren nicht mehr wie gewohnt beliefern konnten. Ein Problem für sie, denn »there is no choice between becoming a communist on 1.500 calories and a believer in democracy on 1.000 calories« (Es ist keine Wahl, für 1.500 Kalorien Kommunist zu werden oder für 1.000 Kalorien an die Demokratie zu glauben), wie US-Militärgouverneur Lucius Clay erklärte.² Dass eine mangelhafte Versorgung der heimischen Bevölkerung zu Unruhen führen konnte, zeigten etwa große Streikbewegungen 1948 in der US-amerikanischen und britischen Zone, insbesondere im Ruhrgebiet. Die Strategie der USA, mittels Marshall-Hilfen ihren Einfluss zu sichern, wurde durch die Maßnahmen der Sowjetunion konkret in Frage gestellt.

Auf eine Hungerblockade, wie auch heute noch vielfach behauptet, zielten die Maßnahmen der Sowjetunion nicht. Im Sommer 1948 gab es mehrere sowjetische Angebote zur Belieferung Westberlins mit Nahrungsmitteln, die von seiten der Westalliierten aber ausgeschlagen wurden. Daraufhin öffneten ab Mitte November 1948 sogenannte freie Geschäfte in Ostberlin, die in der Nähe zu den Grenzen der Westsektoren lagen. Sie waren speziell für die Versorgung der Westberliner Bevölkerung vorgesehen. Im Laufe der sowjetischen Sperrmaßnahmen erhöhte sich die Zahl der Westberliner, die sich registriert im Osten versorgten. Im März 1949 lag sie bei 103.000 Menschen. Das war der Höchststand, d. h. gerade einmal fünf Prozent der Westberliner versorgten sich und ihre Familien registriert über den sowjetischen Sektor. Nicht in diesem Anteil abgebildet sind Lebensmittel, die aus der ländlichen Umgebung oder von Ostberliner Angehörigen bezogen wurden. Zusätzlich füllten sich die Schwarzmärkte in den Westsektoren mit Gütern aus dem sowjetischen Sektor. Gleichwohl scheint es überraschend, wie viele Westberliner die Angebote aus dem Osten ausschlugen und die knappen Lieferungen der Luftbrücke bevorzugten.

Eine Erklärung dafür ist die Praxis der Westalliierten, Bürger zu sanktionieren, die über eine Ostberliner Lebensmittelkarte verfügten. Sie erhielten nur zehn Prozent ihres Einkommens in Westmark, der Rest wurde in Ostmark ausgezahlt. Größere Ausgaben aber, die in Westmark zu entrichten waren, wie beispielsweise Mietzahlungen, wären damit unmöglich geworden. Industriell gefertigte oder Genussgüter konnten in den Westsektoren erst gar nicht mit der Ostwährung gekauft werden.

Die meist antikommunistisch motivierte Behauptung, dass die Westberliner Bevölkerung das sowjetische Angebot in ihrem Drang nach westlicher Freiheit und als Akt des Widerstandes gegen die »Blockade« boykottiert hätte, scheint vor diesem Hintergrund höchst zweifelhaft. Auch eine Umfrage von Juli 1948, die Menschen aus den Westteilen befragte, warum sie nicht im Osten einkauften, widerlegt die Behauptung: Darin gaben 40 Prozent der Befragten an, dass sie schlicht kein Vertrauen in die Versorgungsangebote der Sowjets hätten, 38 Prozent hielten sie für praktisch nicht möglich, sieben Prozent bevorzugten die durch die Luftbrücke angebotene Versorgung, und gerade einmal zehn Prozent gaben politische Gründe an.³ Die Angaben zum mangelnden Vertrauen legen trotzdem zumindest eine unterbewusst antisowjetische Haltung der Befragten nahe. Immerhin sprachen sich 92 Prozent trotz sowjetischer Angebote für den Erhalt der Luftbrücke aus. Tatsächlich hatten die westlichen Separationsbestrebungen eine Situation hervorgerufen, in der die Versorgung Westberlins akut gefährdet war und wohl auch nicht vollumfänglich aus dem sowjetischen Sektor heraus hätte gewährleistet werden können. Die bestehenden Verbindungen zwischen den beiden Teilen Berlins verhinderten immerhin einen wirtschaftlichen Zusammenbruch der Westsektoren, wie ein interner Bericht der Westalliierten unter Verweis auf die Versorgung mit Rohstoffen aus der sowjetischen Zone selbst einräumte.⁴

Der Begriff Blockade weckt unweigerlich Assoziationen, etwa mit der Blockade Leningrads durch die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg, die das Ziel hatte, die Stadt auszuhungern. Eine Gleichsetzung mit den Geschehnissen in Berlin 1948/49 ist nicht haltbar. Die Wege über Land und Wasser aus den Zonen der Westalliierten in die von ihnen kontrollierten Stadtsektoren Berlins waren unterbrochen, aber die Versorgung Westberlins als solche nicht. Hätte die sowjetische Administration tatsächlich das Interesse an einer Hungersnot in Westberlin gehabt, hätte sie die Blockade strikt gehandhabt und Möglichkeiten zur Versorgung aus dem Ostsektor eingeschränkt statt ausgeweitet. Unabhängig davon, wie viele Westberliner aus der sowjetischen Zone heraus tatsächlich hätten versorgt werden können: Dass eine Mehrheit von ihnen diese Versorgung nicht in Anspruch nahm, bestärkt die Annahme, dass sie nicht wesentlich stärker an Hunger oder Unterversorgung litt als der Rest der Stadt zu jener Zeit.

Enklave Westberlin

Eine wichtige Folge der Verkehrseinschränkungen 1948/49 war der Trennungsprozess der Berliner Verwaltung in Ost- und Westsektoren bis in die erste Jahreshälfte des Jahres 1949 hinein. Am 21. Dezember 1948 gründeten die Westalliierten eine neue Alliierte Kommandantur, ohne sowjetischen Vertreter. Die 1945 gebildete gemeinsame Kommandantur bestand schon seit dem Frühjahr 1948 nicht mehr, als der sowjetische Vertreter aus Protest gegen die Sechsmächtekonferenz der Westalliierten austrat. Deren Kontrolle über ihre Sektoren in Berlin hatte Bestand, auch über die Gründung der Bundesrepublik in den Westzonen 1949 hinaus. Die Zeit der parallel existierenden Währungen Ost und West in Westberlin war am 20. Mai 1949 vorüber, als die Westmächte ihre neue Währung schließlich zur einzig gültigen in den Westsektoren erklärten.

Ein Blick auf die Arbeitslosenzahlen der Westsektoren verstärkt den Eindruck, dass sich dieser Schritt schwerwiegender auf die Westberliner Wirtschaft auswirkte als die sowjetischen Sperrmaßnahmen zuvor. Der Arbeitslosenanteil stieg von fünf bis zehn Prozent auf mittelfristig über 20 Prozent.⁵ Durch die finanzpolitische Abkopplung wurde der Handel mit der gesamten sowjetischen Zone, die Westberlin umgab, erschwert beziehungsweise kam nahezu vollständig zum Erliegen. Damit wurde Westberlin zu jener Enklave, die es bis zur Eingliederung der DDR im Jahr 1990 bleiben sollte. Im Ostsektor Berlins bildete sich derweil ein neuer Magistrat und politisch gesehen eine eigene Stadt heraus. Am 12. November 1949 wurde diesem die Verantwortung über die Verwaltung der Stadt durch die sowjetische Administration übertragen.

Rückblickend lassen sich die Sperrungen als eine gleich doppelt misslungene Reaktion der Sowjetunion auf die Westseparation beurteilen. Zum einen konnte sie die Separationsbestrebungen nicht verhindern. Die Maßnahmen wurden am 12. Mai 1949 beendet, ohne dass ihr Ziel erreicht worden wäre. Einige Tage später wurde die Bundesrepublik als westdeutscher Separatstaat gegründet, als Ausgangsbasis der schon bald wieder in Amt und Würden gelangenden alten Nazieliten und Rettungsanker des deutschen Kapitals. Infolgedessen entstand die Deutsche Demokratische Republik, und im Osten begann bald darauf der sozialistische Aufbau. Das zweite Scheitern betrifft die öffentliche Nachwirkung der Sperrmaßnahmen. »Die Blockade« gilt bis heute als Ausweis sowjetischer Aggressions- und Expansionsbestrebungen und ist fest im öffentlichen Bewusstsein verankert. Bis heute hält sich ein Zerrbild von den Ereignissen, bei dem der historische Kontext und die Bemühungen der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung für eine deutsche Einigung unbeachtet bleiben.

Anmerkungen

1 Aufruf des Parteivorstandes der SED, 18.6.1948, zit. nach: Gerhard Keiderling: Die Spaltung Berlins. In: Illustrierte historische Hefte 38 (1985), S. 3

2 Lucius D. Clay: Clay to Echols and Petersen, 27 March 1946, zit. nach: Anne Tusa, John Tusa: The Berlin Blockade, London 1988, S. 67

3 Memorandum, Opinion Surveys Branch to Textor: A Report to Berlin Morale 30 July 1948, zit. n.: William Stivers: The Incomplete Blockade. Soviet Zone Supply of West Berlin 1948–49. In: Diplomatic History 21 (1997) 4, S. 576

4 Vgl. Intelligence Report R-865-4, zit. n.: ebd., S. 589

5 Vgl. ebd., S. 591f.

Joshua Relko ist freier Journalist und lebt in Köln.

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