»Das ist eine Demütigung unserer Befreier«
Interview: Annuschka EckhardtSie haben als Landesvorsitzender der Deutschen Kommunistischen Partei in Berlin am 8. Mai mit einer Kranzniederlegung der sowjetischen Befreier gedacht. Wie haben Sie diesen Tag der Befreiung vom Faschismus und Tag des Sieges darüber erlebt?
Ich habe beide Tage mit einem lachenden und einem weinenden Auge wahrgenommen. Wir als Deutsche Kommunistische Partei hatten eine sehr schöne Kranzniederlegung am 8. Mai in Treptow. Trotz alledem! Wir haben auch Zuspruch von vielen Menschen bekommen, die ebenfalls der Befreier gedachten. Ich hatte auch den Eindruck, dass dieses Jahr viel mehr Menschen an den Ehrenmalen waren, trotz dieser ganzen Schikanen.
Was mich erschüttert hat, war das martialische Auftreten der Berliner Polizei mit Hundertschaften in Treptow und im Tiergarten. Das war der glatte Wahnsinn. Beim Hinausgehen sah ich einen mit einer traditionellen historischen Uniform bekleideten Mann, einen Veteranen mit einer Sowjetfahne, der von jungen deutschen Polizisten abgewiesen wurde. Das machte ihn todunglücklich. Er wollte seine Blumen dort ablegen, am Tiergarten, am Ehrenmal und sich vor den gefallenen Soldaten verneigen. Das hat die Polizei nicht zugelassen. Das war grausam mitanzusehen.
Was bedeutet es aus Ihrer Sicht, dass Sowjetflaggen und sowjetische Lieder vom CDU-geführten Senat verboten wurden?
Es ist eine nachträgliche Demütigung unserer Befreier – für mich unbegreiflich. Es ist grotesk, dass die Enkel und Söhne der besiegten Faschisten den Siegern verbieten, ihre Symbole zu zeigen. Ich halte das auch für gefährlich. Wenn wir an einen Punkt gelangt sind, wo deutsche Politiker entscheiden können, dass die Symbole derjenigen, die uns von der faschistischen Herrschaft befreit haben, verboten werden, dann zeigt das, wie weit der reaktionäre Staatsumbau schon fortgeschritten ist und die Polizei politisch instrumentalisiert wird.
Das Ehrenmal in Tiergarten war – ohne Hinweisschilder – so abgesperrt, dass viele, gerade ältere Leute kilometerweit laufen mussten, um überhaupt reinzukommen. Wie hat die Allgemeinverfügung Ihr Gedenken betroffen?
Teilweise wurden damit die Resultate des sogenannten Kooperationsgesprächs mit der Polizei, das vor unserer Anmeldung für die Kundgebung stattgefunden hatte, annulliert. Der zuständige Polizeiführer hat in einer E-Mail an mich bedauert, dass unser gut verlaufenes Gespräch, bei dem wir unter anderem die Vereinbarungen getroffen hatten, bei unserer Ehrung auch Sowjetfahnen zeigen zu können, durch die Allgemeinverfügung wieder aufgehoben wurde. Aber er musste sich halt »höherer Weisung beugen«.
Es ist aber noch weiter gegangen: Ein Genosse hat eine rote Fahne ausgerollt, auf der nur Hammer und Sichel zu sehen waren. Sie war von der DKP editiert, und auch die durfte nicht gezeigt werden. Menschen wurde die junge Welt abgenommen, weil das historische Foto, auf dem ein Sowjetsoldat das Siegesbanner auf dem Reichstag hisst, abgedruckt ist. Und die Polizisten haben auch noch auf den Zeitungen herumgetrampelt. Größer kann eine Demütigung im Grunde nicht aussehen.
Sie hatten im vergangenen Jahr gegen die Allgemeinverfügung der Berliner Polizei geklagt. Wie ist das ausgegangen?
Ich habe zwei Jahre hintereinander Eilanträge gestellt, die Allgemeinverfügung zu annullieren und für ihre Aufhebung mit aufschiebender Wirkung. Die sind abgelehnt worden. Daraufhin habe ich eine Klage gegen die Berliner Polizei und die Stadt Berlin eingeleitet, offiziell nennt sich das Fortsetzungsfeststellungsklage. Dieser Prozess läuft noch. Mein Anwalt und ich überlegen uns, ob wir jetzt, nach den Erfahrungen in diesem Jahr, noch mal eins drauflegen. Es sind ja auch sehr viele neue Erkenntnisse dafür dazugekommen, dass die Allgemeinverfügung grobe Einschnitte in die Meinungsfreiheit und in die Versammlungsfreiheit bedeutet.
Und was fordern Sie vom Berliner Senat?
Ich fordere, dass er die Allgemeinverfügung zurücknimmt, so etwas nie wieder ausgibt und sich entschuldigt für das Leid, das er damit verursacht hat.
Stefan Natke ist Landesvorsitzender der DKP Berlin und Mitglied des Parteivorstands
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