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Aus: Ausgabe vom 11.05.2024, Seite 6 / Ausland
Westsahara

»Es ist besser zu kämpfen«

Sehen und berichten: Solidaritätsreise zu sahrauischen Geflüchtetenlagern in Algerien
Von Ramez Ekbal, Tindouf
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Parade zum Tag der Ausrufung der Demokratischen Arabischen Republik Sahara (Smara/Tindouf, 27.2.2024)

Nach vier Jahren hat das erste Mal wieder eine größere Delegation politischer Aktivisten aus Deutschland die sahrauischen Geflüchtetenlager bei Tindouf im Westen Algeriens besucht. Organisiert von der deutschen Vertretung der Polisario-Front, der Volksfront zur Befreiung der Westsahara, kamen Mitte April 25 Aktivisten aus unterschiedlichen linken Gruppen und Strukturen eine Woche lang mit Vertretern des sahrauischen Volkes zusammen, um über die Lebensrealitäten der Geflüchteten und ihren politischen Kampf um Unabhängigkeit von der marokkanischen Besatzung zu lernen. So fanden unter anderem Treffen mit der Union Sahrauischer Frauen, der Union Sahrauischer Jugendlicher, Parlamentariern, Journalisten, Bildungseinrichtungen, dem Verein für die Belange der inhaftierten und verschwundenen Sahrauis oder dem Büro für Minenräumung statt. Die Unterbringung in Gastfamilien ermöglichte den persönlichen Austausch innerhalb der Familien. Das Bild, was sich der Delegation zeigte, war eines von schwierigen humanitären Bedingungen und gleichzeitig dem unnachgiebigen Streben nach politischer und kultureller Selbstbestimmung, Unabhängigkeit und Rückkehr.

Seit ihrer Vertreibung vor 50 Jahren harren die Sahrauis in Lagern mitten in der lebensfeindlichen Wüste aus. Die Infrastruktur ist dürftig, Strom und Internet gibt es erst seit wenigen Jahren. »Die sahrauische Gesellschaft ist komplett abhängig von internationaler humanitärer Hilfe«, berichtet der Vizepräsident des Sahrauischen Roten Halbmonds, Mohammed Abdelhay, bei dem Treffen mit der Delegation. Dementsprechend ausgeliefert sind die Menschen gegenüber globalen Krisen, die zu einem Rückgang an Spenden führen. Das zeigte sich während der Weltwirtschaftskrise von 2008 oder der Covid-19-Pandemie. Aber auch die aktuelle Lage in der Ukraine, Sudan und Gaza wirkt sich auf die Sahrauis aus: Die UNO kürzte ihre Hilfslieferungen um 20 Prozent. Abdelhay warnt: »Wenn die Hilfslieferungen bis Juli nicht erhöht werden, haben die Sahrauis ein Problem.«

Neben dieser Abhängigkeit wurde immer wieder die Notwendigkeit internationaler Solidarität betont. Direkt zu Beginn der Delegationsreise macht die Bürgermeisterin des Smara-Geflüchtetenlagers, Iza Brahim Boubih, gegenüber den überwiegend jungen Aktivisten deutlich, dass es die Jugend ist, die ihr Hoffnung gibt. Ihr Appell an die Delegationsmitglieder ist klar: »Ihr seid nicht nur Besucher, sondern auch Zeugen. Was ihr seht und erlebt, sollt ihr als Botschaft weiter nach Deutschland tragen.« Die Polisario setzt auf verschiedene Spielfelder der Politik, um für Anerkennung zu werben und ihr Ziel von einer unabhängigen Westsahara zu erreichen. So gibt es Austausch mit parlamentarischen Gruppen verschiedener Staaten, mit Nichtregierungsorganisationen und aktivistischen Strukturen, außerdem laufen Verfahren vor EU-Gerichten und internationalen Gerichten. In den Äußerungen verschiedener Gesprächspartner wechseln sich Hoffnung und Ernüchterung gegenüber dem deutschen Staat ab. Hoffnung, dass Deutschland sich für die Einhaltung des Völkerrechts einsetzt, und Ernüchterung über die deutsche Position zum Genozid in Gaza, die als Rückschlag für die Sache des sahrauischen Volkes gesehen wird, das selbst gegen Besatzung und Siedlerkolonialismus kämpft.

Im November 2020 wurde der bewaffnete Kampf wieder aufgenommen. Nach fast 30 Jahren Waffenstillstand zwischen Marokko und Polisario war das eine klare Absage an den Status quo der politischen Stagnation. Im Waffenstillstandsabkommen von 1991 war vereinbart worden, dass innerhalb von sechs Monaten unter Aufsicht der Vereinten Nationen ein Referendum über den Status der Westsahara abgehalten werden sollte. Darauf warten die Sahrauis noch immer. »Das Versprechen der UN war eine Lüge«, sagte eine Vertreterin der Union Sahrauischer Frauen, und Iza Brahim Boubih berichtete, dass die Menschen sich über die Aufkündigung des Waffenstillstands gefreut hatten. »Natürlich sind die Lebensbedingungen nach wie vor schlecht, aber es ist besser zu kämpfen. 30 Jahre ist nichts passiert, wir haben 30 Jahre verloren, UN-Botschafter kommen und gehen, und wir sitzen noch immer in einem fremden Land. Unsere Freiheit und Unabhängigkeit kommen über den bewaffneten Kampf.«

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