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Aus: Ausgabe vom 11.05.2024, Seite 4 / Inland
Gewalt gegen Politiker

Gestalkt, bedroht und geschlagen

Nach Angriffen auf Politiker: Justizminister gegen geforderte Verschärfung des Strafrechts
Von Kristian Stemmler
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Stark mitgenommen: So sah SPD-Europaabgeordneter Matthias Ecke nach seiner Behandlung im Krankenhaus aus (Dresden, 6.5.2024)

Die Häufung von Angriffen auf Staatsbedienstete in den vergangenen Tagen hat eine Debatte über die Ursachen und mögliche Gegenmaßnahmen ausgelöst. Am Freitag voriger Woche war der SPD-Europaabgeordnete Matthias Ecke in Dresden angegriffen worden. Am Dienstag dann hat ein Mann die Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) mit einem Beutel, in dem sich ein harter Gegenstand befand, geschlagen und leicht verletzt. Die Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen für den Stadtrat, Yvonne Mosler, wurde beim Aufhängen von Wahlplakaten am Mittwoch in Dresden angerempelt und bedroht.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat sich am Freitag gegen härtere Strafen ausgesprochen. Der Versuch, »das gesellschaftliche Problem einer allgemeinen Verrohung der politischen Auseinandersetzung« allein mit dem Strafrecht zu lösen, werde scheitern, sagte er der dpa. Er sei aber durchaus bereit, sich Vorschläge der Länder zum Strafrecht anzusehen, so der Minister.

Buschmann reagierte damit auf einen Beschluss der Innenministerkonferenz, die sich am Dienstag wegen des Angriffs auf Ecke zu einer Sondersitzung getroffen hatte. In dem Beschluss bat die Konferenz die Justizminister zu prüfen, ob »das spezifische Unrecht, das in dem demokratiegefährdenden Umstand solcher Angriffe zu sehen ist«, im Strafrecht heute schon ausreichend abgebildet sei. Geprüft werden solle auch, ob »die bewusste Verbreitung von Desinformationen mit dem Ziel der Wahlbeeinflussung oder Gewalteskalation strafwürdiges Unrecht darstellen«.

Sachsens CDU-geführte Regierung will einen Gesetzentwurf in den Bundesrat einbringen, der einen neuen Straftatbestand vorsieht. Demnach soll die Beeinflussung von Amts- und Mandatsträgern durch sogenanntes politisches Stalking geahndet werden. Dabei geht es um Bedrohungssituationen, etwa aggressive Aufmärsche vor dem Wohnhaus eines Bürgermeisters. Buschmann sagte dazu, grundsätzlich müsse das Strafrecht besonderen Anforderungen genügen. Man dürfe nicht eine »unpräzise Formulierung« nutzen, »die dann möglicherweise auch legitimes Verhalten kriminalisieren würde«. Bürger dürften auch gemeinsam gegenüber einem Politiker Kritik zum Ausdruck bringen. Das müsse präzise »von einer nicht mehr akzeptablen Bedrohungssituation« abgegrenzt werden.

Zu den Ursachen der Angriffe äußerte sich Andreas Zick, Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld, gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) und sprach von »einem gestiegenen Misstrauen gegen staatliche Institutionen und einer insgesamt höheren Billigung von politischer Gewalt in der Mitte der Gesellschaft«. Die EU-Wahl sei nun »eine Gelegenheit für jene, die Feindbilder teilen und schon länger meinen, sie müssten ein Zeichen setzen«. Wenn die Politik sich jetzt streite, wer die härtesten Strafen verkünde, sei das nur »Wasser auf die Mühlen von Populisten«.

Der Kovorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Omid Nouripour, kritisierte gegenüber RND die Beschlüsse der Innenministerkonferenz als unzureichend. Die Minister trügen die Verantwortung dafür, dass der Wahlkampf sicher und uneingeschränkt durchgeführt werden könne. Ähnlich äußerte sich der SPD-Kovorsitzende Lars Klingbeil in der Rheinischen Post. Er erwarte von den Innenministern, dass der Wahlkampf ausreichend abgesichert werde. Es brauche mehr Polizeischutz für Veranstaltungen und konsequentes Vorgehen der Justiz gegen die Täter.

In Stuttgart wurden am Mittwoch zwei AfD-Landtagsabgeordnete an einem Infostand der Partei laut Polizei verbal und körperlich attackiert. Am Freitag erklärte das Antifaschistische Aktionsbündnis Stuttgart und Region auf seiner Homepage, den AfD-Stand »gestört« zu haben. Sie seien von Security-Mitarbeitern und von AfD-Abgeordneten körperlich bedrängt worden. Der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla wies den Vorwurf, die AfD sei mitverantwortlich, gegenüber dem RBB am Freitag zurück. Politiker von anderen Parteien benutzten mitunter ebenfalls hartes Vokabular, »Verbale Abrüstung tut uns allen gut«, sagte der AfD-Vorsitzende.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Steffen W. aus Berlin (12. Mai 2024 um 09:15 Uhr)
    Dazu, bürgerliche Politiker gegen irgendwelche Angriffe zu verteidigen, sehe ich mich nicht veranlasst. Hiervon gibt es vielleicht zwei Ausnahmen: 1. es handelt sich um linkssozialdemokratische Politiker, die öffentlich auch deutlich solidarisch gegenüber radikalen Linken, Antifaschist*Innen und Kommunist*Innen sind und 2. es geht um Gewalthandlungen von Faschist*Innen gegen bürgerliche Politiker*Innen, die sich zur antifaschistischen Einheitsfront bekennen. Nicht vergessen dürfen wir, dass bürgerliche Politiker*Innen und ihre reaktionäre Politik Anlass für massenhaft Gewalt im Land sind. Dabei denke ich an Arme, die Bürgergeld beziehen und vollkommener Willkür ausgesetzt sind, an Obdachlose, denen ich mich ganz besonders solidarisch erkläre, weil ich selbst obdachlos war, aber nicht zuletzt auch Flüchtlinge, Menschen in prekären Jobs, politische Linke (siehe G20), Antifaschist*Innen und sicher noch vielen weiteren. Es ist doch gemeinhin so: wenn einem bürgerlichen Politkasper ein Haar gekrümmt wird, geht ein Aufschrei durchs Land; wenn ein/e radikale/r Linke/r oder ein/e Kommunist*In angegriffen und häufig schwer verletzt wird, hebt das von den bürgerlichen niemand an, ganz im Gegenteil, die drehen den Spieß rum und stempeln sie oder ihn zum Gewalttäter. Übrigens: Sören Pellmann in der Partei Die Linke, linkssozialdemokratisch, wird auch bedroht pp. Davon spricht keiner der Bourgeoisien. Natürlich bin ich mit ihm solidarisch, auch wenn ich bei Weitem nicht mit allem von ihm einverstanden bin. Ich schätze ihn aber so ein, dass er den Mut hätte, sich auch mit einem Kommunisten solidarisch zu erklären. Bürgerliche Politiker verbreiten selbst auch massenhaft Gewalt, durch ihre Hetzerei, ihren Hass, die Dämonisierung Russlands und der Palästinenser, des Islam und von Muslimen und sie rufen teils offen zum Mord an Wladimir Putin auf. Wenn all das wie ein Bumerang zurückkommt und sie trifft, finde ich das gut und richtig!
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marian R. (13. Mai 2024 um 14:39 Uhr)
      Der Leserbriefschreiber trifft den Nagel auf den Kopf!

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