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Aus: Ausgabe vom 10.05.2024, Seite 10 / Feuilleton
Kino

Traumjob Autos schrotten

Die Stuntmankomödie »The Fall Guy« hat einen reizvollen Subtext
Von Holger Römers
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Manche mögen’s heiß: Stuntman von Stuntman Colt

Indem »The Fall Guy« sich den Originaltitel einer vier Jahrzehnte alten Fernsehserie zu eigen macht, spricht dieser Film gezielt ein Zuschauersegment an, das Hollywood derzeit ignoriert: Die Alterskohorte, die sich einst als präpubertäre Teenager mit »Ein Colt für alle Fälle«, wie jene US-Serie im Vorabendprogramm des ZDF hieß, die Zeit vertrieb. Abgesehen von den Namen der beiden Hauptfiguren, Colt und Jody, wurde dem nominellen Vorbild allerdings nur noch der Stuntmanberuf des Protagonisten entlehnt.

Diese vordergründige Bezugnahme weckt eine ironische Nostalgie, zu der auch die Musikauswahl passt, die vom tollsten AC/DC-Song über den größten Kiss-Hit bis zur erträglichsten Phil-Collins-Schnulze reicht. Darüber hinaus werden in »The Fall Guy« regelmäßig Hollywoodfilme erwähnt, die 70er-Jahrgänge als Erwachsene im Kino gesehen haben könnten. Das beginnt mit einem hübschen Gag über die Verwechslung zweier Julia-Roberts-Filme und setzt sich fort mit beiläufig als Quizfragen eingestreuten Dialogzitaten aus der »Rocky«- oder der »Fast & Furious«-Reihe. Zu letzterer hat Regisseur David Leitch 2019 mit »Fast & Furious: Hobbs & Shaw« beigetragen, nachdem er zwei Jahre zuvor mit »American Blonde« ins Regiefach gewechselt war. Seine Filmkarriere hatte der 1975 geborene US-Amerikaner freilich als Stuntman begonnen. Folgerichtig ergreift er bei seiner fünften Spielfilmregie jede Gelegenheit, Exkollegen ihre halsbrecherische Arbeit vorführen zu lassen.

Allerdings muss der Stuntman Colt (Ryan Gosling) in diesem Film nicht wie noch in der TV-Serie nebenberuflich für eine Kreditagentur hinter Angeklagten herjagen, die ihre geliehene Kaution durch Flucht verwirkt haben. Um Anlass für einen (unernsten) Thrillerplot zu schaffen, lassen die Drehbuchautoren Drew Pearce und Glen A. Larson statt dessen einen selbstgefälligen Actionstar, dessen Stunts Colt lange Jahre ausgeführt hat, bei Dreharbeiten in Australien verschwinden. Obwohl er am Filmset Autos zu Schrott fahren und sich mehrfach in Brand setzen lassen muss, sucht Colt also nebenbei nach besagtem Tom Ryder (Aaron Taylor-Johnson). Dessen Unauffindbarkeit droht nämlich das Regiedebüt von Jody (Emily Blunt) zu gefährden, die als Kamerafrau einst einen zarten Flirt mit dem Stuntman begonnen hatte – bis die psychischen Folgen eines schweren Unfalls Colt dazu bewogen, ohne Erklärung abzutauchen.

Entsprechend spannungsreich fällt das Wiedersehen zwischen Colt und Jody aus: Wenn sie vorgibt, ihm den blödsinnigen Plot des Science-Fiction-Spektakels zu erklären, das gerade mit Riesenaufwand gedreht wird, nehmen die vor versammelter Filmcrew gesprochenen Worte eine amüsante Doppelbedeutung an. Ähnlich verhält es sich mit einer Szene, in der beide am Telefon die Funktion von Splitscreens diskutieren – was Leitch selbstredend zum Anlass nimmt, durch die Verwendung dieses Stilmittels dessen trennende und verbindende Wirkung zu reflektieren. Wenn der romantisch-komische Genreanteil in den Hintergrund tritt, bietet die Schilderung der Dreharbeiten indes einen noch reizvolleren Subtext zur hierarchischen Arbeitsteilung in der Filmindustrie. Dabei ist bezeichnend, dass die Regisseurin das Verschwinden ihres hochbezahlten Stars tagelang überhaupt nicht bemerkt, bis eine Produzentin (Hannah Waddingham) mitteilt, dass Codys Anwesenheit für den krönenden Abschluss des Drehs nicht nötig sei. Ein Subplot, der das digitale Fingieren von Filmauftritten realer Schauspieler problematisiert, berührt sogar direkt einen Streitpunkt, der 2023 im Zentrum des längsten Schauspielerstreiks der Geschichte stand. Um so passender, welcher Aufdruck auf einem Langarmshirt zu erkennen ist, das Colt irgendwann trägt: In halbnaher Einstellung sind das Emblem und das Kürzel der Gewerkschaft IATSE, die Filmarbeiter aus den angeblich nachrangigen Gewerken vertritt, ebenso klar zu identifizieren wie der in den USA traditionsreiche Slogan »union strong«. Also: gewerkschaftlich stark.

»The Fall Guy«, Regie: David Leitch, USA 2024, 125 Min., bereits angelaufen

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