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Aus: Ausgabe vom 10.05.2024, Seite 4 / Inland
Repression

Kein Recht auf Protest

Kleinere Aktionen an deutschen Hochschulen gegen Gazakrieg von Polizei beendet. Wütende Reaktionen auf Solidaritätserklärung von Dozenten
Von Kristian Stemmler
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Das kurzlebige Protestcamp in einem Gebäude der Universität Bremen (8.5.2024)

Obgleich die Protestaktionen gegen den Gazakrieg, die in den vergangenen Tagen an deutschen Universitäten stattgefunden haben, anders als etwa in den USA sehr überschaubar geblieben sind, reagieren Universitätsleitungen und Vertreter der Politik alarmiert. Am Mittwoch war wie zuvor schon in Berlin und Leipzig ein Protestcamp an der Uni Bremen nach wenigen Stunden von der Polizei geräumt worden. Nach Aufrufen in sozialen Medien, sich dem Protest anzuschließen, sei diese Entscheidung »aus Sicherheitsgründen« getroffen worden, begründete die Hochschule am Mittwoch die Einschaltung der Polizei gegen die rund 50 palästinasolidarischen Demonstranten.

Am Dienstag waren Protestcamps an der Universität Leipzig und der Freien Universität Berlin von der Polizei gewaltsam beendet worden. Die Berliner Polizei bilanzierte am Mittwoch, es seien im Zuge der Räumung 79 Personen vorübergehend festgenommen worden, davon 49 Frauen und 30 Männer, es gebe 80 Strafermittlungsverfahren und 79 Ordnungswidrigkeitsverfahren. In Leipzig hatten rund 50 Menschen das Audimax und einen Innenhof besetzt. Die Polizei »räumte« den fast leeren Hörsaal am Abend. Von den 13 Personen, die sich dort aufhielten, wurden die Personalien aufgenommen. Die Universität will nach eigenem Bekunden Schadenersatzforderungen stellen.

Für wesentlich mehr Aufregung sorgt ein »Statement von Lehrenden an Berliner Universitäten«, das von mehr als 100 Dozenten verschiedener Hochschulen unterstützt wird. »Wir fordern die Berliner Universitätsleitungen auf, von Polizeieinsätzen gegen ihre eigenen Studierenden ebenso wie von weiterer strafrechtlicher Verfolgung abzusehen«, heißt es darin. Man verteidige das »Recht auf friedlichen Protest, das auch die Besetzung von Unigelände einschließt«.

Diese Solidarisierung sorgte für teilweise wütende Reaktionen, die von Bild abgefragt wurden. Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) bekundete, das Statement mache sie »fassungslos«. Statt sich klar gegen den (denunziatorisch untergeschobenen) »Israel- und Judenhass« zu stellen, würden »Unibesetzer zu Opfern gemacht und Gewalt verharmlost«. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) sagte dem Blatt, er habe »für die Verfasser dieses Pamphlets« kein Verständnis. Berliner Unis blieben Orte des kritischen Diskurses, aber »Antisemitismus und Israel-Hass« seien »keine Meinungsäußerungen, sondern Straftaten«.

Die CSU-Innenpolitikerin Andrea Lindholz bezeichnete den Brief der Dozenten gar als einen »Tiefpunkt für die deutsche Wissenschaft«. Sie habe kein Verständnis dafür, »wenn Professoren und Dozenten einen Mob von Antisemiten und Israel-Hassern verteidigen«. Auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, gab vor, genau zu wissen, worum es den Campusbesetzern gegangen war: Sie würden von ihrem Hass auf Israel und Juden angetrieben, erklärte er. Der Protest habe »fanatischen Charakter« gehabt.

Die FU erläuterte ihr Vorgehen in charakteristischer Weise. Es sei klar, dass es während der Proteste »zu antisemitischen, diskriminierenden Äußerungen kam, aber auch zu Aufrufen zu Gewalt«, sagte ein Sprecher gegenüber dpa. Drei von der Agentur befragte Studierende, die Augenzeugen der Besetzung waren, erklärten dagegen, keinerlei antisemitische Slogans gehört zu haben.

Der Botschafter der Palästinensischen Nationalbehörde in Deutschland, Laith Arafeh, wies die Kritik an den Protesten zurück. Er erklärte gegenüber dpa, dass der Spielraum für freie Meinungsäußerung und die akademische Freiheit mit Blick auf Israel und den Gazakrieg immer weiter zurückgehe. »Wir verurteilen alle Formen von Fanatismus einschließlich Antisemitismus«, sagte Arafeh. Genauso »verurteilen wir den systematischen Einsatz falscher Antisemitismusvorwürfe gegen alle Stimmen, die ein Ende des Krieges fordern«.

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  • Leserbrief von Ullrich-Kurt Pfannschmidt (10. Mai 2024 um 13:47 Uhr)
    Wie sagte schon Lenin: »Die Wahrheit ist immer konkret!«. In diesem Sinne wäre es hilfreich gewesen, bei einigen der auf islamistischer Seite häufig verwendeten und von den Protestlern gern übernommenen Parolen zu prüfen, ob sie die Bedingungen für die freie Meinungsäußerung erfüllen. – Beispielsweise: »From the River to the Sea, Palestine will be free«, d.h., die Vernichtung Israels und stattdessen die Errichtung eines islami(sti)schen Staates! – Oder: »Das Kalifat ist die Lösung!«, d.h., die Abschaffung der Demokratie und z. B. der Ersatz des StgB durch die Scharia!

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